In der "Familienzeit" den Krebs vergessen machen - "Einfach mal raus"

Kerstin Franzen ist Psychologin und berät bei der Berliner Krebsgesellschaft Familien, die Gelder aus dem Projekt "Familienzeit" beantragen. Es soll den Familien gemeinsame Zeit und Erlebnisse ermöglichen. Franzen versucht in einem Gespräch mit der Familie zusammen eine Aktivität zu finden, bei der sich alle wohlfühlen. Dann sei die Chance am größten, dass das gemeinsame Erlebnis die Krankheit und den zermürbenden Alltag für einen Moment vergessen macht.

Eine Krebserkrankung erschüttert die meisten Familien zutiefst. Bei vielen gerät das Familiensystem aus den Fugen. Plötzlich bestimmt einzig die Krankheit den Alltag. Denn das Leben mit der Erkrankung und die Therapie sind so beanspruchend, dass das familiäre Drumherum oft in den Hintergrund rückt. Momente, in denen die Krebserkrankung nicht gegenwärtig ist, sind selten. 

Oft verlassen Familienmitglieder dadurch auch ihre vertrauten Rollen. Plötzlich ist der Vater nicht nur Alleinversorger, sondern muss auch noch die Familie zusammenhalten. Ältere Kinder kümmern sich um jüngere Geschwister oder den kranken Elternteil in einem Maß, das sie überfordert und nicht mehr altersgerecht ist. Eine Mutter, sonst Trösterin der Familie, ist als Kranke selbst bedürftig und braucht Zuwendung. Die Familienzeit bietet die Chance, dass jeder in seine Rolle zurückkehrt: Eltern können wieder Eltern sein und Kinder wieder Kinder.  

Gemeinsam etwas Schönes und Stärkendes erleben

Dazu kommt, dass gerade bei Alleinerziehenden und in Familien, in denen der Hauptverdiener erkrankt, das Geld knapp wird. Durch die finanzielle Unterstützung für gemeinsame Zeit haben die Familien die Chance, für einen Moment aus dem dichten Alltag auszusteigen und gemeinsam etwas Schönes und Stärkendes zu erleben.
 
Das Vorgespräch – häufig mit beiden Eltern oder aber zumindest einem Elternteil – gibt mir die Möglichkeit, die Familie kennenzulernen und sie bei der Planung der Familienzeit zu unterstützen. Durch den persönlichen Kontakt fällt es mir leichter, mir ein Bild von der aktuellen Situation der Familie zu machen. Ich möchte den Familien nicht vorgeben, wie sie ihre Familienzeit verbringen. Aber ich kann ihnen helfend zur Seite stehen, wenn es darum geht, Ideen zu entwickeln und konkret zu planen. Hat die Familie die Kräfte für das Vorhaben? Ist es bezahlbar? Was tut uns als Familie gut? Was ist eine Unternehmung, von der alle etwas haben? Dadurch vergrößert sich die Chance, dass die Familie ihre Idee tatsächlich umsetzt.

Die Entscheidung liegt bei der Familie

Die Familien haben ganz unterschiedliche Ideen von ihrer Familienzeit. Die einen möchten mal wieder richtig Spaß zusammen haben, möchten rauskommen, lachen und sich einfach ablenken. Andere wollen lieber etwas Gemeinsames schaffen. Die Wünsche reichen deshalb vom gemeinsamen Ausflug über einen Filmabend bis hin zur Reise in die weit entfernte Heimat eines todkranken Elternteils oder ein Foto-Shooting mit einem professionellen Fotografen. Das persönliche Vorgespräch mit der Familie im Vorfeld kann manchmal aber auch Anlass und Anregung für zukünftige Gespräche und Beratung der Familie sein.
 
Die Familie ist mir keine Rechenschaft darüber schuldig, was sie mit dem Geld gemacht hat. Die Entscheidung liegt bei der Familie. Klar freue ich mich, wenn ich im Nachhinein noch erfahre, wie sie die Familienzeit-Aktivität erlebt hat – aber das ist kein Muss. 

Protokolliert von Constanze Löffler  

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