Mutter umarmt Kind im Krankenhausbett (Quelle: Colourbox)
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Netzwerk hilft krebskranken Kindern aus der Ukraine - Krebs macht keine Pause

Seit mehr als drei Wochen führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Ein Ende ist nicht absehbar. Als sei die Vertreibung aus der Heimat nicht schon schlimm genug, müssen krebskranke Kinder um ihre lebensnotwendigen Therapien bangen. Auf deutschen Kinderkrebsstationen werden aktuell etwa 150 ukrainische Kinder behandelt; weitere 500 sind bislang auf Spezialkliniken in ganz Europa verteilt.

Eine Person, die auf deutscher Seite maßgeblich an der Koordination des Netzwerks beteiligt ist, ist Prof. Dr. Angelika Eggert. Sie ist Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité Berlin.

Frau Professor Eggert, wie ist die Situation derzeit in der Kinderklinik im Virchow Klinikum der Charité?

In unserer Klinik haben wir knapp 280 Betten und die sind nahezu alle belegt. Wir sind damit an der Grenze unserer Kapazitäten. Wir versorgen ja nicht nur die ukrainischen Kriegsflüchtlinge, sondern auch die Patienten aus Berlin und dem Brandenburger Umland. Berlin liegt nahe der polnischen Grenze, so dass wir schon wenige Tage nach Kriegsbeginn an unserem Kapazitätslimit waren. Die Situation wird angespannt bleiben; täglich kommen neue Flüchtlinge am Berliner Hautbahnhof an.

Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine landen zunächst in Polen. Dort waren die Kliniken mit den krebskranken Kindern schnell überfüllt und überfordert; die polnischen Kollegen haben Sie kontaktiert und um Hilfe gebeten.

Wir haben daraufhin alle 60 Kliniken in Deutschland, die krebskranke Kinder behandeln können, per Mail angeschrieben und gefragt, wo es freie Behandlungsplätze gibt; im Anschluss haben wir international weitergesucht. Mittlerweile gibt es zwei Kliniken, die sich um die Evakuierung und Verteilung der krebskranken ukrainischen Kinder kümmern. Zunächst sammeln sie sich in einer großen kinderonkologischen Klinik im ukrainischen Lemberg, nahe der polnischen Grenze. Die Ärzte dort schauen sich die Kinder an und stabilisieren sie, wenn es ihr Zustand erfordert. Wenn es ihnen soweit gut geht, werden sie mit einem Medizinzug, eine Art rollendes Krankenhaus, in die Unicorn-Klinik in der Nähe von Krakau geschickt. Von dort verteilen wir sie in unserem europaweiten Netzwerk.

Das klingt nach einer sehr großen logistischen Herausforderung. Wie erreichen die Kinder Deutschland und die Klinken in Europa?

Wir bekommen sehr viel Unterstützung von internationalen und nationalen Stiftungen. Besonders aktiv ist St. Jude Global vom St. Jude Children's Research Hospital in Memphis, Tennessee, eine der weltweit führenden Einrichtungen in der Kinderkrebsbehandlung. Die US-Stiftung registriert die Kinder, hilft bei der Evakuierung aus der Ukraine, organisiert den Weitertransport in Polen und sucht mit unserer Hilfe einen passenden Therapieplatz. Nicht jede Klinik kann jede Krebsform behandeln und etwa eine Knochenmarktransplantation durchführen. Sobald wieder ein Transport mit rund 20 Kindern und Angehörigen zusammengestellt ist, schicken wir mit Hilfe der Johanniter in Berlin einen Bus los, um die Familien abzuholen. In Cottbus verteilen wir sie auf Kleinbusse, damit sie in die entsprechenden Kliniken weiterreisen können.

Es gibt viele private Initiativen für krebskranke Kinder. Wie gut können sie in der Situation helfen?

Privatpersonen oder kleinere Initiativen sollten auf keinen Fall auf eigene Faust kranke Kinder von der ukrainischen Grenze oder aus Polen holen. Kliniken wie unsere sind am Rande der Kapazität, wir können keine Kinder aufnehmen, die uns unangemeldet gebracht werden. Ich rate dazu, die Kinder über die E-Mail von St. Jude Global zu registrieren. Bislang wurden hier über 650 Patienten registriert. Wir tun alles dafür tun, dass diese Kinder gut und schnell behandelt werden. Auch Helfer und Menschen, die spenden wollen, können sich übrigens über diese Adresse melden.

Es gibt sehr viele verschiedene Krebserkrankungen bei Kindern, dazu unterschiedliche Therapieansätze. Kaum ein Flüchtling spricht deutsch, ein paar englisch – es muss schwierig sein herauszufinden, was bei den kleinen Patienten gemacht werden muss.

An dieser Stelle ein großes Lob an die ukrainischen Ärzte! Sie schaffen es, fast allen Kindern einen zusammenfassenden Arztbrief mitzugeben. Die amerikanischen Kollegen von St. Jude Global übersetzen den in kürzester Zeit, so dass wir bei Ankunft bereits sehr gut über die Erkrankung und den Stand der Therapie informiert sind und rasch mit der Behandlung starten können.

In welchem Zustand erreichen die Kinder Deutschland?

Gerade am Anfang kamen einige sehr schwer kranke Kinder mit weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen zu uns, denen wir teilweise nicht mehr helfen konnten. Das lag aber nicht am Krieg, sondern an ihrem schon schlechten Gesundheitszustand durch das späte Stadium der Krebserkrankung. Dann folgten Kinder, die sehr stabil waren, bei denen Luft bis zur nächste Therapie war und die wir gut weiterversorgen konnten. Das war eine gute Entscheidung der Kollegen in der Ukraine und in Polen; so konnten wir unser Netzwerk stabil zum Laufen bringen. Seit ein paar Tagen treffen vermehrt kränkere Kinder ein, bei denen die Therapie den Krebs noch nicht gut kontrolliert oder deren Diagnose erst kurze Zeit zurückliegt und bei denen die Behandlung schnell beginnen muss. Die Kollegen vor Ort wissen jetzt, dass sie uns auch diese Kinder anvertrauen können.

Wissenswert!

Wie zeitsensibel sind Krebstherapien?

Durch den Krieg und durch die Reise verzögert sich bei vielen Kindern die Behandlung. Sie schweben teilweise in akuter Lebensgefahr, wenn sie ihre Medikamente oder ihre Behandlung nicht rechtzeitig bekommen. Die Chancen auf Heilung sinken. Besonders zeitsensibel sind Krebsarten, bei denen sich die Zellen sehr schnell teilen wie bei einer Leukämie. Länger als zwei Wochen sollte eine Therapie möglichst nicht unterbrochen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass der Krebs wieder wächst; außerdem entwickeln die Krebszellen bei einer längerfristig unterbrochenen Therapie Strategien, wie sie der Behandlung entkommen, so dass sie unwirksam wird.

Therapien mussten auf der Flucht pausieren, die Kinder sind verängstigt und traumatisiert, es fehlen Schmerzmittel.  

Einige hatten, besonders am Anfang, als die Evakuierung noch nicht so gut organisiert war, eine äußerst strapaziöse, mehrtägige Reise hinter sich. Die Kinder und ihre Familien kamen erschöpft und traumatisiert durch die Kriegserlebnisse bei uns an. Das bedeutet Stress, der das ohnehin schon geschwächte Immunsystem weiter dämpft. Teilweise konnten Therapien vor Ort nicht fortgeführt werden, weil Kinder und Ärzte immer wieder in den Luftschutzraum mussten. Das ist gerade für Kinder mit schnell wachsenden Tumorzellen sehr ungünstig, etwa bei Blutkrebs, eine der häufigsten Krebsarten bei Kindern.

Wie geht es den Familien, die in der Charité und anderen Kliniken betreut werden?

Sie sind erleichtert, dass sie nun wieder medizinische Hilfe bekommen und in Sicherheit sind. Die Kinder werden von uns nach den besten Möglichkeiten behandelt. In Deutschland haben wir Heilungsraten bei Krebserkrankungen von Kindern von über 80 Prozent. Die Angehörigen kommen im Elternhaus der Kliniken oder bei Privatpersonen unter. Sozialarbeiter und Dolmetscher unterstützen bei den Anmeldungen und beim Ausfüllen der Papiere. Erste finanzielle Unterstützung für das Nötigste wie Nahrung, Hygieneartikel, Windeln, Unterwäsche bekommen die Familien von lokalen Fördervereinen der Kliniken wie KINDerLEBEN e.V. in Berlin, von der Deutschen Kinderkrebsstiftung und von der Deutschen Krebshilfe. Alle versuchen zu helfen, wo sie können.

In der Ukraine mussten die Eltern teilweise selbst für die Therapien ihrer Kindern zahlen. Gerade Kinder aus weniger gut gestellten Familien hatten manchmal wenig Chancen.

Eins vorweg: Die Kinder, die man behandelt hat, wurden in der Ukraine sehr gut und nach neuestem wissenschaftlichen Standards behandelt. Aber es gibt dort in der Tat kein flächendeckendes Gesundheitssystem, wie wir es kennen. Viele Familien wussten nicht, wie sie die nächste Behandlung finanzieren sollten. Daher hatten manche Eltern auch große Sorgen, ins verhältnismäßig teure Deutschland zu kommen. Noch ist nicht ganz klar, wie wir die Behandlungskosten der Kinder aufbringen. Aber zumindest müssen sich die Eltern nicht mehr darum sorgen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Professor Eggert.
Das Interview führte Constanze Löffler.

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