Glasflaschen mit Medizin (Quelle: imago/Science Photo Library)
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Wirkstoffforschung bei Tiermodellen erfolgreich - Ein Medikament gegen drei Volksleiden?

Die Lebenserwartung nimmt zu und damit steigen auch die Zahlen für Leiden wie Depressionen, chronische Schmerzen und Fettleibigkeit. Dem Biochemieprofessor Felix Hausch ist es gelungen, die Struktur eines bekannten Moleküls so zu verändern, dass es zumindest im Tierversuch dagegen wirkt. Die rbb Praxis hat mit dem Professor für Strukturbasierte Wirkstoffforschung an der TU Darmstadt über seinen Wunderstoff gesprochen.

Herr Prof. Hausch, Sie beschäftigen sich mit der Hemmung des Eiweißmoleküls FKBP51. Es spielt im Organismus in vielerlei Hinsicht eine Rolle. War die Entdeckung Zufall oder haben Sie gezielt danach gesucht?

Das Protein FKBP51 war schon bekannt. Meine Kollegen vom Münchner Max Planck Institut für Psychiatrie hatten dann 2004 entdeckt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Protein und Depressionen gibt. Dass das Protein danach eine solche Steilfahrt hinlegen würde, weil es auch bei anderen Indikationen eine Rolle spielt, das war auch ein bisschen Glück.

Wann haben Sie das Potenzial von FKBP51erkannt?

Von Depressionen hatte ich damals keine Ahnung, aber mir war schnell klar, dass das Molekül für die Wirkstoffforschung interessant ist. Wir kannten bereits einen Naturstoff, der daran bindet: Tacrolimus ist ein Stoffwechselprodukt von Bakterien, das das Immunsystem unterdrückt. Das Molekül bindet an eine Tasche von FKBP51. Vielen anderen Proteinen fehlt eine solche Bindungsstelle – und damit ein möglicher Angriffspunkt. Das macht FKBP51 als Zielmolekül extrem spannend.

Wie kommt es, dass das Eiweiß an verschiedenen Stellen wirkt?

Die Natur geht effizient mit ihren Ressourcen um und hat den Baustein FKBP51 für mehrere Prozesse in verschiedenen Organen verwendet. Inwieweit diese zusammenhängen, ist uns heute noch nicht klar. Auffällig ist, dass die drei Indikationen komorbide sind, sie treten also häufig gemeinsam auf. Möglicherweise gibt es gemeinsame molekulare Ursachen, eine davon ist vielleicht FKBP51.

Welchen Wirkmechanismus haben Sie gefunden, der sowohl Depression, Fettleibigkeit und chronische Schmerzen beeinflusst?

Jede Indikation hat vermutlich ihren eigenen Wirkmechanismus. FKBP51 ist beispielsweise für das Stresssystem sehr wichtig. Über einen Rückkopplungsmechanismus führt es zu einer verstärkten Stressantwort. Dass Stress zumindest bei einer bestimmten Gruppe von Patienten zu Depressionen beiträgt, gilt heute als sicher. Hinsichtlich der Fettleibigkeit unterdrückt FKBP51 die Umwandlung von weißem zu braunem Fettgewebe. Letzteres ist das „gute“ Fettgewebe; es speichert nicht einfach nur Energie, sondern verbrennt Fett zu Wärme. Außerdem verhindert FKBP51 wohl, dass Glukose in den Muskel aufgenommen wird. Der Blutzucker steigt, die Glukoseintoleranz nimmt zu.. Beim Schmerz geht die Theorie dahin, dass das Eiweiß bei chronischen Schmerzzuständen vermehrt im Rückenmark exprimiert wird und damit das Schmerzempfinden aufrechterhält.

Blockiert man FKBP51, müssten Depressionen, Fettleibigkeit und chronische Schmerzen we-niger werden.

Bei allen drei Erkrankungen ist FKBP51 tatsächlich im Übermaß vorhanden. Blockiert man es, passieren lauter positive Dinge: Die Stressantwort wird gedrosselt, die Fettverbrennung über Wärmeerzeugung angekurbelt, die Glukoseintoleranz gebessert und das Schmerzempfinden reduziert – zumindest in Tiermodellen.

Sie nutzen abgewandeltes Tacrolimus zur Blockade von FKBP51.

Tacrolimus ist ein bereits zugelassener Pharmawirkstoff, eine aus Bakterien gewonnene Substanz, die bekanntermaßen an FKBP51 und verwandte Proteine bindet. Das war unser chemischer Startpunkt. Wir haben es im Laufe der Zeit so verändert, dass es fast ausschließlich an FKBP51 bindet.

Was mussten Sie tun, um das Molekül so zu verändern?

Für uns gab es ein Riesenproblem bei Tacrolimus: Es bindet nicht selektiv an FKBP51, sondern auch mehr oder weniger gut an die 16 anderen Proteine aus der FKBP-Familie. Eines davon, FKBP52, sieht fast genauso aus wie „unser“ Zieleiweiß FKBP51, bewirkt aber genau das Gegenteil. Zum Glück haben wir herausgefunden, dass sich ausschließlich bei FKBP51 die Bindungstasche umlagern kann. Damit war die Selektivität geknackt. Außerdem haben wir die Wirkstärke verbessert und das Molekül gehirngängig gemacht. Heute kann man die Ursprünge von Tacrolimus zwar noch erkennen, aber mittlerweile sind 90 Prozent neu.

Was kann Ihr Wirkstoff schon?

Gut nachweisen können wir die Effekte auf das Stresssystem. Bei Tieren in Stresssituationen ist die Stressantwort reduziert, wenn FKBP51 blockiert ist, sprich, die Tiere schütten weniger Kortisol aus. Als wir die Tiere auf eine Fettdiät setzten, nahmen jene, bei denen wir das Protein FKBP51 ausgeschaltet haben, deutlich weniger zu. Am deutlichsten sind die Effekte bei Schmerzen. Mäuse, die man zunächst besonders empfindlich für Schmerzen gemacht hatte, litten durch die Blockade von FKBP51 fast gar nicht mehr. Das war schon sehr beeindruckend.

Wie hat die wissenschaftliche Welt auf Ihre Forschungen reagiert?

Die Pharmafirmen sind sehr zurückhaltend. Alle drei Indikationen gelten als schwierig. Die Behandlung von Depressionen beispielsweise wird kaum noch von Pharmafirmen beforscht, zu oft gab es Enttäuschungen mit vielversprechenden Wirkstoffen: Die Effekte im Tiermodell sind zunächst hervorragend. Im Menschen aber ist die Situation viel komplexer, so dass das Produkt letzten Endes nicht ausreichend wirkte. Tiermodelle sind eben oft nicht aussagekräftig. Was man braucht, ist der "Proof of concept" im Menschen, sprich, der Nachweis, dass das Molekül auch im Menschen die erwarteten Effekte hat. Für solche Studien braucht man allerdings Millionen Euro, beispielsweise von der Pharmaindustrie. Wir drehen uns also im Kreis.

Aktuell experimentieren Sie mit Tieren. Welcher Weg liegt noch vor Ihnen?

Die Wirkstoffentwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir müssen noch einige Moleküleigenschaften verbessern. Unser Wirkstoff muss metabolisch noch stabiler werden, damit er nicht so schnell abgebaut wird. Das Molekül ist noch zu groß und tritt zu wenig ins Gehirn über. Und es muss sich mit anderen Medikamenten vertragen, ohne dass es Wechselwirkungen hervorruft. Wie lange das alles noch dauert, kann ich nicht sagen.

Sie geben dem Wirkstoff aber eine reelle Chance.

Im Moment sieht die Sache sehr, sehr gut aus.

Haben Sie schon ein Patent angemeldet?

Natürlich. Und sobald die Chemie für den Wirkstoff fertig ist, planen wir eine Ausgründung.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Dr. Hausch.
Das Interview führte Constanze Löffler

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