Senior sitz in Küche mit Minifernbedienung zum Notruf in Hand (Bild: imago images/Shotshop)
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Seniorenwohnungen: Chance für ein selbstbestimmtes Wohnen - So lange wie möglich zu Hause wohnen

So lange wie möglich alleine wohnen – das wünschen sich viele Menschen. Doch gerade im Alter kann schon ein hoher Küchenschrank eine echte Gefahrenquelle sein. Welche technischen Hilfen möglich sind, um dennoch in der eigenen Wohnung zu bleiben, ist einer sogenannten Ermündigungswohnung zu sehen – zum Beispiel in Berlin-Marzahn. Die rbb-Praxis hat Anja Schlicht von der Gesundheits GmbH gesprochen.

Anja Schlicht ist Teamleiterin im Marketing bei der GesundHeits GmbH Deutschland.

Frau Schicht, welche Erleichterung bringt eine Ermündigungswohnung?

Das Projekt Ermündigung ist ja von der OTB initiiert worden, um Menschen zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, lange und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen zu können. Deshalb ist das Projekt eine Erleichterung dahingehend, dass man erst einmal aufgeklärt und informiert wird. Das ist tatsächlich das große Manko bei allen Besuchern, die wir haben. Die haben sich zwar mit dem Thema auseinandergesetzt, wissen aber oftmals gar nicht, welche Möglichkeiten es gibt. Und nun ist die Muster-Ermündigungswohnung so eingerichtet, dass man dort viele Hilfen ansehen und ausprobieren kann. Hier kann man sich inspirieren lassen und nach eigenen Bedürfnissen und räumlichen Gegebenheiten auswählen, was einem selbst oder seinen Angehörigen eine Erleichterung sein kann.

Man sucht sich also selbst raus, was für einen wichtig ist?

Genau. Es ist praktisch eine Art Warenhaus, in dem man sich bestimmte Lösungen raussuchen kann. Ganz individuell. Und zu der gewählten Lösung, gibt es dann unterschiedliche Ansätze. Also zum Beispiel das Aufstehbett, so wie es in der Ermündigungswohnung steht. Da steht man zur Seite auf, aber wenn Sie nun keinen Platz haben zur Seite aufzustehen, dann gibt es auch eine Variante, wo man am Fußende aus dem Bett steigen kann. Wir zeigen eine Idee, die dann auf die individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann.

Senior mit Smarthome Bedienung und Tee auf Sofa (Bild: Colourbox)
Für wen sind Ermündigungswohnungen gedacht?

Der etwas kuriose Name "Ermündigung" kommt daher, weil wir keine festgelegte Zielgruppe haben. Wir richten uns zum Beispiel nicht nur an Senioren und ihre Angehörigen oder an Menschen mit Beeinträchtigung. Auch eine gesunde, junge Familie findet dort Dinge, die schon beim Bau oder Umbau berücksichtigt werden können. Zum Beispiel eine begehbare Duschwanne oder eine ebenerdige Dusche. Das ist zum Beispiel auch etwas für eine Familie mit kleinen Kindern. Denn so eine normale Wanne, deren Einstieg höher ist, birgt für jedes Alter ein Unfallrisiko.

Welche speziellen Hilfen gibt es für ältere Menschen?

Die Sturzgefahr in den eigenen vier Wänden ist hoch. Gerade wenn man als älterer Mensch eine Leiter oder einen Hocker nutzt, um oben im Schrank Dinge zu erreichen, birgt das ein hohes Unfallrisiko. Deshalb gibt es einen absenkbaren Küchenschrank, der ihnen auf Knopfdruck entgegenkommt. So kann man bequem und ohne Risiko alles erreichen. Oder aber die Herdabschaltautomatik. Es passiert ganz häufig, dass ältere Menschen den angeschalteten Herd vergessen und es dann brennt. Unbeaufsichtigte Herde gehören statistisch zu den häufigsten Brandursachen. So gibt es nahezu für jeden Herd einen Sensor und eine vom Fachmann installierte Abschaltautomatik. Der Sensor misst dann die Wärmeentwicklung und auch die Bewegung. Das heißt, wenn man sich zum Beispiel fünf Minuten nicht vor dem eingeschalteten Herd bewegt, schaltet der sich automatisch ab.

Fremdeln ältere Menschen Ihrer Erfahrung nach mit diesen technischen Lösungen eher?

Wir haben bewusst Wert daraufgelegt, mit so wenig Technik wie möglich auszukommen. Man kann ja heute viele Dinge in der Wohnung auch mit dem Smartphone oder dem Tablet steuern. Auf diese Möglichkeiten haben wir in der Ermündigungswohnung bewusst verzichtet. Gerade bei den Älteren ist die Akzeptanz doch sehr gering. Das ändert sich natürlich auch mit der nachrückenden Generation. Oft stehen unsere älteren Besucher allzu technischen Lösungen sehr skeptisch gegenüber. Wenn es nötig ist, neuartige Technik zu bedienen, sinkt schlagartig die Akzeptanz und das Interesse. Viele sagen dann: Damit will ich mich nicht beschäftigen. Das ist mir zu kompliziert, das verstehe ich nicht. Das ist der Unterschied zwischen den betroffenen Senioren und den Angehörigen. Die Angehörigen sind meistens sehr viel jünger und vertrauter mit moderner Technik.

Nach welchen Kriterien ist die Ermündigungswohnung entwickelt worden?

Das Kriterium Nummer eins ist, selbstbestimmt zu bleiben. Das heißt, der Bewohner wird nicht  überwacht und nicht in seinen gewohnten Abläufen eingeschränkt. Das war und ist ganz wichtig für das Konzept und das erklären wir unseren Gästen auch immer. Sie sind trotzdem in ihrer Wohnung ihr eigener Herr. Nur im Notfall wird jemand außerhalb der Wohnung benachrichtigt und kann dann eingreifen. Das Zweite Kriterium ist: So viel Technik wie nötig, aber so wenig Technik wie möglich. Die Technik soll sich möglichst im Hintergrund halten und somit eine akzeptierte Erleichterung und keine Hürde sein.

Muss ich den Umbau selbst zahlen oder gibt es jemanden, der das wenigstens anteilig übernimmt?

Die Kosten spielen natürlich immer eine große Rolle. Man sollte sich aber bewusst sein, dass sich viele Lösungen schnell bezahlt machen. Allein die Unfallprävention zahlt sich hier schnell aus. Natürlich gibt es Produkte, die man über die Pflege- oder Krankenkasse beantragen kann. Diese müssen genehmigt werden und können dann eingebaut werden. Unsere Rehaberater kommen nach Hause, beraten und erstellen Kostenvoranschläge für die Kostenträger. Es gibt auch Förderprogramme, die altersgerechte oder barrierefreie Umbauten unterstützen. Einiges muss selbst finanziert werden.

Hat die Pflegestufe denn etwas mit der Erstattungsleistung zu tun?

Das kann man so nicht pauschalisieren. Welches Hilfsmittel benötigt wird, hängt immer von der  Indikation und der Mobilität des Patienten ab. Unsere Experten können auf viel Erfahrung zurückgreifen und wissen oftmals schon, welche Möglichkeiten es gibt.

Gerade bei älteren Menschen sind es ja oft die Angehörigen, die sich Sorgen machen, weil beispielsweise die alte Mutter noch alleine wohnen will. Welche Hilfsmittel gibt es da?

Da gibt es wirklich viele – auch einfach umsetzbare - Möglichkeiten. Man kann mit Sensoren arbeiten, zum Beispiel ein Sensor an der Wohnungstür oder einen Bewegungsmelder im Flur, am Fenster oder auch einen Wasserflusssensor. Durch diese verschiedenen Sensoren kann man aus der Ferne feststellen, ob Aktivität in der Wohnung ist oder es Aktionen zu ungewöhnlichen Zeiten gibt. Wenn zum Beispiel nachts die Wohnungstür geöffnet wird, den ganzen Vormittag kein Wasser entnommen wurde oder die Fenster im Winter permanent offen stehen. So kann man als Angehöriger Abweichungen feststellen und Hilfe organisieren, auch wenn man nicht am gleichen Ort wohnt.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schlicht.
Das Interview führte Laura Will.

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