Spritze sticht in Kanüle mit SARS-CoV-2-Impfstoff (Bild: imago images/ ZUMA Wire)
Bild: imago images/ZUMA Wire

Interview l Forschung unter Hochdruck - COVID-19-Impfstoff: Scheitern (fast) unmöglich

Die gute Nachricht 2020: Schon bald könnte ein SARS-CoV-2-Impfstoff zugelassen sein. Was bei vielen Hoffnung weckt, löst bei einigen Menschen sorgenvolle Fragen aus: Wie sicher wird er sein? Die rbb Praxis hat mit dem Leiter der Forschungsgruppe für Impfstoffforschung an der Berliner Charité gesprochen.

Die Impfstoffforschung geht so schnell voran, wie nie. Elf Impfstoffe haben es in die dritte und härteste Testphase geschafft, drei Kandidaten sind in Zulassungsnähe: BNT162b2 vom deutsch-amerikanischen Duo Biontech/Pfizer, mRNA-1273 vom US-Konzern Moderna und
AZD1222 vom britisch-schwedischen Unternehmen AstraZeneca.

England, die USA und Kanada haben sich für eine Notfallzulassung entschieden und impfen seit Anfang Dezember den Impfstoff von BioNTech/Pfizer. Auch in China und Russland werden schon länger Impfstoffe verabreicht, die in den jeweiligen Ländern entwickelt wurden.
 
Deutschland hat sich gemeinsam mit 27 anderen europäischen Ländern für ein Zulassungsverfahren durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA entschieden. Auf den steigenden öffentlichen Druck hin, wurde das Datum der Begutachtung durch die EMA um eine Woche auf den 21. Dezember vorgezogen. Es ist zu erwarten, dass der BioNTech/Pfizer Impfstoff zugelassen und dann innerhalb von wenigen Tagen ausgeliefert und verimpft wird.

Herr Prof. Sander, kann die Impfstoffzulassung noch scheitern?
 
Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Was natürlich bei jedem Impfstoff oder Arzneimittel passieren kann ist, dass sich im Verlauf noch seltene Nebenwirkungen herausstellen. Dann kann ein Medikament natürlich vom Markt genommen werden.

In welcher Phase würde man das dann feststellen?
 
Bei diesem Impfstoff [Anm. d. Red.: BNT162b2 von Biontech/Pfizer] ist es so, dass die Phase-III-Studie abgeschlossen ist. Das bedeutet, dass alle Probanden jetzt geimpft worden sind und über den vorgegebenen Beobachtungszeitraum von 60 Tagen beobachtet wurden. Die Ergebnisse werden jetzt von den Behörden begutachtet.
 
Wenn die Ergebnisse positiv beschieden wurden, kann eine vorläufige Zulassung erfolgen. Die Probanden werden aber weiter nachbeobachtet, und es könnte sich in diesem Nachbeobachtungszeitraum immer noch etwas ergeben.
 
Eine andere Möglichkeit wäre, wenn das Medikament im Einsatz ist - das nennt man dann Phase IV - und sich dann, wenn vielleicht Millionen von Menschen geimpft wurden, in ganz seltenen Fällen Nebenwirkungen zeigen sollten. Dann gibt es theoretisch die Möglichkeit, das Medikament aus dem Verkehr zunehmen. Aber aktuell würde es mich sehr wundern, wenn der Impfstoff nicht zugelassen würde.

Wie läuft die Zulassung eines Impfstoffs eigentlich ab?
 
Die Firmen schließen ihre Phase-III-Studien ab und überprüfen, ob der primäre Endpunkt erreicht wurde. Das heißt vor der Studie muss ein Ziel definiert sein, das erreicht werden sollte. Im aktuellen Fall soll der Impfstoff verhindern, dass symptomatische SARS-CoV-2-Infektionen entstehen. Wenn dieses Ziel erreicht wurde und auch das Sicherheitsprofil das zulässt, können die gesamten Unterlagen eingereicht werden.
 
Dieses Mal war es allerdings so, dass man in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren schon während der laufenden Studie, Zwischenergebnisse einreichen konnte. Dadurch konnten sich die Zulassungsbehörden schon früh ein Bild von den erhobenen Daten machen. Das bildet die Grundlage dafür, dass die Behörden eventuell schon früh eine Zulassung aussprechen können.

Viele Menschen sind besorgt, dass wegen der hohen Geschwindigkeit der Zulassung der Impfstoff nicht sicher sein könnte. Wie ist da Ihre Einschätzung?
 
Da kann ich beruhigen, denn es wurde nicht an der Zeit gekürzt, in der auf die Sicherheit des Impfstoffs geschaut wird. Die sonst lange Dauer bei der Zulassung liegt an den Phasen, die zwischen der klinischen Erprobung und den behördlichen Genehmigungsprozessen liegen. Was hinzukommt ist, dass normalerweise die Testphasen nacheinander durchlaufen werden müssen, und man immer die jeweiligen Ergebnisse überprüft.
 
Erst dann entscheiden Firmen, ob sie in die nächste klinische Phase investieren wollen. Denn das ist immer ein großes finanzielles Risiko. Im Fall des COVID-19-Impfstoffs ist es so, dass die Regierungen viel Geld zur Verfügung gestellt haben, sodass während die eine Phase noch lief, schon direkt die weitere Logistik finanziert werden konnte. Damit wurden Jahre eingespart.
 
Zudem haben die Firmen selbst investiert. Es wurde also vor allen Dingen in der Entwicklung Zeit gespart, weil man direkt vorinvestiert hat. Zudem hat man schon früh begonnen, zu produzieren. Woran nicht gespart wurde ist die Beobachtungszeit der Probanden.

Die Wirksamkeit des Impfstoffs soll bei etwa 90% Prozent liegen – ist das ein besonders guter Wert?
 
Die Wirksamkeit der zwei Impfstoffe liegt sogar darüber, wenn man den Zwischenergebnissen glaubt. Die liegen bei 95% Prozent. Das ist schon außergewöhnlich gut. Es gibt auch eine Reihe anderer Impfstoffe, die so gut sind - zum Beispiel der Rötelnimpfstoff oder Tetanusimpfstoffe sind sehr gut, die landen bei über 95%.
 
Aber es gibt gerade gegen Atemwegsinfektionen eine Reihe Impfstoffe, wie der Grippeimpfstoff oder der Impfstoff gegen Pneumokokken, die sind viel schlechter. Die liegen eher bei 60% oder deutlich darunter. Von daher sind diese COVID-19-Impfstoffe schon außergewöhnlich gut.

Der Impfstoff braucht zwei Dosen, bis er wirksam ist – welches Wirkprinzip steckt dahinter?
 
Viele Impfstoffe werden zwei Mal gegeben, das hängt mit unserem Immunsystem zusammen: Unser Immunsystem wird durch die Impfung angeregt, ein Immungedächtnis auszubilden. Damit das Immunsystem ein Gedächtnis und eine starke Antwort ausbildet, braucht es einen längeren Kontakt mit dem sogenannten Antigen.
Das Antigen ist die Struktur, die das Immunsystem erkennen kann. Wenn das eine ganze Weile im Körper ist, merkt sich das Immunsystem das und bildet eine Gedächtnisantwort und eine noch stärkere Antikörperantwort.
 
Genau das kann man provozieren, in dem man einen Impfstoff zwei Mal mit einem gewissen Abstand gibt. Dadurch wird das Immunsystem noch mal angeregt, bildet dann ein Gedächtnis aus und es amplifiziert und verstärkt dann noch mal die Immunantwort. Das nennt man Prime-Boost und ist ein ganz herkömmliches Prinzip bei Impfungen.

Ist es sinnvoll, unterschiedliche Impfstoffe zu haben?
 
Perspektivisch ist es sicher sinnvoll, verschiedene Hersteller und Plattformen zu haben. Es kann immer Probleme mit der Herstellung oder Auslieferung geben. Zumal man sich auch nicht von bestimmten Herstellern abhängig machen will.
 
Es ist auch gut, Impfstoffe mit unterschiedlichen Wirkprinzipien zu haben, weil sich ja im Verlauf immer noch herausstellen könnte, das bestimmte Impfstoffe, bei bestimmten Personen oder Bevölkerungsgruppen besser wirken. Oder es könnte sein, dass bei einem Impfstoff eine bestimmte Nebenwirkung doch häufiger auftritt. Deswegen ist es tatsächlich ein Vorteil, mehrere Impfstoffe zu haben.

Info: Wie funktionieren die ersten beiden aussichtsreichsten Impfstoffe?

Die künstlich hergestellte mRNA enthält den Bauplan für ein spezielles Eiweiß des Coronavirus. Die Zellen beginnen dann selbst, gemäß "Bauplan", das Viruseiweiß herzustellen. Unser Immunsystem erkennt es als fremd und produziert Abwehrkörper, die dann auch vor dem echten Virus schützen.

Die künstlich hergestellte mRNA wird nicht ins das Erbgut eingebaut und zerfällt nach kurzer Zeit. Befürchtungen, durch die COVID-19-Impfung könne es zu Ergutveränderungen kommen, sind also unbegründet.

Kann es sein, dass das Virus in kurzer Zeit so mutiert, dass der Impfstoff schon bald wirkungslos ist?
 
Das ist sehr unwahrscheinlich. Corona-Viren verändern sich nicht so schnell. Es kann aber schon sein, dass es im Verlauf zu einer Veränderung kommen könnte. Es ist aber eigentlich aufgrund der Art des Virus nicht davon auszugehen, dass es rasch zu einer Mutation kommt, bei der die Impfstoffe ihre Wirksamkeit verlieren.

Ab wann wird wieder ein normaleres Leben möglich sein?
 
Diesen Winter werden die Impfstoffe nicht helfen, da brauchen wir weiter die allgemeinen Hygienemaßnahmen, um die Ausbreitung zu verlangsamen, beziehungsweise zu verringern. Wenn wir um die Jahreswende mit dem Impfen beginnen, wird es noch eine ganze Weile dauern, bis relevante Teile der Bevölkerung geimpft sind. Das heißt, man muss immer noch aufpassen.
 
Meine Hoffnung ist, dass wir bis zum nächsten Herbst weite Teile der Risikopopulation geimpft haben und auch andere Teile der Bevölkerung mit Impfstoff versorgt haben. Dann könnten die schweren Verläufe, die Todesfälle und die Intensivbelegung in Krankenhäusern soweit sinken, dass nicht mehr so ein Druck auf dem Gesundheitssystem ist.

Prof. Dr. Sander, danke für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will (veröffentlicht: 23.11.2020)
Update: Ursula Stamm (veröffentlicht: 18.12.2020)

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