Weibchen beim Blutsaugen auf menschlichem Arm (Quelle: imago/blickwinkel)
Bild: imago/blickwinkel

Interview | West-Nil-Fieber in Deutschland - Durch Mücken angesteckt

Im September dieses Jahres hat sich zum ersten Mal in Deutschland ein 70-jähriger Mann aus der Nähe von Leipzig mit dem West-Nil-Fieber angesteckt. Und zwar nicht, indem er das Virus aus dem Ausland mitgebracht hat, sondern durch den Stich einer ganz normalen Stechmücke, wie sie bei uns landauf landab vorkommt.

Ob es sich hier um einen Einzelfall handelt und warum heimische Mücken plötzlich tropische Krankheiten übertragen, darüber sprach rbb Praxis mit Prof. Tomas Jelinek, dem Medizinischen Direktor des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedizin.

Warum hat die Meldung über diesen Fall überhaupt Schlagzeilen gemacht?

Das Neue ist, dass das West-Nil-Fieber bei uns in Deutschland noch nie übertragen wurde, das war immer eine Krankheit, die "importiert" wurde. Jetzt ist es bei uns durch Zugvögel übertragen worden und kann deswegen über Mücken auch auf den Menschen übertragen werden. Dafür muss man nicht mehr ins Ausland fahren.

Wie genau sieht der Übertragungsweg aus?

Die Mücken, die jetzt hier in Deutschland das West-Nil-Virus übertragen haben, gehören zu Gruppe der Culicidae, die nicht im Haus, sondern auf den Feldern unterwegs sind. Das Besondere an diesen Mücken ist, dass ihnen egal ist, was sie stechen, anders als etwa bei den Tigermücken, die hauptsächlich Menschen stechen. Die Culicidae stechen alles, was Blut hat und wenn die auf einem Feld sitzen, wo viel Zugvögel rasten, dann stechen sie diese Vögel. Die Mücke zieht dabei Blut aus den mit dem West-Nil-Fieber infizierten Vögeln und dann übertragen sie das auf den ein oder anderen Menschen. Das Neue ist, dass die Zugvögel jetzt häufiger infiziert sind und das West-Nil-Fieber auf diesem Weg auf den Menschen übertragen werden kann.

Es ist von mehreren hundert Menschen die Rede, die sich in Deutschland mit dem West-Nil-Fieber infiziert haben. Stimmt diese Schätzung?

Diese Schätzung stimmt. Wir wissen über das West-Nil-Virus relativ gut Bescheid, weil das Virus in den späten 90iger Jahren in die USA eingeschleppt wurde und damals recht gute Studien gemacht wurden. Das heißt, wir wissen, dass auf jeden Infizierten, der schwer krank wird, der zum Beispiel eine Gehirnentzündung bekommt, etwa 150 Infizierte kommen, von denen die meisten gar nichts merken oder allenfalls leichte Grippebeschwerden bekommen. Diese Menschen haben das Virus aber trotzdem im Blut und können es weitergeben. Und zwar wiederum durch Mücken, die diese "stumm" infizierten Menschen stechen. Das Hauptreservoir für das West-Nil-Virus sind allerdings Zugvögel. Der Mensch ist nämlich im Grunde ein so genannter Fehlwirt; in Vögeln können sich die Viren weitaus besser vermehren.

In Regionen, in denen vermehrt Tiere mit dem West-Nil-Virus gefunden wurden, wurden rund 2.000 Blutspenden auf das West-Nil-Virus untersucht. Ist das gerechtfertigt?

Keine dieser Blutproben enthielt das Virus. Allerdings muss man sagen, dass das Hauptrisiko für die Übertragung des West-Nil-Virus von Mensch zu Mensch, tatsächlich die Blutspende ist. Eine solche Situation gab es vor ein paar Jahren in Griechenland, wo es vermehrt West-Nil-Infektionen gab. Sie dürfen in Gebieten, wo West-Nil vorkommt, keine Blutspenden mehr annehmen, weil in den Blutspenden das Virus enthalten sein könnte. Das hat damals in Griechenland zu Engpässen in der Versorgung mit Blutkonserven geführt. Eine gewisse Vorsicht ist also angebracht. Allerdings verringert sich das Risiko derzeit auch wieder, weil die Zugvögel langsam alle vorbeigezogen sind. Im Frühjahr, wenn die Zugvögel zurückkehren, ist das Risiko auch gering, weil da die Mücken noch nicht aktiv sind. Das heißt, es gibt eigentlich nur ein relativ kurzes Zeitfenster, im Herbst, wo das Risiko für eine West-Nil-Infektion steigt. Für diese Zeit könnte man diskutieren, ob man Blutproben auf das West-Nil-Virus untersucht, aber eine generelle Empfehlung halte ich für nicht angebracht.

Wie gefährlich ist das West-Nil-Virus für den Menschen und wie macht sich eine Infektion bemerkbar?

Wenn jemand durch West-Nil wirklich erkrankt, kann das durchaus gefährlich werden, weil es auch keine wirkliche Behandlung gibt. Etwa fünf Prozent der Infizierten bekommen milde grippale Symptome, das ist harmlos, das dauert ein paar Tage und dann geht es weg. Einer von 150 Infizierten bekommt eine Entzündung des Gehirns, die zu Folgeschäden wie Konzentrationsstörungen, Krampfanfällen, Persönlichkeitsveränderungen und Ausfällen bestimmter Nervenfunktionen führen kann. Wenn, dann treten die Symptome einer West-Nil-Infektion relativ schnell auf, innerhalb von vierzehn Tagen nach der Infektion.

Wie wird eine Gehirnentzündung durch das West-Nil-Virus dann behandelt?

Überhaupt zu erkennen, dass eine Enzephalitis, eine Gehirnentzündung, durch das West-Nil-Virus (WNV) hervorgerufen wurde, ist sehr schwierig. Es gibt dabei keine typischen Symptome oder Ausfallerscheinungen, die auf das WNV hinweisen. Da man auch keine ursächliche Behandlung gegen das WNV hat, wird eine solche Enzephalitis rein symptomatisch behandelt.

Gibt es eine Impfung gegen das West-Nil-Virus?

Bislang gibt es eine solche Impfung nur für Pferde. An einer Impfung für den Menschen wird schon seit einigen Jahren gearbeitet. Doch bis die verfügbar ist, wird es noch etwa fünf bis sechs Jahre dauern.

Warum sind vor allem Menschen in ländlichen Gebieten betroffen?

Das hat damit zu tun, dass die Überträger des West-Nil-Virus vor allem Tiere, im Speziellen Vögel sind. Und, dass diese ländliche Mückenart bevorzugt das Virus vom Vogel auf den Menschen überträgt. Von daher ist das West-Nil-Fieber eher eine Erkrankung, die in ländlichen Gebieten entsteht.

Spielen die höheren Durchschnittstemperaturen in Deutschland bei der Ausbreitung auch eine Rolle?

Generell haben wir durch die wärmeren Temperaturen in Deutschland inzwischen Mückenarten, die es hier vorher nicht gab, wie etwa die Tigermücke. Das spielt bei West-Nil-Fieber aber keine so große Rolle, da die Mücken, die dieses Virus übertragen hier schon lange heimisch sind. Was sich verändert hat, sind die Flugrouten der Zugvögel und auch die erhöhte Anzahl von Zugvögeln, die mit dem West-Nil-Virus infiziert sind. Ob das mit dem Klimawandel zusammenhängt, kann ich allerdings nicht sagen.

Ist im nächsten Jahr mit steigenden Zahlen von West-Nil-Infektionen zu rechnen?

Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten hat die Infektionszahlen sehr gut aufgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass in den Ländern, wo West-Nil neu aufgetreten ist, sich dort die Fallzahlen in den Folgejahren gesteigert haben.  Das war zum Beispiel auf dem Balkan und in Italien so und es wird sehr wahrscheinlich auch bei uns so sein. Es ist aber nicht so, dass ich in Zukunft große Ausbrüche erwarte.

Wie kann ich mich vor einer Infektion mit dem West-Nil-Virus schützen?

Im Moment ist guter Mückenschutz das Einzige, was man tun kann, solange keine Impfung zur Verfügung steht. In der Hauptrisikozeit könnte eine Kontrolle der Blutspenden sinnvoll sein, dort wo es zu Ausbrüchen von West-Nil-Fieber gekommen ist.

Steigt generell die Gefahr, dass immer mehr tropische Erkrankungen hierzulande durch Mücken übertragen werden?

Wir beobachten, dass Tigermücken sich in Deutschland immer weiter ausbreiten. Das heißt, die Gefahr sich mit tropischen Viruserkrankungen wie Zika, Dengue oder Chikungunya zu infizieren, steigt. Dass ist ja dieses Jahr auch in Frankreich passiert, dass Zika dort übertragen wurde. Zu einzelnen Fällen wird es daher sehr wahrscheinlich auch in Deutschland immer wieder kommen, ich gehe allerdings auch hier nicht von größeren Ausbrüchen aus.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Jelinek.
Das Interview führte Ursula Stamm.

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