Interview | Union-Urgestein Heinz Werner - "Diese Stunden und Tage habe ich nie vergessen"

Mi 20.01.16 | 17:56 Uhr
Audio: Inforadio | 20.01.2016 | Stefan Frase

Heinz Werner gilt bei Union Berlin als Trainer-Gott der Siebzigerjahrer. Denn mit ihm stieg der Verein erstmals in die höchste Spielklasse der DDR, die Oberliga, auf. Heute ist der mittlerweile 80-Jährige eine Union-Legende und Ehrenmitglied des Vereins. Kaum ein anderer Berliner kennt die "Eisernen" und ihre Geschichte so gut wie er.

Herr Werner, Sie wurden 2011 zum Ehrenmitglied des 1. FC Union ernannt, weil Sie maßgeblich für die größten Erfolge des Vereins stehen – vor der Wende, Ende der Siebzigerjahre. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?

Nachdem ich in Rostock 1975 entlassen wurde, bemühte sich der 1.FC Union sehr um meine Person. Berlin war damals in der 2. Liga. Am 1. Januar 1976 habe ich dann diese Aufgabe übernommen und bin gleich mit Union in die Oberliga durchgestartet. Es waren sicherlich keine einfachen Jahre, vielleicht sogar meine schwierigsten. Aber so etwas bleibt meist am tiefsten sitzen, weil es ungemein emotional war. Wir haben dort ein riesen Zuschauerpotenzial gewonnen, und es war immer etwas Besonderes, an der Alten Försterei zu spielen. Diese Stunden und Tage habe ich nie vergessen.

Es war eigentlich ja nicht Ihr Herzenswunsch nach Berlin zu gehen

Nein. Es kostete Willi Langheinrich, den damaligen DTSB-Vorsitzenden, viel Überzeugungskraft, damit ich hierher kam. Ich hatte aber auch keine andere Chance und wollte unbedingt noch einmal eine Fußballmannschaft führen, nachdem ich nach fünf Jahren in Rostock gescheitert war.

Ihre Zeit zuvor in Rostock ging sehr abrupt zu Ende. Sie waren und sind dafür bekannt, dass Sie mit Ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten. Am 8. März 1975 – dem damaligen Frauentag – haben sie die makaberste Trainerentlassung, wie sie es selbst bezeichnen, beim FC Hansa erlebt.

Wir spielten gegen Carl-Zeiss Jena. Hans Meyer mit seiner Mannschaft war also mein Gegner, und wir lagen bereits nach 20 Minuten mit 0:2 zurück. Da kam der erste Sekretär der Bezirksleitung, Harry Tisch, von der Ehrentribüne heruntergepurzelt – denn er war angetrunken – und forderte mich auf: "Du wechselst den Libero und den Torhüter aus!" Im Tor stand Bernd Jakubowski, Libero war Rainer Kaube. Ich antwortete: "Nein, das mache ich nicht." – "Du wechselst aus!" – "Nein, das mache ich nicht". – "Dann schmeiß ich dich raus!" – "Dann schmeißen sie mich halt raus." Und damit war ich entlassen. Das Ganze hat 15 Sekunden gedauert.

Wie haben die Fans reagiert?

Die haben das gar nicht mitbekommen. Ich habe mich wieder auf die Bank gesetzt, das Spiel zu Ende gemacht und auch danach noch eine Woche weitergearbeitet, als wäre nichts passiert. Denn niemand hat mir gesagt, dass ich nicht mehr Trainer des FC Hansa bin. Eine Woche später bin ich offiziell verabschiedet worden.

Ein Lebenslauf wird oft von Zufällen bestimmt. War dieser Rauswurf vielleicht sogar der Auslöser, nach Berlin zu gehen?

Ja, durchaus. Ich wollte weiterhin Fußballtrainer sein und habe eine Weile gezögert, weil ich wusste, dass Union ein Verein ist, der es sehr schwer hat. Es war schon eine komplizierte Aufgabe, aber gerade komplizierte Aufgaben lassen oft etwas zurück.

Sie waren sechseinhalb Jahre Cheftrainer des 1.FC Union – von 1976 bis Mitte 1982 – länger war nur die spätere Ära von Uwe Neuhaus. Insgesamt standen Sie in 175 Pflichtspielen an der Linie und vor zwei Jahren wurden Sie von 28 Zeitzeugen als Cheftrainer des Union-Allstar-Teams benannt. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?

Das ist schon eine sehr bemerkenswerte Auszeichnung, die ich sehr zu schätzen weiß. Es ist ja auch mein Herzensverein. Hier bin ich zu Hause, hier fühle ich mich wohl, und ich sehe heute fast jedes Spiel als ein Highlight.

Vielen wird an Ihrer Trainerzeit besonders die beiden 1:0-Siege gegen den ungeliebten Stadtrivalen BFC Dynamo in der Saison 76/77 geblieben sein: 45.000 Zuschauer waren Augenzeugen im Stadion der Weltjugend. Mussten Sie sich damals für diesen Sieg entschuldigen?

Nein, das musste ich nicht. Das war schon etwas ganz Besonderes. Denn Dynamo war eindeutig stärker als wir und besser besetzt.

Warum hat man Ihnen 1982 den Trainerstuhl vor die Tür gesetzt, obwohl Sie gerade den Aufstieg in die DDR-Oberliga geschafft hatten?

Das war die große Politik, die damals hier in Berlin gemacht wurde. Es sollte meines Erachtens eine "eiserne Umarmung" von Dynamo werden. Denn mit Harry Nippert kam ein Dynamo-Trainer, auch der Vorsitzende Dr. Woick kam von Dynamo. Das sollte eine Übernahme werden, um die Dinge dort vielleicht besser zu regeln.

Damals ging es mit Ihrer Trainerkarriere noch ein paar Jahre weiter: Stahl Brandenburg, FC Karl-Marx-Stadt, immerhin auch DDR-Oberliga.

Ich hatte eigentlich gehofft, auch im gesamtdeutschen Fußball eine Aufgabe übernehmen zu können. Doch das war nicht der Fall, wenngleich mich Ewald Lienen 1992 zum MSV Duisburg holte, und ich dort auch fast zwei Jahre tätig sein konnte. Aber einen richtigen Einstieg in die Bundesliga – diese Möglichkeit bekam ich nicht. So bin ich im Wesentlichen im Ausland tätig gewesen: Weltweit, in insgesamt 52 Ländern, durfte ich Trainerausbildungen machen. Ich habe auch viele Einladungen bekommen, die außerhalb der FIFA und der UEFA waren, wo die Länder mich dann ein zweites, drittes oder viertes Mal eingeladen haben.

Gerade waren Sie in China – wohin geht die nächste Reise?

Wieder nach China. Im Sommer habe ich bereits das Angebot, nach Peking zu kommen und dort wieder eine Trainerausbildung zu leiten. Ich habe noch keine feste Zusage gemacht, in meinem Alter muss man solche Dinge kurzfristig entscheiden. Wenn der Frühling da ist, sagen wir mal im April, dann bin ich bereit, ja oder nein zu sagen.

Als Ehrenmitglied und "eiserner" Union-Fan trifft man Sie oft bei den Heimspielen an der "Alten Försterei". Aktuell sitzt Sascha Lewandowski auf der Trainerbank, der 1.FC Union ist längst etabliertes Mitglied in der zweiten Bundesliga – hat aber immer noch höhere Ansprüche. Was trauen Sie als weiser Fußball-Guru Ihrem Verein denn noch zu?

Nun, ich traue dem Verein zunächst zu, dass er weiterhin stabil in der zweiten Bundesliga spielt. Und ich hoffe und wünsche, dass ich es noch erlebe, dass der 1. FC Union bei weiterer Stabilität und bei weiterem Wachsen auch einmal in der ersten Bundesliga spielt. Berlin könnte jederzeit zwei Erstligisten verkraften – und es wäre etwas ganz Besonderes, wenn der 1. FC Union das schaffen würde.

Stefan Frase, Inforadio, führte das Gespräch. Das Interview in vollständiger Länge steht als Audio im Header dieses Artikels.