Grafik des menschlichen Darmsystems (Bild: imago images/ Science Photo Library)
Bild: imago images/ Science Photo Library

Interview l Forschung zur Rolle der Propionsäure - Wie der Darm Herz und Kreislauf schützen kann

Im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen denkt kaum jemand an den Darm. Doch neue Forschungen zeigen: seine Rolle ist bedeutender, als gedacht. Z.B. wird da Propionsäure gebildet. Wissenschaftler der Charité haben gezeigt, dass die auch den Cholesterinwert senken kann. Die Forscher sehen darin eine Chance im Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. rbb Praxis fragt nach bei PD Dr. Arash Haghikia von der Interventionellen Kardiologie der Charité.

Unser Darm ist ein wunderwerk: Ist er gesund und fit sorgt er nicht nur für beste Nahrungsverwertung und Wohlbefinden - er stärkt auch wesentlich unser Immunsystem und schützt so vor Krankheiten. Aber wie genau funktioniert das? Forscher der Charité am Campus Benjamin Franklin gehen der Frage nach. Sie wollen wissen, wie der Darm das Herz-Kreislaufsystem schützen könnte, z.B. um Herzinfarkte und Schlaganfälle zu vermeiden.

Herr Dr. Haghikia, arum befassen Sie sich als Kardiologe mit dem Darm?
 
Es gibt seit etwas mehr als zehn Jahren immer mehr Untersuchungen und Publikationen, die zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen einem gestörtem Darm-Mikrobiom - also der mikrobiellen Zusammensetzung und der metabolischen Funktion von Bakterien im Darm - und der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt. Das hat uns interessiert und deshalb haben wir vor einigen Jahren angefangen, uns mit diesem Thema zu beschäftigen.
 
Mittlerweile hat sich ein wissenschaftliches, transatlantisches Netzwerk mit Kollegen aus unterschiedlichsten Disziplinen entwickelt, die sich auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Thema befassen. Und so kam es, dass wir auch einen Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und der Entwicklung von Herzkreislauferkrankungen finden konnten.

Sie untersuchen vor allem die Funktion von Propionsäure im Darm – was macht diese Säure?
 
Propionsäure hat mehrere Funktionen im Darm. Sie wird durch Bakterien bei Verdauungsprozessen von ballaststoffreicher Nahrung freigesetzt. Das heißt: Darmbakterien setzen aus Ballaststoffen Propionsäure und andere kurzkettige Fettsäuren frei. Und diese sind zum einen Energielieferant für Darmzellen, zum anderen sind es Metabolite, also Stoffwechselprodukte, die in unterschiedlichen Stoffwechselwegen eine Rolle spielen.

Einige Untersuchungen zeigen, dass sie auch eine modulierdende Wirkung Bezug auf das Immunsystem haben. Sie wirken zum Beispiel gegen Darmentzündung. Im Rahmen der Colitis oder auch Morbus Chron, der chronischen Darmentzündung, konnte das bewiesen werden. Und es wurde auch bei anderen Autoimmunerkrankungen nachgewiesen, zum Beispiel bei Multipler Sklerose.
Die Tatsache, dass es den Cholesterinstoffwechsel beeinflusst, war ein Nebenbefund einer Studie an Multiple Sklerose Patienten. Einige dieser Patienten berichteten, dass ihre Cholesterinwerte seit Beginn dieser Studie gesunken waren.

Wie haben Sie das untersucht?
 
Wir haben Probanden mit einer Hypercholesterinämie, die keine weiteren Erkrankungen haben, zwei Mal pro Tag Propionsäure in Form von Kapseln  gegeben. Die Studie war verblindet und placebokontrolliert. Das heißt: Weder Proband noch Forscher wussten, wer was bekommt. Die Probanden haben acht Wochen lang Kapseln eingenommen und dann haben wir verglichen, wie sich ihre Cholesterinwerte entwickeln. Dabei haben wir festgestellt, dass die Cholesterinwerte bei den meisten Patienten sanken. Im Schnitt sank der LDL-Cholesterinwert um etwa acht Prozent.

In welchen Nahrungsmitteln kommt Propionsäure natürlicherweise vor?
 
Vor allem in Gemüse und in Nahrungsmitteln, die reich an Ballaststoffen sind, zum Beispiel Vollkornbrot. Besonders viel Propionsäure speichert beispielsweise Brokkoli. Ballaststoffe werden im Darm zu Propionsäure verdaut.

Können diese Nahrungsmittel, die Propionsäure enthalten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen?
 
Das ist so. Man weiß schon lange aus epidemiologischen Studien, dass Menschen, die ballaststoffreich essen, ein etwas niedrigeres Risiko haben, im Laufe ihres Lebens eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, also zum Beispiel einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, zu erleiden. Das ist nichts Neues.
 
Wie der Mechanismus dahinter funktioniert und womit es genau zusammenhängt - das ist relativ neu und im Zuge des Wissenschaftszweigs, der sich mit dem Mikrobiom beschäftigt, erst in den letzten Jahren untersucht worden.

Viele Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten müssen Statine nehmen. Kann die Propionsäure in Kapselformleine ein Alternative sein?
 
So weit würde ich noch nicht gehen. Statine sind etablierte Medikamente, mit denen man nicht nur sehr effektiv das LDL-Cholesterin um bis zu 50 % senken kann, sondern sie erhöhen auch bei Patienten, die eine Hypercholesterinämie haben, die Lebenserwartung. Deshalb wäre der Vergleich zwischen Propionsäure und Statinen etwas übertrieben. Insofern können wir Propionsäure auch nicht als Ersatz für Statine empfehlen.
 
Zudem muss man auch sagen, dass wir bei unserer Studie 30 Probanden mit 30 Probanden verglichen haben. Das ist eine verhältnismäßig kleine Studie. Deshalb müssen diese Ergebnisse noch in größeren, multizentrischen Studien bestätigt werden. Aber der Hinweis aus unserer kleinen Studie ist eindeutig und signifikant.
 
Die Überlegungen gehen dahin, dass die Einnahme von Propionsäure kein Ersatz für Statine ist, aber Propionsäure gegebenenfalls zusätzlich zu Statinen eingenommen werden könnte. So könnte die Wirkung der Statine vielleicht gesteigert und die Dosis von Statin gegebenenfalls gesenkt werden. Aber das müsste noch in weiteren Studien überprüft werden.

Danke für das Gespräch, Dr. Haghikia.
Das Interview führte Laura Will

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