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Simon Schwarz ist der erste Comiczeichner, der letztes Jahr im Berliner Reichstag ausstellen durfte. Mit seinem neuen Buch "Ikon" erzählt er vom Schicksal der angeblichen russischen Zarentochter Anastasia, die in einer Nervenheilanstalt im Berlin der 20er Jahre auftaucht.
Die angebliche Zarentochter Anastasia, gezeichnet von Comicautor Simon Schwartz. 17. Februar 1920, neun Uhr abends, an der Bendlerbrücke. Eine junge Frau stürzt sich am Schöneberger Ufer in den Landwehrkanal.
Simon Schwartz, Comicautor
"Sie ist von dieser Brücke gesprungen und dann nach ein, zwei Minuten sofort von einem Polizisten gerettet worden, der tatsächlich hier lang gelaufen ist. Die Frage ist, wie tief sie überhaupt gesprungen, weil wir sehen, das Wasser ist sehr flach."
Simon Schwartz erzählt in seinen Büchern gerne historische Stoffe für die er akribisch recherchiert. Fast sechs Jahre hat er sich mit dem Fall Anastasia beschäftigt. Die Gerettete wird in die Psychiatrie gebracht. Eine Krankenschwester glaubt in ihr die Kronprinzessin Anastasia wiederzuerkennen, denn sie soll die Erschießung der Zarenfamilie überlebt haben.
Simon Schwartz, Comicautor
"Der Zeitpunkt, wo die falsche Anastasia in Berlin auftauchte, war das Ende des Ersten Weltkrieges, es war das Ende fast aller Monarchien in Europa. Und es herrschte offensichtlich noch dieser Wunsch, dass etwas überlebt hat, und nicht nur bei den Exilrussen, sondern bei allen. Es gab ja eine richtige Hysterie um diese wiederauferstandene Zarentochter."
Für uns geht Simon Schwartz im Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek noch einmal auf Spurensuche. Das Schicksal von Anastasia ist ein Zeitungsknüller, doch früh gibt es auch Zweifel an ihrer wahren Identität.
"Hier kommt dann der Beitrag über die Zarentochter Anastasia."
"Da steht sogar schon ihr echter Name - Schanzkowska."
Sie ist enttarnt. Diese Anastasia ist eine polnische Landarbeiterin. Darüber dass sie eigentlich kein Wort Russisch sprach, hätte man sich schon wundern können.
Simon Schwartz, Comicautor
"Das hier ist die echte Anastasia. Und das hier ist die Hochstaplerin."
Ähnlich sahen sie sich auch nicht. Das Erstaunliche: Viele wollen weiter fest an die wahre-falsche Zarentochter glauben.
Simon Schwartz, Comicautor
"Wenn man sich mit dieser falschen Anastasia beschäftigt, stößt man natürlich zwangsläufig auf ihre Unterstützer. Und der prominenteste ist Gleb Botkin, der der Sohn des Leibarztes der Zarenfamilie war und zusammen mit der echten Anastasie aufgewachsen ist. Botkin ist später in die USA emigiriert, und sobald die Hochstaplerin auftauchte, war er ihr größter Fürsprecher gegen alle Widerspüche, und hat das vermutlich auch bis ans Ende seines Lebens getan, um sich diesen Selbstbetrug nicht einzugestehen."
Die Objektive der Presse richten sich immer wieder auf Anastasia, wie hier im Schwarzwald Jahrzehnte später. Die falsche Zarina spielt bis zu ihrem Tod mit der Aufmerksamkeit für ihr beinah blaues Blut.
Archiv (1976)
"Wie soll ich Ihnen sagen, wer ich bin. Auf welche Weise? Können Sie mir das sagen? Können Sie wirklich beweisen, wer Sie sind?"
1984 ist sie gestorben. Simon Schwartz interessiert aber gerade dieses Spiel mit Schein und Sein.
Simon Schwartz, Comicautor
"Diese Geschichte ist dahingehend universell und auch aktuell, dass wir in einer Welt leben, in der gefühlte Wahrheiten, so genannten Fake News, immer mehr überhand nehmen und Leute unglaubliche Aussagen machen können und dafür eine unglaubliche Menge an Fürsprechern bekommen können, egal ob das irgendeine faktische Grundlage hat."
Simon Schwartz zeichnet die Geschichte um Anastasia dunkel und vielschichtig. Eine Welt in der die Wahrheit keinen mehr interessiert.
Autorin: Bettina Lehnert