Symbolbild Bluthochdruck: Tabletten und Stethoskop auf EKG (Quelle: Colourbox)
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Bluthochdruck-Behandlung - 120 ist das neue 140

Eine neue Studie stellt die bisherige Behandlung von Bluthochdruck in Frage. Patienten, deren oberer Blutdruckwert auf 120 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) gesenkt worden war, waren besser vor Herz-Kreislauferkrankungen geschützt, als Patienten, deren oberster Wert nur auf 140 abgesenkt worden war. Was bedeutet das für die Behandlung? Soll jetzt bei allen Patienten der Wert derart stark abgesenkt werden? Und gibt es auch Risiken der extremen Absenkung?

Die Studie

Die sogenannte SPRINT-Studie wurde über drei Jahre von Forschern der Case Western Reserve University in Cleveland in den USA durchgeführt. Insgesamt knapp 9500 Menschen haben daran teilgenommen. Alle hatten einen erhöhten Blutdruck mit einem oberen Wert zwischen 130 und 180, sowie ein erhöhtes  Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen oder eine bestehende HKL-Erkrankung. Das Durchschnittalter lag bei rund 68 Jahren; Diabetiker oder Menschen, die bereits einen Schlaganfall erlitten hatten, waren von der Studie ausgeschlossen.

Im September 2015 wurde die Studie vorzeitig beendet, weil die Therapieergebnisse für einen Teil der Patienten so viel überzeugender waren, dass man sie den anderen Probanden nicht vorenthalten wollte. Es zeigte sich nämlich, dass sich eine Blutdrucksenkung auf 120 mmHg deutlich positiver auf die Gesundheit der Probanden auswirkte, als eine Blutdrucksenkung auf 140 mmHg. So war das Risiko, während des Untersuchungszeitraums zu versterben, bei der strengen Blutdrucksenkung  um 25 Prozent geringer als in der Gruppe, die sich mit einer Blutdrucksenkung auf 140 mmHg zufrieden gab.  Das Risiko, eine Herzschwäche zu erleiden, war um 38 Prozent niedriger. Allerdings war in der strengen Behandlungsgruppe das Risiko, eine Nebenwirkung zu erleiden mit 4,7 Prozent fast doppelt so hoch wie in der weniger strengen Gruppe. Unter anderem lag das Risiko, ein akutes Nierenversagen zu erleiden, um  66 Prozent erhöht.

Neue Behandlungsrichtlinien?

Die Forscher der Case Western University  und auch die Deutsche Hochdruckliga ziehen aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass sich die Behandlung des Bluthochdrucks ändern muss. "Die Ergebnisse werden Eingang in die weltweiten und deutschen Leitlinien finden und diese maßgeblich verändern", sagt etwa Prof. Dr. Martin Hausberg, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga. Bis das geschehen ist, müssen die Studienergebnisse aber noch genauer betrachtet werden. So schränkt auch Prof. Hausberg ein: "Die Ergebnisse der SPRINT-Studie lassen sich nicht auf alle Hochdruckkranken übertragen. Sie gelten für Patienten mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, die nicht unter Diabetes leiden und noch keinen Schlaganfall erlitten haben."

Risiken einer strengen Hochdruckbehandlung

Die Absenkung des Blutdrucks auf 120 mmHg birgt auch das Risiko von zum Teil gefährlichen Nebenwirkungen. Neben Kreislaufschwäche und einem Mangel an Kalium und Natrium,  war das Risiko, ein akutes Nierenversagen zu erleiden in der strengen Behandlungsgruppe um 66 Prozent höher als in der Gruppe, die nur eine moderate Blutdrucksenkung erfahren hatte. Die Nieren reagieren empfindlich, wenn der Blutdruck zu schnell abgesenkt wird, das bestätigt auch Nierenexperte Dr. Thomas Dietz aus Berlin. "Wenn wir einen Hochdruck-Patienten mit einer schon bestehenden Nierenschwäche  auf einen Blutdruck von 120 zu 70 einstellen, kann es sein, dass der arterielle Druck nicht mehr ausreicht, um dem an Hochdruck gewöhnten Nierenorgan ausreichend Durchblutung anzubieten, so dass die Nieren plastisch gesprochen sagen:  für den Druck arbeiten wir nicht." Darüber hinaus mussten die Patienten, um die strengere Blutdrucksenkung zu erreichen, im Durchschnitt drei Medikamente einnehmen. In der weniger strengen Gruppe waren es stattdessen zwei; auch das mindert das Risiko von Nebenwirkungen. Diabetiker waren in die SPRINT-Studie nicht einbezogen. Die so genannte ACCORD-Studie, die ähnlich angelegt war wie die SPRINT-Studie, hatte für Diabetiker mit Hochdruck keinen positiven Effekt einer Blutdrucksenkung unter 130 mmHg ergeben.

Eine Studie ist nicht der Alltag

Kritiker einer allzu strengen Blutdruckabsenkung führen an, dass die gute Kontrolle im Rahmen einer Studie, nicht mit den Bedingungen im hausärztlichen Alltag zu vergleichen ist. So wurde im Rahmen der SPRINT-Studie die Medikamenteneinnahme genau überprüft und auch der Blutdruck unter sehr kontrollierten Bedingungen gemessen. In der Praxis kann der so genannte Weißkittel-Effekt schon mal dazu führen, dass ein zu hoher Blutdruck gemessen wird. Eine strenge Einstellung des Wertes durch Medikamente kann dann schon mal über das Ziel hinaus schießen.
 
Klar ist: eine Absenkung des Blutdrucks auf 120 mmHg kann einer bestimmten Gruppe von Hypertonikern, die ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie einen Herzinfarkt haben, helfen, länger zu leben. Dazu müssen sie aber auch sehr engmaschig kontrolliert werden, um vor allem die möglichen Nebenwirkungen im Auge zu behalten.

Beitrag von Ursula Stamm