Dr. med. Christian Groß bei einer Operation (Quelle: Helios Klinikum Emil von Behring / Foto T. Oberländer)
Bild: Helios Klinikum Emil von Behring / Foto T. Oberländer

Interview | Rückenschmerzen - 'Eine Wirbelsäulen-OP ist in den seltensten Fällen ein Muss'

Rückenschmerzen können einen in den Wahnsinn treiben. Mit zunehmendem Alter leiden immer mehr Menschen darunter. Oft verschwinden die Schmerzen ganz von selbst wieder. Aber was, wenn sie bleiben oder gar schlimmer werden? Muss dann immer gleich operiert werden? Was kann man selbst gegen Rückenschmerzen tun und wann ist eine OP der einzige Ausweg?

Wir haben mit Dr. med. Christian Groß gesprochen, leitender Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Helios Klinikums Emil von Behring in Zehlendorf.

Dr. Groß, fast jeder kennt eine Horror-Story von Freunden, Bekannten oder Nachbarn, die mit Rückenschmerzen zu tun hat. Muss man vor Rückenschmerzen Angst haben?

Vor Rückenschmerzen muss man grundsätzlich keine Angst haben. Schmerz ist ein Warnsignal unseres Körpers, dass etwas nicht in Ordnung ist. Achtzig bis neunzig Prozent sind Nicht-spezifische Kreuzschmerzen, die meist funktionell begründetet sind und auch in den allermeisten Fällen entweder von alleine oder mit Hilfe von Beratung, Bewegung und Sport wieder verschwinden.

Was sind Ursachen dieser unspezifischen Rückenschmerzen?

Fehlende Bewegung oder auch Arbeit in Zwangshaltungen, etwa bei Heizungsmonteuren. Ein häufiger Grund ist auch schwach ausgebildete Muskulatur. Mit regelmäßigem Training kann dem vorgebeugt werden. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Rückenmuskeln zu trainieren, sondern auch die Bauchmuskeln als Gegenspieler. Außerdem wissen wir, dass die Wirbelsäule auch ein Spiegelbild der Seele sein kann. Stress kann Schmerzen sehr wohl unterstützen und verstärken, möglicherweise auch auslösen.

In zehn bis zwanzig Prozent der Fälle handelt es sich aber um spezifische Rückenschmerzen.

Ihnen liegen bestimmte Ursachen zugrunde, die meist auf "Verschleiß" zurückzuführen sind: Bandscheibenvorfälle, andere Veränderungen an den Bandscheiben, eine Arthrose der kleinen Wirbelgelenke oder zu viel Beweglichkeit zwischen zwei Wirbelkörpern. In Kombination können diese Veränderungen zu einer Einengung der Rückenmarksnerven führen, das bezeichnet man als Spinalkanalstenose. Hinzu kommen seltenere Ursachen wie Entzündungen, Tumore oder Brüche der Wirbelsäule. Nur bei spezifischen Ursachen gibt es die Möglichkeit, die Rückenschmerzen auch mit einer Operation zu behandeln.

Wie sollte man reagieren, wenn man Rückenschmerzen verspürt?

Erst einmal abwarten. Die meisten Rückenschmerzen verschwinden von alleine wieder. Man sollte sich aber auf keinen Fall schonen und ins Bett legen, sondern in Bewegung bleiben. Wenn nötig, kann man dafür auch mal eine Schmerztablette nehmen.

Wann ist der Punkt erreicht, an dem man zum Arzt gehen sollte?

Sobald die Schmerzen in die Beine ausstrahlen, man ein Taubheitsgefühl oder Lähmungserscheinungen spürt. Oder aber wenn die Rückenschmerzen nach zwei bis drei Wochen nicht besser geworden sind und anhaltend die Aktivität einschränken.

Was kann der Arzt dann tun?

Er sollte dem Patienten die Angst vor einer schlimmeren Ursache nehmen oder aber ernstzunehmende Veränderungen erkennen. Dafür muss er ihn eingehend untersuchen und im nächsten Schritt eventuell ein Röntgen oder MRT veranlassen. Bei den meisten Patienten finden wir mit diesen Untersuchungen Veränderungen, die theoretisch für die Rückenschmerzen verantwortlich sein könnten. Aber nicht alles davon führt auch zu Beschwerden. Man muss sich also fragen: Passen die Symptome zu Röntgenbild und MRT?

Wenn das so ist, kommt ja unweigerlich die Frage: Operation oder nicht?

Wenn kein Notfall besteht, versucht man immer erst einmal, die Schmerzen konservativ zu behandeln. Schmerzmittel und eine gezielte Physiotherapie sind wichtig, die weitere Mobilisierung des Patienten ist unerlässlich. Vielleicht auch eine Spritzenbehandlung. Dabei spritzt man ein lokales Betäubungsmittel an die veränderten kleinen Wirbelsäulengelenke oder an die gereizte Nervenwurzel, etwa bei einem Bandscheibenvorfall.

Und wartet dann, dass der Bandscheibenvorfall von alleine wieder weg geht?

Genau. 80 bis 85 Prozent der Bandscheibenvorfälle muss man nicht operieren. Der Körper resorbiert das Bandscheibengewebe und die Nervenwurzel wird wieder entlastet. Wenn der Patient aber trotz konservativer Therapie weiter Schmerzen hat oder wenn Lähmungserscheinungen dazukommen, dann sollte man über eine Operation nachdenken. Bei einer Spinalkanalstenose hingegen ist die Operation den konservativen Methoden in vielen Fällen überlegen.

Die Entscheidung für eine Operation ist für viele Patienten keine leichte. Sie fürchten etwa, danach weiterhin Probleme zu haben. Was raten Sie Menschen, die sich unsicher sind?

Unbedingt eine Zweitmeinung einholen. Aufklärung und Beratung sind das A und O. Und das muss nicht nur bei einem Arzt sein. Die Krankenkassen und die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft haben auf ihren Internetseiten Adressen aufgelistet, an die man sich wenden kann. Entscheidend für oder gegen eine OP sind in den meisten Fällen der Leidensdruck und die Lebensqualität des Patienten. Diese Parameter muss der Arzt erfragen und dann gemeinsam mit dem Patienten eine Entscheidung fällen. Eine OP an der Wirbelsäule ist in den seltensten Fällen eine Muss-Operation.

Wann muss man als Patient sofort in die Notaufnahme?

Bei Lähmungserscheinungen, wenn man sich vor Schmerzen nicht mehr bewegen kann, oder auch bei Störungen beim Wasserlassen und Stuhlgang.  Das sind Zeichen dafür, dass die Nerven bereits stark geschädigt sind. Dann führt an einer OP oft nichts vorbei.

Welche OP-Risiken gibt es?

Das größte Risiko ist die Verletzung von Nervenstrukturen, das kann zu Lähmungserscheinungen führen. Also genau das, was man mit der OP eigentlich vermeiden will. Das passiert aber sehr selten.

Was sollten Patienten bei der Wahl des Krankenhauses beachten, wenn sie sich operieren lassen wollen?

Sie sollten sich an der Zertifizierung der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft orientieren. Krankenhäuser und Ärzte mit diesem Zertifikat führen in der Regel viele Wirbelsäulen-OPs durch. Entscheidend ist aber vor allem der Operateur. Da kann man auch ruhig einmal fragen, wie oft er das schon gemacht hat.

Wie oft haben Sie das denn schon gemacht?

Ich persönlich habe weit über 2.000 Wirbelsäulen-Operationen durchgeführt, von kleinen Bandscheiben-OPs bis zu schweren, großen Skoliose-Operationen, ich schätze ungefähr 150-200 pro Jahr.

Die Anzahl der Wirbelsäulen-OPs in Deutschland wächst seit Jahren. Denken Sie, es wird zu oft operiert?

Das kann ich nicht beurteilen. Sicher gibt es Ärzte, die zu schnell zu einer Operation raten, auch wenn die konservativen Maßnahmen noch nicht komplett ausgeschöpft sind oder eine Operation gar nicht angezeigt ist. Ich kann Patienten nur ermutigen, nachzufragen und eine Zweitmeinung einzuholen.

Danke für das Gespräch, Dr. Groß.
Das Interview führte Florian Schumann.

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