Frau hält schützend Hand über nackte Brust (Bild: imago/Science Photo Library)
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Interview | Prognosetests - Brustkrebs: Chemotherapie muss nicht immer sein

Rund 70.000 Frauen in Deutschland bekommen jedes Jahr die Diagnose Brustkrebs. Noch immer gilt dann für viele Betroffene die Abfolge: Operation, Chemotherapie, Bestrahlung. In den letzten Jahren wird von diesem Therapie-Schema aber immer häufiger abgewichen. Mit neuen Prognosetests kann nämlich im Vorfeld beurteilt werden, ob einer Frau die Chemotherapie überhaupt nützt.

rbb Praxis sprach mit Dr. Elke Keil, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an den Oberhavel-Kliniken in Oranienburg.

Was sind diese Prognosetests und was können sie leisten?

Mit den Prognosetests werden ausgewählte genetische Eigenschaften des Tumors getestet. Es wird in der Erbsubstanz des Tumors nach bestimmten genetischen Mutationen des Tumors geschaut. Wir wissen inzwischen, dass in Abhängigkeit vom Vorhandensein dieser genetischen Veränderungen die Tumore bestimmte Eigenschaften zeigen, bezüglich ihrer Aggressivität. Damit können wir diese Tests einsetzen, um zu entscheiden, ob eine Chemotherapie notwendig ist oder nicht.

Welche Prognosetests gibt es?

Oncotype DX und EndoPredict sind die Prognosetests, die im Moment am weitesten verbreitet sind. Dann gibt es noch den MammaPrint. Diese Tests haben auch Eingang gefunden in die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO Mamma). Das ist die Fachgesellschaft, die den Brustkrebszentren als Leitfaden für ihr Handeln dient. Die Richtlinien werden jedes Jahr aktualisiert und fußen auf international verfügbaren Daten. Neben diesen Prognosetests gibt es noch den so genannten uPA/PAI-1 Test. uPa und PAI-1 sind Enzyme, die in Tumoren vorkommen. Je mehr dieser Enzyme im Tumor vorhanden sind, desto aggressiver ist der Tumor und desto eher sollte mit Chemotherapie behandelt werden. Damit ist der uPa/PAI-1 Test allerdings kein so genannter Multigentest wie Oncotype DX & Co.

Für welche Frauen kommen die Prognosetests infrage und wie vielen von ihnen kann dadurch eine Chemotherapie erspart werden?

Wir bieten den Frauen diese Prognosetests an, bei denen wir anhand der sonstigen biologischen Eigenschaften des Tumors nicht genau einschätzen können, wie aggressiv der Tumor ist. Es wird ja vor und während der Operation eine Gewebeprobe entnommen, die von den Pathologen untersucht wird. Dadurch bekommen wir Informationen darüber, ob der Tumor auf weibliche Geschlechtshormone (Hormonrezeptor-positiv) reagiert und wie schnell sich die Tumorzellen teilen (Proliferation). Haben Patientinnen zum Beispiel HER2-positive Rezeptoren auf der Tumoroberfläche oder leiden sie unter einem triple-negativen Brustkrebs, brauchen sie auf jeden Fall eine Chemotherapie. Aber dann gibt es die Frauen, die zwar hormonrezeptor-positiv sind, die einen mäßig aggressiven Tumor haben, bei dem sich die Krebszellen nicht allzu schnell teilen und die ein mittleres Lebensalter haben. Bei dieser "Intermediate-risk" Gruppe, kann es sinnvoll sein, das Tumormaterial genetisch zu untersuchen, um dann entscheiden zu können, ob sie von einer Chemotherapie profitieren oder nicht. Innerhalb dieser "Intermediate-risk" Gruppe kann rund 50 Prozent der Patientinnen nach Auswertung des Prognosetests eine Chemotherapie erspart werden.

Wie zuverlässig sind diese Prognosetests?

Sie sind eine große Hilfe. In den letzten Jahren wurden immer mehr Daten gewonnen, die das belegen. Auch deshalb hat die AGO Mamma diese Prognosetests ja für eine bestimmte Gruppe von Brustkrebspatientinnen in ihre Leitlinien aufgenommen. Es gibt zum Beispiel die ADAPT-Studie, bei der nach Auswertung der Daten der ersten 400 behandelten Patientinnen festgestellt werden konnte, dass durch die Kombination der Informationen aus genomischem Risiko und individuellem Ansprechen auf die Antihormontherapie fast 65 Prozent der Frauen keine Chemotherapie benötigen. Das waren gut 20 Prozent mehr Frauen als bei der Planung der Studie geschätzt wurde.

Werden diese Tests von den Krankenkassen bezahlt?

Am Anfang war es sehr schwer, die Krankenkassen davon zu überzeugen, diese Tests zu bezahlen. Aber da es immer bessere Daten zur Zuverlässigkeit der Tests gibt, ändert sich das gerade. Die Krankenkassen haben auch erkannt, dass sie damit ja Geld sparen, das sie sonst für eine unwirksame Chemotherapie ausgegeben hätten. Es ist zwar immer noch eine Einzelfallentscheidung der Krankenkassen, aber die Frauen, die bei uns behandelt werden, bleiben auf den rund 2.000 Euro für den EndoPredict Test nicht sitzen.

Gibt es auch Risiken der Prognosetests?

Ganz wichtig ist, dass diese Prognosetests bei den "richtigen" Patientinnen eingesetzt werden. Bei denen also anhand der biologischen Faktoren keine eindeutige Entscheidung gefällt werden kann, ob eine Chemotherapie zusätzlich eine Verbesserung bringt oder nicht. Diese Entscheidung sollte in einer interdisziplinären Tumorkonferenz getroffen werden.

Wenn Frauen nun doch eine Chemotherapie brauchen, ist diese Behandlung inzwischen verträglicher geworden?

Wir können den Frauen sagen, dass die Chemotherapie eine ambulante Behandlung ist und sie auf jeden Fall versuchen sollten, trotz Chemotherapie ein möglichst normales Leben zu führen. Wir haben inzwischen besser wirksame Medikamente (Antiemetika), die wir den Patientinnen vorsorglich gegen Übelkeit und Erbrechen geben und die sehr gut wirken. Da hat sich in den letzten Jahren eine ganze Menge getan. Was den Frauen auch sehr hilft, ist körperliche Aktivität und die bewusste Teilhabe am Leben, trotz Chemotherapie. Wir beobachten, dass die Frauen, die während der Behandlung aktiv bleiben oder sogar Sport treiben, die Chemotherapie viel besser vertragen.

Wie wird sich die Behandlung von Brustkrebs in Zukunft noch verändern? Und was ist von dem "Bluttest auf Brustkrebs" zu halten?

Das Spannende, was gerade bei allen Krebsarten passiert, ist dass man den Tumor aufgrund seiner ganz speziellen genetischen Information versucht, sehr zielgerichtet zu behandeln. Das so genannte "Gießkannenprinzip", alle Krebsformen einer einheitlichen Therapie zu unterziehen, hat ausgedient. Da wird es in den nächsten Jahren immer mehr Fortschritte in diese Richtung geben.
 
Es gab diese aufsehenerregenden Meldungen zu den zirkulierenden Krebszellen im Blut (Liquid Biopsy). Doch die Datenlage ist bislang zu dünn, als dass man davon eine Therapieentscheidung abhängig machen würde. Letztlich soll ein solcher Test das Risiko für eine Krebserkrankung ohne invasive Maßnahmen voraussagen. Und hier ist die Zuverlässigkeit der Liquid Biopsy, etwa im Vergleich zum Brustkrebsscreening, noch viel zu gering.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Elke Keil.
Das Interview führte Ursula Stamm.

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