Kinderhand neben Mathebuch und COVID-Schnelltest (Bild: imago images/MedienServiceMüller)
Bild: imago images/MedienServiceMüller

Interview l COVID-19-Tests für Kinder & Jugendliche - Schnelltests in Schulen: Riskante Strategie?

Zehn Millionen COVID-Schnelltests will die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend & Familie für Schulen beschaffen - sie sollen bei der schrittweisen Öffnung ab 22. Februar helfen. Aber senken sie das Infektionsrisiko effizient? Oder suggerieren Schnelltests eher falsche Sicherheit? rbb Praxis fragte beim Kinderarzt Dr. Martin Karsten in Berlin-Wilmersdorf nach.

Herr Dr. Karsten, halten Sie es für sinnvoll, solche COVID-Antigen-Schnelltests in Schulen anzubieten?
 
Diese Schnelltests sind ein Baustein, wenn es darum geht, den Aufenthalt in Schulen sicher zu gestalten. Man muss sich aber vor Augen führen, wo die Grenzen dieser Antigen-Schnelltests liegen: Der Gold-Standard für den Nachweis einer Corona-Infektion bleibt der PCR-Test.

Warum sind die Antigen-Schnelltests nicht so zuverlässig wie die PCR-Testung?
 
Die Antigen-Schnelltests reagieren auf Eiweißbestandteile der Hülle des Virus. Man muss genügend Substanz gewinnen, damit der Test reagiert. Bei einem PCR-Test reichen Bruchstücke des Virus aus, weil diese Bruchstücke immer wieder kopiert werden, bis man den Nachweis hat.

Hinzu kommt: Antigen-Schnelltests funktionieren nur dann gut, wenn sie richtig durchgeführt werden. Dabei spielt auch die Temperatur eine Rolle. Wenn Sie diese Tests draußen vor einer Schule durchführen, kann es sein, dass gerade bei kalten Temperaturen das Ergebnis falsch-positiv ist.
Die Menge an Testmaterial muss ausreichend sein - man muss tief in die Nase gehen. Ich sage immer: Die Tränen müssen einem in den Augen stehen. Das ist gerade bei kleinen Kindern nicht so leicht durchzuführen, weil sie sich gegen die Untersuchung wehren.
 
Und man muss wissen, dass die Virusmengen bei Kindern zum Teil auch etwas geringer sind, als bei Erwachsenen und das kann den Test dann falsch negativ ausfallen lassen.
 
Dass Familien einen solchen Schnelltest an heimischen Küchentisch durchführen, damit möglicherweise kranke Kinder erst gar nicht in die Schule gehen, halte ich für schwer durchführbar. So einfach sind diese Tests nicht. In einigen Familien mag das funktionieren, aber ob das bei allen geht und daraus kein Spiel wird - das wage ich zu bezweifeln.

In einer Studie wurden die Angaben der Hersteller zur Zuverlässigkeit von Antigen-Schnelltests überprüft. Was ist dabei herausgekommen?
 
Wenn ein solcher Antigen-Schnelltest heutzutage auf den Markt kommt, dann reicht es aus, wenn der Hersteller selbst Zahlen zur Zuverlässigkeit herausgibt und diese Zahlen sind natürlich immer extrem gut.

Bei den bisher bekannten Antigen-Schnelltests haben sich diese Zahlen, die vom Hersteller angegeben wurden, in objektiven Untersuchungen nicht bestätigt. Labor 28, ein großes Labor in Berlin hat vom 1.1.-31.1.2021 die Ergebnisse von 100 Antigen-Schnelltests überprüft. Dabei geht es zum einen darum, ob jemand, der positiv auf das SARS-CoV-2 getestet wurde, auch tatsächlich erkrankt ist (Sensitivität) und ob Menschen, bei denen der Test negativ ausfällt, auch tatsächlich gesund sind (Spezifität).
 
Stimmt das nicht überein, spricht man von falsch-positiven Tests und falsch-negativen Tests. Beides wollen wir nicht. In der Studie wurden 100 Schnelltests nachuntersucht, die in Testzentren in Berlin gemacht wurden. Und da haben sich nur 63 Tests bestätigt, das heißt, 37 Personen waren falsch-positiv getestet worden.

Wie ist das zu erklären?
 
Bei den Schnelltests, die auf dem Markt sind, werden Spezifität und Sensitivität oft mit bis zu 95 Prozent angegeben. Diese Werte ergeben sich aber nur, wenn man quasi künstliche Laborbedingungen hat.
 
Man muss verstehen, wie die Hersteller diese Zahlen erheben. Die Firmen machen folgendes: Sie testen 100 Personen, von denen sie - mittels PCR-Testung - wissen, dass sie Corona-positiv sind. Das heißt, diese Personen haben eine ganz hohe Viruslast. Und diese 100 Personen bekommen dann den Antigen-Schnelltest und dann sehen sie bei 90 oder 95 Prozent, dass auch der Antigen-Schnelltest angeschlagen hat.
 
Und genauso machen sie es bei 100 Testpersonen, von denen sie vorher wissen, dass sie Corona-negativ sind. Das ist natürlich eine künstliche Situation, von der wir wissen, dass sie so in der Bevölkerung nicht existiert.

Was bedeutet das für den Einsatz der Schnelltests in Schulen?
 
Selbst wenn man von einer Spezifität und Sensitivität von 90 Prozent ausgeht, kann man sich leicht ausrechnen, was das für einen Schule bedeutet: Wenn sie dort 1.000 Kinder mit Corona-Schnelltests testen, dann bedeutet das bei einer Spezifität der Tests von 90 Prozent, dass 100 Kinder in der Schule positiv getestet werden, obwohl sie gar nicht erkrankt sind.
 
Hinzu kommt, dass die Prävalenz, also die absolute Zahl von Corona-Erkrankungen in Schulen, sehr gering ist. Bei Schüler*innen, die jetzt aus dem Lockdown kommen, schätze ich diese Zahl auf rund ein Promille, also 1 Schüler pro 1.000 Schülerinnen. Das heißt, bezogen auf das Zahlenbeispiel von zuvor, werden wir nur einen echt positiven Fall unter den 1.000 Schüler*innen haben.
 
Das bedeutet wiederum, dass 100 Kinder und ihre Kontaktpersonen in Quarantäne müssen und unnötige PCR-Tests gemacht werden, um das Ergebnis der Schnelltests zu überprüfen. Denn bei jedem positiven Schnelltest muss das Ergebnis mit einem PCR-Test überprüft werden. Das dauert immer noch bis zu 48 Stunden und solange müssen dann die ganze Familie und die Mitschüler*innen in Quarantäne.

Es wird bald Schnelltests geben, die Laien noch leichter durchführen können. Wie zuverlässig sind die?
 
Das sind unter anderem so genannte Spuck-Tests, die sehr viel leichter durchzuführen sind, als Tests, bei denen man einen Nasen-Rachenabstrich durchführen muss. Diese Tests müssen erstmal evaluiert werden, das heißt, man muss schauen, wie die Daten, die der Hersteller bezüglich der Zuverlässigkeit angibt, in der Realität aussehen.
 
Die Antigen-Schnelltests, die jetzt schon seit einigen Monaten auf dem Markt sind, wurden ja zu einem Teil schon evaluiert und es gibt Listen, wo man diese Ergebnisse einsehen kann.
Bei den neuen Tests wird es auch wieder eine Weile dauern, bis man diese Erfahrungen hat und vor allem bis man Vergleichszahlen zur PCR-Testung hat.

Sind Sie also gegen einen Einsatz von Antigen-Schnelltests in Schulen?
 
Ich denke, wenn man solche Schnelltests tatsächlich in die Schulen bringen will, muss man das sehr vorsichtig tun. Man muss kritisch schauen: Wie gut ist der Test wirklich? Und man muss sich die Konsequenzen klarmachen.
 
Gerade kleine Kinder würde ich nicht testen, weil bei ihnen die Prävalenz so gering ist. Ab dem zehnten Lebensjahr würde ich sie testen mit den besten Schnelltests, die es gibt. Und ganz klar Personen anleiten, die die Tests machen. Ein richtig durchgeführter Schnelltest bei Schülern ab zehn Jahren, hat durchaus einen Sinn und eine Aussage. Da muss dann aber auch klar sein, was passiert, wenn der Test positiv ist; dann muss sofort die Quarantäne ausgesprochen werden und es muss dafür gesorgt werden, dass man innerhalb von 24 Stunden ein PCR-Ergebnis hat. Damit, wenn ein PCR-Test der Schnelltest nicht bestätigt, die Quarantäne auch wieder schnell zurückgenommen werden kann.

Was ist neben den Schnelltests noch wichtig, um Corona-Infektionen in Schulen zu verhindern?
 
Was ganz wichtig ist, dass man in den Schulen trotz Corona-Schnelltests nicht auf die Regeln verzichtet. Das heißt, die AHA-Regel und die Hygieneregeln müssen in den Schulen dringend weiter eingehalten werden.
 
Und ich glaube auch, dass man viel genauer darauf gucken sollte, was von außen kommt. Gerade in den letzten Monaten haben wir immer wieder gesehen, dass es zu einzelnen Infektionen in Kitas und Schulen kam. Aber da war viel häufiger zu sehen, dass die Infektion von außen nach innen getragen wurde.
Das heißt, Lehrer*innen und Kitaerzieher*innen müssen dringend geimpft werden. Lehrer*innen und Erzieher*innen sollten Testmaterial kriegen. Die sollten den besten Corona-Antigen-Test bekommen, der auf dem Markt ist, damit sie die Möglichkeit bekommen, sich regelmäßig zu testen. Denn mit Sicherheit ist es viel leichter, einen Erzieher oder eine Lehrerin zu testen, als die Kinder.
 
Die Ansteckung verläuft - in allen Studien, in denen es um Kinder geht - mindestens so häufig von den Erzieher*innen und Lehrer*innen auf Kinder als andersrum.

Herr Dr. Karsten, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm