Herpes Viren (Quelle: imago/imagebroker)
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Interview l Forschung zu vielseitigen Viren - Neue Therapie gegen gefährliche Herpesviren

Mit Herpesviren verbinden viele Menschen die lästigen Bläschen an der Lippe. Es gibt allerdings auch Virusformen, die ganz andere Symptome verursachen. Ein Beispiel ist das humane Herpesvirus 6, das vor allem für Menschen mit einem schwachen Immunsystem gefährlich werden kann. Wissenschaftler haben nun einen neuen Therapieansatz entwickelt, der gegen die gefährliche Virusinfektion helfen kann.

rbb Praxis sprach mit Dr. Andreas Moosmann, Biochemiker und Leiter der Forschungsgruppe am Helmholtz Zentrum in München.

Welche Erkrankungen kann das humane Herpesvirus 6 verursachen?

Die am häufigsten durch das Herpesvirus 6, kurz HHV-6, verursachte Erkrankung ist das Dreitagefieber bei Kindern zwischen sechs und 15 Monaten. Das ist auch der Zeitraum, in dem sich die meisten Menschen mit HHV-6 anstecken. Bei manchen entwickelt sich dann das Dreitagefieber, bei anderen ruht das Virus ein Leben lang. Diese Kinderkrankheit geht einher mit Fieber, gefolgt von einem Hautausschlag. Selten kommt es auch zu Krampfanfällen. In den meisten Fälle geht das Dreitagefieber von allein wieder weg und hat auch keine negativen Spätfolgen. Bei Krampfanfällen sollte man schleunigst kinderärztlichen Rat suchen.
 
Inzwischen gibt es auch die Vermutung, dass das Chronische Erschöpfungssyndrom oder auch bestimmte Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose mit dem Herpesvirus 6 in Verbindung stehen. Bei MS-Patienten hat man zum Beispiel größere Mengen der Viren in der Nervenflüssigkeit gefunden.

Wie steckt man sich mit dem Herpesvirus 6 an?

Die Übertragung erfolgt über den Speichel, möglicherweise auch durch Tröpfcheninfektion, also durch Anhusten oder Niesen. Auch Personen, die das Virus in sich tragen, ohne erkrankt zu sein, können ansteckend sein.
 
Beim Herpes-Simplex-Virus, das die Lippenbläschen verursacht, sollte man vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern vorsichtig sein. Erwachsenen mit Lippenbläschen sollten das Kind auf keinen Fall küssen und lieber einen Mundschutz tragen. Eine Infektion mit dem Herpes-Simplex-Virus kann bei Babys unter Umständen zu einer Entzündung des Gehirns führen.

Wie verbreitet ist das HHV-6 Virus und welche Menschen sind besonders gefährdet?

Man kann davon ausgehen, dass jenseits der Kindheit über 95 Prozent aller Menschen mit dem HHV-6 Virus infiziert sind; die meisten allerdings ohne daran zu erkranken. Gefährlich wird das Virus erst dann, wenn das Immunsystem der Patienten stark geschwächt ist. Das ist zum Beispiel bei Leukämiepatienten der Fall, die eine Stammzelltransplantation erhalten haben. Dabei werden die blutbildenden Stammzellen eines Spenders auf den Leukämiepatienten übertragen. Damit dieser die Stammzellen nicht wieder abstößt, wird das Immunsystem des Patienten so gut wie "ausgelöscht". Über mehrere Monate bildet der Patient dann aus den gespendeten Stammzellen wieder neue Immunzellen, aber in der Zwischenzeit ist er extrem gefährdet, an Infektionskrankheiten zu erkranken, wie zum Beispiel mit HHV-6. Das heißt, es können eine ganze Reihe von Viren (siehe Kasten "Herpes-Viren") beim Patienten aktiv werden, die vorher quasi "geschlummert" haben. Deren Symptome sind nicht immer ganz leicht auseinander zu halten, aber wir wissen inzwischen, dass HHV-6 eine Enzephalitis, eine Gehirnentzündung auslösen kann. Das Virus kann aber auch in anderen Organen, wie der Lunge oder der Leber zu entzündlichen Prozessen führen. Auf jeden Fall wirken sich solche Viruserkrankungen negativ auf das Überleben der Patienten aus.

Auch bei Menschen, die ein Organ transplantiert bekommen haben, sehen wir, dass HHV-6 reaktiviert wird und sich vor allem im transplantierten Organ vermehrt. Über die Folgen dieser Reaktivierung für die Patienten sind sich die Forscher allerdings noch nicht einig.

Wie wurden Patienten bislang behandelt?

Bislang hat man diesen Patienten klassische Virustatika gegeben, wie zum Beispiel Ganciclovir und Cidofovir. Das sind chemische Medikamente, die man für ein verwandtes Virus entwickelt hat und zwar das Zytomegalie-Virus. Diese Medikamente haben aber den Nachteil, dass sie sich negativ auf die Blutbildung auswirken, die ja gerade bei den Leukämiepatienten nach Stammzelltransplantation aktiviert werden soll. D.h. man hat diese Virustatika bislang sehr zurückhaltend und auf keinen Fall vorbeugend gegeben.

Was ist das Neue an Ihrer Therapie?

Den Leukämiepatienten, die gefährdet sind, durch das HHV-6 zu erkranken, fehlen Immunzellen und zwar vor allem so genannte T-Zellen. Ein Ansatz wäre, diesen Patienten einfach mehr T-Zellen zu geben; das birgt aber die Gefahr, dass bestimmte T-Zellen gesunde Organe der Patienten attackieren, weil sie diese als "fremd" erkennen. Deswegen haben wir jetzt den Ansatz verfolgt, die T-Zellen zu identifizieren, die für ein bestimmtes Virus zuständig sind. Wir haben in unserem Körper mehrere Milliarden unterschiedlicher T-Zellen, die für die Bekämpfung ganz verschiedener Krankheitserreger im Körper zuständig sind. Wir haben es jetzt geschafft, aus diesen vielen T-Zellen, diejenigen "herauszufischen", die spezifisch das humane Herpesvirus 6 angreifen.

Wie genau haben sie diese neue Therapie entwickelt?

Das geschieht, indem wir in der Zellkultur die T-Zellen mit Elementen des Virus konfrontieren. Und diejenigen T-Zellen, die dann reagieren, von denen wissen wir das sie spezifisch gegen das HHV-6 Virus wirken. Neu an unserem Ansatz ist, dass wir nicht mehr wie in den 90er Jahren das komplette Virus nehmen, sondern einzelne Peptide, also kleine Bruchstücke von Proteinen. Der Vorteil ist, dass wir damit sehr viel genauer herausfinden können, welche T-Zellen gegen welche Bestandteile des Virus gerichtet sind. Hinzu kommt, dass wir auf große Datenmengen anderer Untersuchungen mit Viren zurückgreifen können, die uns gewisse "Muster" liefern, welche T-Zellen auf welche Viren reagieren. Das erlaubt uns eine gewisse Vorauswahl. Das Virus versucht ja, sich innerhalb der Zelle zu vermehren. Dabei werden Peptide an der Zelloberfläche präsentiert, die nicht zelleigen, sondern vom Virus selbst stammen. Und genau diese Strukturen erkennen dann die T-Zellen und können die vom Virus befallene Zelle zerstören.

Ist die neue Therapie schon in der klinischen Anwendung?

Es ist so, dass man virusspezifische T-Zellen schon seit den 90er Jahren gegen verschiedene Virusinfektionen einsetzt. Und zwar vor allem bei Infektionen mit dem Zytomegalie- und dem Epstein-Barr-Virus. Für HHV-6 gibt es erst seit einigen Jahren erste klinische Ansätze im amerikanischen Houston, die dieses Virus mit aufgenommen haben. Dort werden die ersten Patienten mit einer multi-virus-spezifischen T-Zelltherapie behandelt, die gegen mehrere Virusinfektionen wirksam sein soll. In Erlangen, Berlin und anderen Städten läuft gerade eine klinische Studie mit T-Zellen, die gegen Zytomegalie- und Epstein-Barr-Viren bei Patienten mit Stammzelltransplantation helfen sollen. Diese Studie basiert auf unserer Methode. Das heißt, dort entnehmen sie den Patienten Blut und vermehren mit Hilfe der Peptide die spezifischen T-Zellen, die gegen Zytomegalie- und Epstein-Barr-Viren vorgehen. Diese Studien werden hoffentlich demnächst um das HHV-6 Virus erweitert werden. Dann könnte in absehbarer Zeit auch eine spezifische T-Zelltherapie gegen das humane Herpesvirus 6 zur Verfügung stehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Andreas Moosmann.
Das Interview führte Ursula Stamm.

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