Krankenschwester zeigt Mann wie er mit Hanteln trainieren soll (Quelle: imago/Science Photo Library)
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Interview | Sport für Krebspatienten - Mit Bewegung gegen den Krebs

Körperliche Aktivität und Krebs – das ging für viele Patienten und Ärzte lange Zeit nicht zusammen. Zu groß die Angst, dass die körperliche Anstrengung den Organismus zusätzlich schwächen könnte. Doch zahlreiche Studien zeigen: genau das Gegenteil ist der Fall. Bewegung kann vor, während und nach einer Krebsbehandlung den Krankheitsverlauf und das subjektive Befinden deutlich verbessern.

Wie genau Bewegung Krebspatienten helfen kann und wo vielleicht auch die Grenzen liegen, darüber sprach "rbb Praxis" mit dem Sportwissenschaftler Privatdozent Dr. Freerk Baumann, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Onkologische Bewegungsmedizin am Centrum für Integrierte Onkologie in der  Uniklinik Köln.

Beim Thema "Körperliche Aktivität und Krebs" gab es in den letzten Jahren ja einen regelrechten "Paradigmenwechsel". Wie ist es dazu gekommen?

Dass man nicht mehr denkt, körperliche Bewegung schade einem Patienten mit Krebs, ist inzwischen durch zahlreiche Studien belegt worden. Seinen Ausgangspunkt hat dieser Paradigmenwechsel zunächst in einem ganz anderen Bereich genommen, den Herz-Kreislauferkrankungen. Auch hier dachte man lange Zeit, Bewegung und Sport wäre für Herzkranke zu anstrengend. Doch seit sich Ende der  60er Jahre erste Herzsportgruppen gegründet haben, weiß man es besser. In den 80er Jahren gab es dann erste Sportgruppen für Patienten und Patientinnen mit Krebs; zunächst in der Nachsorge. Dann wurde man immer mutiger. Und seit Ende der 90er Jahre  werden bewegungstherapeutische Angebote auch während einer Krebstherapie empfohlen.

Was bringt regelmäßige Bewegung den Krebspatienten?

Regelmäßige Sport- und Bewegungstherapie führt zum einen dazu, dass die Patienten in den Bereichen Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und in der Bewältigung ihres Alltags gestärkt werden. Im Grunde ist für Krebspatienten nichts schädlicher als sich nicht zu bewegen. Dann gibt es Effekte auf die spezifischen Nebenwirkungen der Krebstherapie. Dazu gehören vor allem die starke Erschöpfbarkeit (Fatigue), und  Empfindungsstörungen in Händen und Füßen (Polyneuropathie), die recht häufig unter einer Chemotherapie auftreten. Aber auch eine Hormontherapie, wie sie bei Brust- oder Prostatakrebs durchgeführt wird, wird von den Patienten unter Bewegungstherapie besser vertragen.

Wie erklärt man sich diese Effekte?

Studien zur Wirkung von Sport- und Bewegungstherapie auf die spezifischen Nebenwirkungen einer Krebstherapie sind noch recht jung. Bislang gibt es nur Hypothesen, wie diese positiven Effekte zu erklären sind. Bei der Fatigue zum Beispiel vermutet man, dass bestimmte entzündungsfördernde Eiweißstoffe durch die Bewegung weniger werden, was  Entzündungsprozesse im Körper bremst, die für die Erschöpfung verantwortlich gemacht werden. Fatigue-Patienten schlafen nach der Bewegungstherapie auch besser und vor allem fühlen sie sich besser erholt. Das ist ein großes Problem dieser Patienten, dass sie sich zwar ausruhen und schlafen, sich danach aber immer noch müde fühlen. Bei der Polyneuropathie vermutet man, dass Bewegung zu einer verbesserten Regeneration der Myelinschichten führt. Das sind Schutzschichten am Ende von Nervenfasern, die durch die Chemotherapie zerstört werden. Werden sie wieder aufgebaut, verschwinden die stechenden Schmerzen in Händen und Füßen.

Welche Sportarten sind besonders geeignet, bzw. gibt es Unterschiede zwischen einzelnen Krebserkrankungen?

Wir unterscheiden zwischen den Alltagsaktivitäten und gezielter Bewegungstherapie. Was die Alltagsaktivitäten angeht, können die Patienten eigentlich alles machen, woran sie Spaß und Freude haben und was sie nicht überfordert. Wenn sie vor der Erkrankung gern im Garten gearbeitet oder spazieren gegangen sind, dann sollten sie das auch mit einer Krebserkrankung weiterhin tun. Etwas anderes ist die gezielte Sport- und Bewegungstherapie, mit der sie bestimmte Nebenwirkungen der Krebstherapie direkt beeinflussen können. Das wird dann immer in Zusammenarbeit mit einem speziell ausgebildeten Sport- und Bewegungstherapeuten in der Klinik oder ambulant durchgeführt. Bei der Polyneuropathie zum Beispiel kann ein spezielles sensomotorisches Training sinnvoll sein. Bei Lymphödemen, also Wasseransammlungen, wie sie nach Brustkrebsoperationen in den Armen auftreten können, hilft gezielte Bewegung unter Wasser oder auch ein niedrig intensives Krafttraining. Bei einer Hormontherapie nach Brustkrebs haben wir sehr gute Erfahrungen mit intensivem Krafttraining gemacht.

Wo sind möglicherweise Grenzen bzw. sogar Gefahren und wer sollte die Patienten dahingehend betreuen?

Einfache Alltagstätigkeiten sind eigentlich immer möglich. Dabei sollten die Patienten natürlich auch immer den gesunden Menschenverstand nutzen. Bei einem starken Infekt mit Fieber, schont sich ja auch jeder nicht Krebskranke. Während der Krebsbehandlung ist es am besten, wenn die Patienten bei einem speziell ausgebildeten Sport- und Bewegungstherapeuten sind. Die kennen sich ganz genau mit den Nebenwirkungen bestimmter Chemotherapeutika aus, die zum Beispiel den Herzrhythmus beeinflussen  und können das Training dementsprechend anpassen. Grundsätzlich empfehle ich den Patienten, dass sie vor Beginn des Trainings einen Gesundheitscheck bei einem Kardiologen oder Sportmediziner machen lassen. Dabei sollte ein EKG gemacht und die Pumpfunktion des Herzens kontrolliert werden. Das Problem ist, dass es bislang noch nicht genügend Sport- und Bewegungstherapeuten gibt, die sich mit Krebserkrankungen auskennen, so dass nicht in allen onkologischen Zentren dieses Angebot besteht. Deshalb bieten wir am Centrum für Integrierte Onkologie seit drei Jahren eine Fortbildung für Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) an. Diese Fortbildung richtet sich an Physiotherapeuten, Sportwissenschaftler, Sporttherapeuten und Ärzte.

Wenn Krebspatienten ihre Diagnose bekommen, haben sie erst einmal andere Dinge im Kopf als körperliche Bewegung. Wie motiviert man die Betroffenen?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wenn Ärzte schon im Aufklärungsgespräch auf die positiven Effekte von Bewegung hinweisen, Patienten dies meist gerne aufnehmen. Je konkreter die Empfehlung ist, zum Beispiel, dass die Chemotherapie unter moderatem Krafttraining besser vertragen wird, desto besser. Oftmals verstehen Betroffene die  Bewegungstherapie auch als Chance, einen eigenen Beitrag zum Genesungsprozess zu leisten und der Krankheit nicht nur ausgeliefert zu sein.

Viele Krebspatienten sind appetitlos, verlieren an Gewicht. Wie passt das zum Thema "Bewegung und körperliche Aktivität"?

Die Sport- und Bewegungstherapie bei Krebserkrankungen sollte immer den interdisziplinären Austausch suchen, dazu gehört die Ernährungsmedizin, aber auch die Psychoonkologie, die auf den psychischen Zustand des Patienten schaut. Krebspatienten, die unter der Therapie sehr stark an Gewicht verloren haben (Tumorkachexie), brauchen unbedingt eine Ernährungsberatung und gegebenenfalls werden sie zusätzlich auch mit einer hochkalorischen Trinknahrung versorgt.

Vielen Dank für das Gespräch Dr. Freerk Baumann!
Das Interview führte Ursula Stamm

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