Junge Frau sitzt im Grünen mit Senior im Rollstuhl (Bild: Colourbox)
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Interview | Wenn Angehörige pflegebedürftig werden - Wie sag ich's meinen Eltern?

Die Veränderungen sind schleichend: Die Wohnung ist nicht mehr so blitzblank wie früher, es wird kaum noch gekocht, der wichtige Arzttermin vergessen. Wenn Eltern Hilfe brauchen, zeigt sich das oft in Kleinigkeiten. Es anzusprechen ist nicht so einfach.

Frau Brockmeier, woran merke ich, dass die eigenen Eltern Hilfe im Alter brauchen?

Es sind eben genau diese Kleinigkeiten, die anzeigen, dass Menschen nicht mehr allein zu Recht kommen. Wenn Eltern zum Beispiel nicht mehr wollen, dass die Kinder nach Hause zu Besuch kommen, obwohl das sonst immer üblich war. Dann wollen sie verschleiern, dass die Wohnung oder das Haus unsauberist . Auch eine nachlassende Körperpflege, Körpergeruch, ungepflegte Kleidung sind Hinweise. Das Einkaufen und Kochen fällt schwer, es werden immer wenige einzelne Lebensmittel gekauft, ein Wochenkauf, der alles Nötige beinhaltet, ist gar nicht mehr möglich. Auch bei Arztterminen und Medikamenteneinnahme fällt auf, dass Eltern davon überfordert sind. Wichtige Termine werden vergessen, die tägliche Tabletteneinnahme auch.  

Wie spreche ich das am besten an?

Ich nehme immer wieder wahr, dass Angehörige diese Anzeichen auch verdrängen. Was verständlich ist. Wenn ich 500 Kilometer weit weg wohne, berufstätig bin und eine eigene Familie habe, dann will ich mich nicht auch noch um meine Eltern kümmern. Aber letztlich löst sich das Problem ja nicht von allein. Wichtig ist es, dieses Thema in einer vertrauensvollen Atmosphäre und ohne Zeitdruck anzusprechen. Man sollte Vorwürfe oder Anklagen vermeiden und eher davon sprechen, dass man bestimmte Veränderungen beobachtet hat, die Sorgen bereiten. Man muss auch nicht immer gleich das große Ganze wollen. Kleine Veränderungen, wie eine Putzhilfe oder Essen auf Rädern können die Situation schon deutlich entspannen. Und was ganz wichtig ist: Viele Ältere befürchten bei diesem Thema, dass sie in ein Heim "abgeschoben" werden sollen. Wenn man gleich zu Anfang klar stellt, dass es darum nicht geht, ist schon viel gewonnen.

Was tue ich, wenn die Eltern das alles ablehnen?

Das ist eine schwierige Situation, weil es ja auch darum geht, den Respekt zu bewahren. Manchmal kann man nur "den Karren vor die Wand fahren lassen" und hoffen, dass die Menschen selbst aufwachen. Wenn zum Beispiel der 85-jährige Vater den Pflegedienst mehrmals nicht ins Haus lässt, meldet sich auch die Krankenkasse, die diesen Dienst dann nicht mehr bezahlen will. Das ist manchmal für ältere Menschen ein Punkt, an dem sie ihre Sparsamkeit packt und sie dann doch einwilligen, dass der Pflegedienst ins Haus darf. 

Sollte man andere Familienmitglieder in die Pflege einbinden?

Mehrere Mitglieder der Familie einzubinden, ist in jedem Fall sinnvoll. Es kommt in diesem Prozess aber oft auch zu Streitigkeiten, weil einige mehr Verantwortung übernehmen und andere weniger - und sich das die Beteiligten dann gegenseitig vorwerfen. Da kommen dann einfach auch alte Beziehungsmuster zum Vorschein. Familien, die damit nicht allein zu Recht kommen, können Hilfe bei "Pflege in Not" aber auch bei den Pflegestützpunkten bekommen. Was ich häufig beobachte: Enkelkinder haben manchmal einen besseren Draht zu den Großeltern als die eigenen Kinder. Wenn die Enkelkinder alt genug sind, sollte man diesen Vorteil auf jeden Fall nutzen.

Welche "Einstiegsangebote" gibt es, die den Anfang vielleicht leichter machen?

Das kann eine Hilfe im Haushalt sein oder Essen auf Rädern. Wenn Eltern die Körperpflege nicht mehr allein schaffen, wollen sie häufig nicht, dass die eigenen Kinder ihnen dabei helfen. Dann ist es sinnvoll einen Pflegedienst zu engagieren. Wer das erstmal selbst zahlen kann, sollte das tun. Diese konkreten Leistungen sind dann die Grundlage für die Einstufung in eine Pflegestufe beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Wer nicht in finanzielle Vorleistung gehen kann, sollte ein Pflegetagebuch führen, welches auflistet, in welchen Bereichen der ältere Angehörige Hilfe braucht und in welchem Umfang. Das ist dann ebenfalls eine gute Grundlage für die Einstufung in eine Pflegestufe durch den MDK.

Welche Rolle kommt den Pflegestützpunkten zu?

Die Pflegestützpunkte beraten die Familien zu Hause und in den Beratungsstellen. Diese Leistung ist kostenlos und sollte rechtzeitig in Anspruch genommen werden. Vor allem dann, wenn man eine Pflegestufe beantragen will. Aber auch wenn man eine Pflegestufe erhalten hat, können die Mitarbeiter der Pflegestützpunkte dahin gehend beraten, wie die Leistungen der Pflegekassen am besten ausgeschöpft werden können.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Brockmeier.

Das Interview führte Ursula Stamm