Orexin-Rezeptor-Antagonist, wird bei Schlafproblemen eingesetzt (Quelle: imago/Science Photo Library)
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Interview | Neues Schlafmittel - Orexin-Antagonisten als neuer Hoffnungsträger

Etwa zehn Millionen Deutsche leiden Schätzungen von Schlafmedizinern zufolge an chronischen Schlafstörungen. Wie wurden diese bisher behandelt? Und auf welche neuen Arzneien hoffen die Schlafexperten zukünftig? PD Dr. Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- & Chronomedizin im St. Hedwig Krankenhaus Berlin, gibt Antworten.

Herr Dr. Kunz, wie steht es derzeit um die medikamentöse Schlafbehandlung?

Die Schlafmedizin steht vor einer neuen Zeitrechnung. Auch wenn bisher noch kein Schlafexperte wirklich bis ins letzte verstanden hat, was das Gehirn nachts eigentlich tut, werden wir bald besser auf Störungen des Schlafs reagieren können. Es laufen nachts diverse komplexe Programme im Gehirn ab. Klar ist: Wenn wir bisher von Schlafmitteln sprechen, meinen wir Narkosemittel. Sie greifen nicht spezifisch in die verschiedenen komplexen Teilprozesse ein, die im Gehirn nachts ablaufen. Die meisten fahren das Gehirn einfach komplett runter. Das führt häufig dazu, dass man sich morgens zerschlagen fühlt. Derzeit verfügbare Schlafmittel heilen nicht, sondern wirken ausschließlich symptomatisch.

Demnächst soll sich das ändern?

Genau, wir hoffen auf die Zulassung von sogenannten Orexin-Antagonisten in Europa, umgangssprachlich auch Weckhemmer genannt. Mittlerweile gibt es mindestens sieben verschiedene dieser Antagonisten. Sie blockieren im Hypothalamus das "Weckhormon" Orexin. Der Neurotransmitter ist für den Wechsel vom Wach- zum Schlafzustand verantwortlich. In den USA und in Japan ist jeweils eine Substanz schon seit einigen Jahren zugelassen. Orexin-Antagonisten tun das, was gängige Schlafmittel nicht können: Sie beeinflussen konkret einen Teilprozess des Schlafes, sie blockieren spezifisch den Weckvorgang.

Wie hat man das herausgefunden?

Bereits vor 20 Jahren entdeckte man im Tierexperiment, dass der zentrale Botenstoff Orexin dazu führt, dass Menschen wacher sind und mehr Hunger haben. Zudem zeigte sich, dass Menschen mit der sogenannten Schlafsucht, auch Narkolepsie genannt, kein Orexin produzieren. Ein Kernsymptom der Narkolepsie ist, dass Betroffene plötzlich einschlafen, also zum Beispiel mitten auf der Autobahn am Steuer, das ist gefährlich. Aus diesen Beobachtungen und Messungen schlussfolgerten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen: Wenn das Gehirn mit dem Botenstoff Orexin wacher ist, könnte es für den Schlaf zuträglich sein, wenn man den Botenstoff unterdrückt. Tatsächlich hat die Blockade des Neurotransmitters die Wirkung, dass Wachsignale ausbleiben. Viele Patienten mit einer diagnostizierten Ein- und Durchschlafstörung profitieren daher von Orexin-Antagonisten.

Warum gibt es das Medikament nicht schon längst in Deutschland?

Die Zulassung von Orexin-Antagonisten ist hierzulande für die Indikation Ein- und Durchschlafstörungen mit Beeinträchtigung der Befindlichkeit, Leistung und Funktion am Tage beantragt. Wir erhoffen uns die Zulassung im nächsten Jahr. Ich kann die in Japan und USA erhältlichen Substanzen meinen Patienten derzeit im Off-label-Use verschreiben, die rund 120 Euro im Monat müssen sie aber häufig selbst bezahlen.

Wie jedes Medikament haben Weckhemmer sicher auch Nebenwirkungen?

Bei den Orexin-Antagonisten gibt es zwei wichtige Fakten bezüglich der Nebenwirkungen: Große Studien konnten zeigen, dass es – anders als zum Beispiel bei Benzodiazepinen – zu keiner Toleranzentwicklung und / oder körperlicher Abhängigkeit kommt. Klassische Entzugssymptome wurden nicht gefunden. Bei Gesunden wirkt Orexin zumeist gar nicht, weder positiv noch negativ. Ähnlich ist es übrigens bei einigen Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen: Die Orexin-Antagonisten helfen nur einem Teil der Betroffenen – nämlich denen, bei denen die Störungen Orexin-bedingt sind. Es gibt nach derzeitigem Kenntnisstand bis zu 100 verschiedene Ursachen von Ein- und Durchschlafstörungen, nicht alle haben mit Orexin zu tun.

Wie finden Sie heraus, wer also davon profitiert?

Da die Substanz keine gravierenden Nebenwirkungen hat, können wir nach dem Trial & Error-Prinzip verfahren: Wir verschreiben die Substanz für vier Wochen. Helfen sie in dieser Zeit, sind die Patienten glücklich, dass sie wieder schlafen können und tagsüber besser funktionieren. Helfen sie nicht, müssen wir weitersuchen.

Welche anderen Schlafmedikamente verschreiben Sie?

Im wesentlichen Melatonin und Z-Substanzen. Melatonin stärkt niedrig dosiert und zur richtigen Zeit angewendet das System an inneren Uhren und verbessert den Schlaf qualitativ zum geeigneten Zeitpunkt. Richtig eingenommen, kenne ich so gut wie keine Nebenwirkung. Zudem wirken die sogenannten Z-Substanzen wie Zolpidem und Zopiclon zum Beispiel gegen Ein- und Durchschlafstörungen unterschiedlichster Ursache. Die Z-Präparate wirken unmittelbar im Gehirn ähnlich wie ein körpereigener Botenstoff, das sogenannte GABA. Sie docken an Reizempfängern im Gehirn an, dämpfen dort die Aktivität und fördern so Schlaf. Die modernen Benzodiazepinrezeptor-Agonisten sind also Schlafmittel, die Patienten mit einem relativ niedrigen Nebenwirkungsrisiko auch langfristiger einnehmen können. Leider werden Z-Substanzen gerne mit Benzodiazepinen gleichgestellt und heute oft die Entstehung einer Abhängigkeit nachgesagt.

Sie empfehlen Z-Substanzen also nicht mehr?

Doch, denn ich sehe nur eine sehr seltene Gefahr für körperliche Abhängigkeit: Wenn Patienten Z-Substanzen absetzen, können sie häufig nicht schlafen. Das aber ist keine Abhängigkeit, sondern einfach das Zeichen, dass die ursächliche Krankheit nicht geheilt ist. Denn anders als Melatonin oder Orexin-Antagonisten wirken Z-Substanzen nur gegen die Symptome, nicht aber gegen die Ursache der Schlafstörung. Benzodiazepine – die nicht selten zu einer Abhängigkeit führen – verschreiben wir seit Jahren nicht mehr. Diese älteren Schlafmittel, also Benzodiazepine wie Faustan, Valium oder Diazepam, können tatsächlich nach kurzem Gebrauch zur Abhängigkeit führen.

Der Suchtreport der Bundesregierung benennt in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen als abhängig von Schlafmitteln. Damit werden heute zuerst die Z-Substanzen gemeint. Hintergrund ist, dass Hypnotika laut Leitlinie und damit finanziert von der Krankenkasse nur vier Wochen verordnet werden dürfen. Da 50 Prozent der Z-Substanzen auf Privatrezept ausgegeben werden – also von den Patienten bezahlt werden - geht man davon aus, dass Patienten, die die Substanzen länger einnehmen, abhängig sind. Ich finde es zynisch, dass diesen Patienten in Deutschland nicht nur nicht geholfen wird, sondern man sie auch noch diffamiert.

Können Patienten sich die Weckhemmer selbst besorgen?

Patienten können sich auf Rezept Orexin-Antagonisten über die internationale Apotheke bestellen, das ist aber umständlich und wird nicht immer von den Kassen bezahlt. Die neuropsychiatrische Schlafmedizin führt in Deutschland ein "Stiefmütterchendasein". Bis auf schlafbezogene Atemstörungen gibt es nämlich für die wesentliche Diagnostik keine Abrechnungsmöglichkeit. Die sogenannte Polysomnographie wird in Deutschland also anders als in Frankreich, Schweiz, USA und vielen anderen Ländern nicht bezahlt. Wir sind hierzulande die einzige Klinik, die sich eigen finanziert schwerpunktmäßig überhaupt noch mit diesen Ein- und Durchschlafstörungen aus dem psychiatrischen und neurologischen Bereich beschäftigen. Das heißt konkret: Bei jedem dritten Patienten, den wir untersuchen und behandeln, zahlen wir drauf. Es wird Zeit, dass sich das ändert – vor allem für die Millionen Betroffen hierzulande.

Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Kunz.
Das Interview führte Beate Wagner.

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