Impfpass mit Schrift Influenza unter Spritze und Stift (Bild: imago images/Schöning)
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Interview l Grippeschutzimpfung in COVID-19-Zeiten - Impfen: Die Immunantwort der Älteren

SARS-CoV-2 ist nicht allein - auch andere, z.B. Grippeviren, rücken uns im Winter gefährlich zu Leibe. Auch das RKI rät darum zur Impfung. Doch für die, die Impfschutz am nötigsten brauchen, ist er am schwersten aufzubauen und hat oft Nebenwirkungen. Welche Veränderungen machen es dem älteren Immunsystem schwerer Gegner kennen zu lernen? Fragen an Prof. Dr. Andreas Thiel, Leiter der Regenerativen Immunologie an der Charité Berlin.

Der Winter kommt und mit ihm niedrige Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit und Menschen, die sich eher in geschlossenen Räumen tummeln. Angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie erhöhen sich dadurch die Ansteckungsrisiken - auch, weil in dieser Jahreszeit ohnehin mehr Menschen an Atemwegserkrankungen leiden und bei einer Kreuzinfektion durch Husten und Schnupfen Viren weiter fliegen könnten, als das bei "symptomfreien Infizierten" der Fall wäre.

Viele Mediziner*innen machen sich gerade im Zusammenhang mit den alljährlichen Grippeviren Sorgen: nicht nur, weil Betroffene von COVID-19 und der Grippe gesundheitlich stark gefährdet sind. Eine große Zahl von Grippeerkrankten, zusätzlich zur aktuellen Pandemielage, könnte auch Krankenhäuser und medizinisches Personal (schneller) an Kapazitätsgrenzen bringen.

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) rät deshalb in dieser Saison zur Grippeschutzimpfung.
Insbesondere ältere Menschen ab 60 Jahren, hochaltrige Menschen und Menschen mit Grunderkrankungen hätten Risiken für einen schweren Verlauf - sowohl bei COVID-19, wie auch der Influenza, so das RKI.
 
Doch je älter wir werden, desto schlechter baut unser körpereigenes Abwehrsystem Immunschutz gegen Krankheiten auf - so brauchen schließlich Personenkreise ab 70 Jahren sogar oft spezielle Wirkstoffe für Ältere. Warum? Und welche Folgen hat das z.B. für einen schützenden Effekt im Zusammenhang mit SARS-CoV-2?

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Herr Prof. Dr. Andreas Thiel, allgemein liest man oft "Die Immunantwort nimmt im Alter ab" - was heißt das konkret?
 
Da würde ich gern mit Evolution drauf antworten: Wenn man ein paar Tausend Jahre zurück geht, dann lernt man, warum und wie der Mensch sich damals durchgesetzt hat. Natürlich war es wichtig ein gutes Immunsystem zu haben, damit man Kinder kriegen kann und die auch gut groß bekommt. Aber 90 oder gar 100 Jahre alt zu werden war damals nicht biologisch wichtig für die Spezies Mensch.

Dazu kommt etwas, das der frühe Mensch nicht so gemacht hat, wie wir heute: das Reisen. Der Mensch ist eigentlich immunologisch dazu gemacht, dass er weitestgehend in den Regionen bleibt, in denen er geboren wurde und wo er Bakterien und Viren in jungen Jahren kennen gelernt hat. Der frühe Mensch musste sich Zeit seines Lebens gegen diese Keime schützen - aber weitestgehend nicht gegen etwas Neues. Daher das Prinzip vom immunologischen Gedächtnis. Und das hat die Natur so eingerichtet, dass es wunderbar aufnahmefähig ist, bis man in dem Alter ist, in dem man Kinder kriegen kann – dann nimmt die Produktion von neuen, frischen Zellen ab.
Eigentlich braucht man sie auch dank des immunologischen Gedächtnisses nicht – mit den Zellen, die man die ersten 10-20 Jahre so "geprägt" hat, kam der frühe Mensch damals gut klar. Dass man heute auch nach 40 oder 50 Jahren weitere bräuchte, ist evolutionär neu.

Aber tendenziell werden wir trotzdem immer älter - und dabei tendenziell doch gesünder. Wie stark ist der Einfluss von Impfstoffen?
 
Der Mensch ist nicht dazu gemacht mit 50, 60, 70 Jahren noch neue Immunantworten zu entwickeln – in der Evolution wäre es Energieverschwendung gewesen den Körper so zu konzipieren. Dank Medikamenten und vor allem Impfungen geht es uns heute trotzdem gut. Bestes Beispiel: Die Gelbfieberimpfung – einmal geimpft und fast ein Leben lang geschützt. Interessanterweise funktioniert die Impfung auch bei älteren Menschen noch sehr gut, weil es eben ein sehr, sehr guter Impfstoff ist – sehr nah an dem richtigen Patogen.
 
Und viele andere Impfstoffe, die keine Tot- oder Lebendimpfstoffe mehr sind, sondern nur noch Teile davon, sind eben schlechter im Alter für die Immunisierung. Influenzaimpfung wäre da ein Beispiel, Hepatitis B-Impfung – das geht alles im Alter nicht mehr so gut und da sind die Unterschiede eben drastisch, so dass man ab 60/65 Jahren gegen neue Keime immunologisch nicht mehr so gut antworten kann [Anm. d. Redaktion: Also: Ohne guten Impfstoff].

Ist das denn eine Sache der Identifikation oder des Angriffs "neuer" Patogene, also humoral oder zellulär bedingt? Kann man das sagen? Erkennen wir dann neue Feinde zu schlecht oder haben wir nur zu wenig Immunzellen zur Bekämpfung?
 
Man denkt, dass es ein Zusammenspiel von allen beteiligten Faktoren ist - ältere Menschen haben weniger T-Zellen zur Verfügung, die etwas neues erkennen können und man braucht bei den saisonalen Grippeimpfstoffen immer auch ein bisschen sowas Neues. Grippeimpfstoffe sind aber etwas speziell, weil wir alle grundsätzlich Grippeviren schon zigmal “gesehen” haben, durch Impfung oder Erkrankung. Wer also 50 oder 60 ist, dessen Immunsystem hat das auf jeden Fall schon mal in ähnlicher Weise gesehen. Und es gibt eine Art "grundimmunologisches Gedächtnis" bei jedem von uns.
 
Und dann kommt es immer auf den saisonal neuen Grippestamm an – passt der auf das vorhandene Grundgedächtnis, was jemand hat? Oder ist der Virus weiter weg davon? Und je nachdem, wie nahe das zufällig an dem ist, was unser Immunsystem kennt, kann es einen gewissen Schutz geben.
 
Was man aber in vielen Studien gezeigt hat, indem man einfach gesunde, ältere Leute nimmt und mit gesunden jüngeren vergleicht ist, dass die Immunsysteme der Jüngeren besser antworten.

Aber es gibt doch auch spezielle Impfstoffe für Ältere?
 
Ja, es gibt spezielle Impfstoffe für Ältere, da hat man viel Arbeit und Entwicklung investiert, damit sie das ältere Immunsystem mehr triggern, aber nicht die spezifischen T- und B-Zellen sondern das natürliche Immunsystem, so dass dann die spezifischen T- und B-Zellen sozusagen ein bisschen mehr einen Anstoß bekommen könnte man sagen. Die standen auch mal ein wenig in der Kritik, diese Impfstoffe für Ältere, aber ich denke sie sollten nicht so sehr kritisiert werden, weil man vielleicht z.B. als Nebenwirkung beim Einstich einen dickeren Arm bekommt, weil es eigentlich im Grunde funktioniert und weil der Schutz wichtig ist.

Wie ist es denn mit der Möglichkeit die Impfung bei dieser Altersgruppe zu wiederholen, sozusagen in mehreren Schritten vorzugehen?
 
Da muss ich gestehen, kann ich nicht so viel dazu sagen. Man weiß das von Hepatitis B, da gibt es ja auch ein mehrgliedriges Impfschema, da wird es ab dem Erwachsenenalter so gemacht. Das ist dann in Studien sehr gut ausgetestet – was bringt was.

Hintergrund

Immunsystem "lernt" im Alter schlechter

Unser Immunsystem schützt uns im Kampf gegen gefährliche Erreger. Je rascher und besser es sie erkennt, desto effektiver. Das macht sich das Prinzip Impfung zu nutze: Lebende oder tote Erreger werden injiziert, um das Immunsystem "anzulernen" und so zu verhindern, dass eine Krankheit überhaupt ausbrechen kann. So entsteht ein Schutz, den es bei vielen Krankheiten sonst erst dann gegeben hätte, wenn der Körper sie schon einmal überlebte.

Lernen aus Impfung, also lernen aus nicht selbst gemachter Erfahrung, anhand von Beispielen (z.B. durch tote Viren) - diese besondere Lernfähigkeit des Immunsystems ist leider nicht lebenslang gleich gut. Menschen im letzten Lebensdrittel, etwa ab 70 Jahren, und solche mit stark eingeschränktem Immunsystem (auch in anderen Altersgruppen) sind auch deshalb empfindlicher für z.B. Grippeviren oder Sars-CoV-2, weil die Immunantwort abnimmt. So kommt sozusagen auch die warnende Botschaft eines Impfstoffes nicht oder nicht mehr gut an.

Wie wichtig würden Sie denn sagen ist in diesen COVID-19-Pandemiezeiten die Influenzaimpfung?
 
Ich würde sagen: Da wo man Wissen und Mittel dazu hat, respiratorische Erkrankungen zu reduzieren ist das gut und das sollte man nutzen. Punkt aus. Auch wenn man nicht weiß ob und wie stark die Influenza kommen wird – man weiß aus Australien - die hatten ihre Saison ja jetzt schon - dass es viel weniger Influenza dort gab, weil die Leute Masken getragen und Abstandsregeln eingehalten haben. Und dann gibt es natürlich nicht nur weniger SARS-CoV2-Infektionen sondern auch weniger andere Erkrankungen, die per Aerosol oder auf ähnlichem Weg übertragen werden. Wie das aber hier verlaufen wird, ist nicht wirklich vorhersehbar. Es könnte sein, dass es auch hier weniger Erkrankungen geben wird, wenn wir Masken tragen und Abstandsregeln eingehalten werden.
 
Es könnte aber auch sein, dass dann eine Erkrankung verstärkt auftritt, weil Erreger "mehr Platz" haben. Man weiß, dass Erreger, die nichts miteinander zu tun haben, sozusagen miteinander konkurrieren, um sich in einer Population auszubreiten. Wie das genau funktioniert, ist aber noch nicht richtig verstanden.

In der Charité-Corona-Cross-Studie untersuchen Sie mit Ihrem Team, inwiefern Infektionen mit anderen Corona-Viren, z.B. auch Grippeviren, zu einer "besseren" Immunantwort gegen COVID-19 beitragen kann. Was schauen Sie sich da genau an und könnte es auch einen speziellen Effekt für ältere Menschen geben?
 
Wir machen das in zwei Richtungen: Wir testen in Berlin MitarbeiterInnen von Kitas, also Erwachsene, die vermeintlich viel Kontakt mit Erkältungsviren haben. Und wir testen bei denen, welche Art von Immunität gegen die vier verschiedenen Coronaviren besteht, die bei uns in der Erkältungszeit stark verbreitet sind. Daraus resultierend untersuchen wir, inwieweit es zu einer Kreuzreaktivität gegen SARS-CoV-2 gekommen ist. Wenn das so ist, heißt das nicht, dass diese Leute nicht mehr krank werden können, aber es gibt in deren Immunsystem Zellen, die SARS-CoV-2 erkennen können. Wir wissen nicht, ob das schützt oder schlecht ist – es sieht zumindest derzeit nicht danach aus, als wäre es schlecht. Und wir messen natürlich in der Studie auch, ob jemand eine SARS-CoV-2-Infektion schon hatte oder sie akut hat.
 
Wenn wir die Daten dieser Leute gesammelt haben warten wir und halten Kontakt, per Mail, Telefon usw. - wenn jemand krank wird, schicken wir Ärzte von uns zu der Person und sie wird getestet. Egal ob die Person dann eine Grippe oder SARS-CoV-2 hat – wir wissen dann, wie das zum Zeitpunkt Null ausgesehen hat, das Immunsystem und können sehen, welche immunisierenden Effekte vor was schützen. So können wir Wissen über die Kreuzreaktivität gewinnen und darüber, wie lange die Immunität gegen Coronaviren anhält.
 
Und eine zweite Gruppe von Menschen, die wir uns angucken, sind alte Leute. Dazu untersuchen wir Menschen in Altersheimen, testen alle Betreuer, die mitmachen wollen – und wenn jemand dann im Winter krank wird, machen wir es wie bei den Kitas – testen also wiederum, was für eine Erkrankung es ist und können dann wieder korrelieren: Bestand ein Schutz? Konnte man das vorher schon sehen? Oder wird das Spielbrett Immunsystem sozusagen auf Null gesetzt? Das lernen wir daraus. Für die Charité-Corona-Cross-Studie suchen wir auch noch Teilnehmer.

Herr Prof. Dr. Thiel, ich danke für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici

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