Frau im Arztkittel hält eine Narkosemaske (Quelle: colourbox)
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Interview | Hirnschaden nach Operation? - Risiko Narkose

Operationen sind, was die Narkose angeht, sehr sicher geworden. Unter 100.000 Menschen, die eine Narkose bekommen, stirbt einer. Doch nimmt man alle Eingriffe zusammen, bei denen eine Narkose notwendig ist, erleiden durchschnittlich 15 Prozent der über 65-Jährigen ein Delir. Das heißt, einen Zustand geistiger Verwirrung mit Störungen der Aufmerksamkeit, des Bewusstseins und des Denkvermögens.

Ein erlittenes Delir führt nicht selten dazu, dass Patienten nach einer Operation deutliche Einschränkungen ihrer Autonomie erfahren oder gar zum Pflegefall werden.
 
Wie man das verhindern kann, darüber sprach "rbb Praxis" mit Prof. Dr. Claudia Spies. Sie ist Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin an der Charité in Mitte und am Virchowklinikum.

Was ist ein Delir überhaupt?

Delir ist die häufigste Organfunktionsstörung -  hier ist das Gehirn gemeint -  nach einem operativen Eingriff. Das heißt, ein Delir erleiden im Durchschnitt zehn Prozent in allen Altersgruppen.  Die Vorstellung, dass Patienten durch ein Delir sehr unruhig oder auch aggressiv sind, stimmt nur in wenigen Fällen. Die meisten Patienten sind nach der Operation eher ruhig, sie äußern sich nicht, sie erleben sich in einer anderen Umgebung, in der sie sich nicht orientieren und an die sie sich nur angstvoll erinnern können. Für ältere Menschen ist ein Delir mit einem größeren Risiko verbunden. Denn wenn das Delir länger anhält und Hirnzellen auch absterben, dann kann sich das Gehirn nicht mehr so leicht regenerieren  und dann können sich auch kognitive Schäden entwickeln. Aber auch jüngere Menschen leiden oft noch längere Zeit nach einem Delir unter kognitiven Einschränkungen. Wir hatten eine Pianistin, die konnte ihre Partitur nicht mehr erinnern.

Wie entsteht ein Delir?

Während der Narkose werden die Hirnströme zwischen verschiedenen Bereichen des Gehirns unterbrochen. Dadurch können die Nervenzellen untereinander nicht mehr kommunizieren, sie verlieren das Bewusstsein und empfinden auch keinen Schmerz. Nach Absetzen der Narkosemedikamente müssen diese Hirnregionen wieder zusammen finden. Wenn das nicht richtig gelingt, kann das eine Ursache für ein Delir sein. Deshalb ist es so wichtig, dass während der Narkose die Hirnströme mit Hilfe eines EEG's  gemessen werden, um eine zu tiefe Narkose zu vermeiden.

Wie kann ein Delir verhindert werden?

Wir wissen, dass kognitive und funktionelle Einschränkungen, die schon vor der O.P. bestehen, das Risiko für ein Delir um ein Vielfaches erhöhen können. Daher machen wir in unserer Anästhesieambulanz ein so genanntes "Frailty-Assessment", einen Test auf Gebrechlichkeit, der dieses Risiko einschätzten kann. Dann wissen wir, welche Patienten wir besonders intensiv überwachen und begleiten müssen.  

Was können Patienten und Angehörige selbst tun?

Patienten sollten sich auf ihre Operation vorbereiten, indem sie auf jeden Fall Hör- und Sehhilfen mit ins Krankenhaus mitbringen. Wenn ich nichts höre und schlecht sehe nach einer Operation, dann ist das Risiko, dass ich mich nicht orientieren kann, natürlich größer. Die Schwierigkeit, sich zu erinnern und zu orientieren, wird einerseits durch das Delir ausgelöst, andererseits verschlimmert diese Erinnerungslücke das Delir zusätzlich. Deshalb ist es auch wichtig, dass Angehörige da sind und  vielleicht Fotos mitbringen, die den verwirrten Patienten sich wieder besser erinnern lassen.  Vonseiten des Krankenhauses wäre es von Vorteil, wenn  Patienten mit einem Delir möglichst von einer oder nur wenigen verschiedenen Pflegekräften betreut würden. Es erleichtert ihnen die Orientierung, wenn sie nicht ständig andere Gesichter sehen.

Welche Rolle spielt die Flüssigkeitszufuhr vor einer Operation?

Wichtig ist, dass der Körper vor und während der O.P. nicht zu stark dehydriert, also austrocknet. Manchmal ergeben sich durch das Verschieben von Operationen Karenzzeiten von mehr als zehn Stunden, in denen die Patienten nichts trinken. Wenn sie mit diesem Flüssigkeitsmangel in die O.P. gehen, dann haben sie oft die Situation, dass die Organe, also Gehirn, Herz und Nieren, nach der Operation nur erschwert ihre normale Funktion wieder aufnehmen können. Der höchste Risikofaktor für Delir im Aufwachraum, unmittelbar nach der Operation ist eine  Flüssigkeitskarenz, die vorher zu lange gedauert hat. Die Chirurgen und Anästhesisten habe sich daher schon 2004 darauf geeinigt, diesen Zeitraum auf zwei Stunden vor der Operation zu reduzieren.

Welche Faktoren bei älteren Patienten spielen noch eine Rolle, die man vielleicht vor der Operation positiv beeinflussen kann?

Wir erheben in unserem "Frailty-Assessment" auf Gebrechlichkeit ja auch die Mobilität. Wenn zum Beispiel jemand eine neue Hüfte bekommen soll, aber über wenig Muskelkraft verfügt, dann kann man vorher gezielt mit demjenigen trainieren. Umso schneller ist er dann mit der neuen Hüfte auch wieder mobil. Auch Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Viele Patienten sind im Alter mangelernährt,  nehmen nicht ausreichend Nährstoffe zu sich. Wenn man das erkennt, kann man vor einer Operation mit einer gezielten Diät gegensteuern. Das führt dann auch zu einer gestärkten Immunabwehr, was zum Beispiel beim Einsatz von künstlichen Gelenken eine wichtige Rolle spielt. Denn Infektionen nach einer O.P. sind ein Risikofaktor für das Entstehen eines Delirs.

Haben diese Ansätze zur Vermeidung eines Delirs Erfolge?

Früher haben wir 15 bis 30 Prozent Delirien gehabt; wir sind jetzt durchschnittlich bei zehn Prozent. Das heißt,  durch unser Management sind die Fälle von Delir schon deutlich zurückgegangen und bei den zehn Prozent haben wir deutlich kürzere Delirraten, das heißt der kognitive Schaden, den wir sehen, der ist deutlich nach unten gegangen.

Was könnte sich in Zukunft noch verbessern?

Bislang können wir ein Delir hauptsächlich durch die Kommunikation, also das Befragen der Patienten nach einer Operation feststellen. Man kann zwar auch im EEG oder im funktionellen MRT gewisse Veränderungen im Gehirn, wie etwa "Verbindungsstörung" zwischen verschiedenen  Hirnhälften darstellen. Aber diese Veränderungen können auch durch andere Störungen verursacht sein. Unser Ziel ist es, ein spezifisches "Delir-Monitoring" zu entwickeln, das verschiedene Faktoren erhebt, die möglichst exakt auf ein Delir hinweisen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm