Computeranimiert: Schultergelenke (Quelle: imago/ Science Photo Library)
Bild: imago/ Science Photo Library

Interview | Kalkschulter behandeln - Kneten gegen den Schmerz

Patienten mit einer Kalkschulter klagen über Schmerzen, als ob ihnen ein Messer in die Schulter gerammt wurde. Die Folge: Sie können ihre Arme nur noch eingeschränkt bewegen. Die Ärzte sind dennoch mit operativen Maßnahmen zurückhaltend - oft geht die Kalkschulter von allein zurück. Stattdessen können Betroffene von einer Physiotherapie profitieren.

Herr Hardt, wie genau erklärt man sich das Phänomen Kalkschulter?

Die Beschwerden entstehen durch eine Verengung im Schultergelenk. Hebt der Patient den Arm seitlich an, stoßen Oberarmknochen und knöchernes Schulterdach zusammen. Die Sehne des Supraspinatus-Muskels wird zusammengedrückt, denn sie verläuft genau dazwischen. Dadurch wird sie gereizt, schwillt an und entzündet sich chronisch. Am Engpass kann das Sehnengewebe dann absterben, vernarben und sich verhärten.

Wer ist betroffen?

Es sind vor allem Frauen, die älter als 40 Jahre sind. Sie gehen langsam auf die Menopause zu, und ihr Stoffwechsel verändert sich. Das Gewebe beginnt sich umzuorganisieren. Aussonderungen aus dem Gewebe verfestigen sich als kalkartige, feste Faserstrukturen.

Wie kann die Physiotherapie helfen?

Die Therapie umfasst mehrere Schritte: Infolge der Schmerzen und der Schonhaltung haben Betroffene vor allem im Bereich von Hals- und Brustwirbelsäule verspannte Muskeln. Die entspannen wir durch Griff- und Faszientechniken um die Schulter herum. Außerdem vergrößern wir durch bestimmte Handgriffe den Raum unterhalb des Schulterblattes. Wir nennen das Distraktion des Gelenks. Wir entfernen dabei den Gelenkkopf vom Dach des Schulterblattes. So lernt der Patient sich nach und nach wieder schmerzfrei zu bewegen. 

Wie erfolgreich kann eine Physiotherapie sein?

Wenn mehr Platz da ist, reizen und reiben die Kalkablagerungen auch weniger. Die Entzündungsherde können abheilen, die Beschwerden gehen zurück. Im besten Fall löst sich der Kalk, sodass wir mit der physiotherapeutischen Behandlung einen operativen Eingriff verhindern können. 

Kann die Physiotherapie in Einzelfällen sogar eine Heilung bewirken?

Ich schätze, dass wir vier von zehn Patienten effektiv helfen können. Allerdings kann die Behandlung recht langwierig sein. Mitunter habe ich Patienten über sechs Monate zwei Mal die Woche therapiert. Der Patient muss Geduld haben und seinem Therapeuten vertrauen. Die Physiotherapie ist keine schnelle Lösung.

Wo liegen die Grenzen der Physiotherapie?

Mitunter sind die Beschwerden so stark, dass eine Bewegungstherapie gar nicht möglich ist. Hier kann man versuchen, mit einer Stoßwellen-Therapie das Kalkdepot zu zerschlagen und aufzulösen. Wenn das nichts bringt, sollte über eine operative Behandlung nachgedacht werden.

Gibt es weitere Alternativen, um die Kalkschulter zu behandeln?

Eine Möglichkeit ist die bereits erwähnte Stoßwellen-Behandlung. Normalerweise werden hier drei Sitzungen vereinbart. Danach kann der Arzt gut abschätzen, ob der Patient auf diese Art der Behandlung anspricht. Der Arzt kann auch Kortison in die Schulter injizieren, damit die Entzündung und die Schmerzen zurückgehen. Beide Verfahren beheben jedoch nicht die Ursache, also die Verengung. Therapieerfolge sind deshalb nicht unbedingt von Dauer. 

Was können die Patienten selbst tun?

Sobald der Patient durch die Behandlung in der Lage ist, bestimmte Bewegungen wieder allein auszuführen, sollte er auch zu Hause üben. Dadurch prägen sich die Bewegungsabläufe – die ja über längere Zeit nicht möglich waren – wieder im Gehirn ein. Hilfreich sind auch Bewegungsbäder. Die Übungen lassen sich durch den Wegfall der Eigenschwere leichter durchführen.

Was raten Sie Patienten?

Ich rate vor allem von einer vorschnellen Operation ab. Die Kalkschulter geht häufig von selbst weg. Deshalb sollten Patienten es immer erst mit einer Physiotherapie versuchen. Und wer von seinem Arzt die Empfehlung für eine OP bekommt, ist gut beraten, sich die Meinung eines zweiten Kollegen einzuholen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hardt.

Das Interview führte Constanze Löffler