Von der DDR in die Gegenwart - Goldammer schickt eine Mutter auf Spurensuche nach ihrem Kind

Fr 14.05.21 | 09:35 Uhr | Von Andreas Oppermann
Buch Zwei fremde Leben von Frank Goldammer
Audio: Antenne Brandenburg | 12.05.2021 | Nico Hecht und Andreas Oppermann | Bild: Tony Schönberg/rbb

Eine junge Mutter in der DDR glaubt nicht an den Tod ihres Kindes. Stattdessen vermutet sie den Staat hinter einer angeordneten Kindesentführung. Die Suche führt sie über Jahrzehnte nicht nur in die Gegenwart, sondern auch nach Märkisch-Oderland und Dahme-Spree. Von Andreas Oppermann

Die Vorstellung ist grausam. Eine Frau gebar ein Kind. Es wird ihr weggenommen. Die Ärzte sagen, es sei tot zur Welt gekommen. Aber die junge Frau hat ihr Kind nie gesehen. Und deshalb zweifelt sie von Anfang an dieser Totgeburt. Der Dresdner Autor Frank Goldammer hat diese Situation zum Ausgangspunkt seines Romans "Zwei fremde Leben" gemacht.

Von der DDR in die Gegenwart

Goldammer geht auf eine Spurensuche, die 1973 im Uniklinikum Dresden beginnt und erst in der Gegenwart endet. Gab es in der DDR Zwangsadoptionen und Kinderraub? Wie fühlt sich das für die betroffene Frau an? Wie reagiert die Umwelt? Welche Rolle spielt die Stasi? Und nach dem Fall der Mauer die Stasiunterlagenbehörde? Ein Stoff, der die Kenntnis der historischen Fakten genauso erfordert wie erzählerisches Geschick. Frank Goldammer hat beides. Schon mit seiner Reihe um den Dresdner Kommissar Max Heller, die im Dritten Reich beginnt, über die sowjetische Besatzung bis in die DDR reicht, hat er bewiesen, dass er die große Geschichte regional erzählen kann. Sein aktueller Roman schildert jetzt historische Kontinuitäten, die in der DDR ihren Anfang nehmen und bis in die Gegenwart der Bundesrepublik reichen.

Goldammer geht es auch diesmal nicht darum, Menschen zu verurteilen, sondern zu zeigen, wie die jeweiligen Lebensumstände die Wahrnehmung prägen. Protagonistin Ricarda hält es für möglich, dass ihr Kind geraubt wurde. Deshalb macht sie sich über Jahrzehnte immer wieder neu auf die Suche. Da sie dem Regime nicht vertraut, kann sie die Wahrheit auch nicht finden, weder in vielen Gesprächen, noch später in den Akten. Aber weil sie fragt, wird sie ins Abseits gestellt. Vom Staat und von ihrer eigenen Familie, die darüber zerbricht.

Relevanz für gesamte ehemalige DDR

Die Geschichte spielt vor allem in Dresden. Aber Goldammer schildert auch wie sich die DDR-Elite im Berliner Umland einrichtet - konkret in Rüdersdorf in Märkisch-Oderland. Oder wie in Königs Wusterhausen (Landkreis Dahme-Spreewald) ein Kinderheim bei der Suche nach vermissten Kindern hilft. Gerade diese Blicke, die über Dresden hinausreichen, machen deutlich, dass der Stoff des Buches für die gesamte ehemalige DDR relevant ist. Die Szene in Rüdersdorf ist zudem ein ganz dichtes psychologisches Bild aus den Tagen kurz vor und nach dem Mauerfall, in dem Starre, Zusammenbruch und Aufbruch in der Familie eines Parteibonzen zusammenfallen.

Goldammer hat einen Roman geschrieben, der viele Zutaten eines klassischen Krimis hat. Aber er bleibt nicht im Genre hängen. „Zwei fremde Leben“ ist ein packender historischer Roman, der nachvollziehbar macht, wie Diktatur funktioniert – und bis in die Gegenwart nachwirken kann.

Sendung: Antenne Brandenburg, 12.05.2021, 14:40 Uhr

Beitrag von Andreas Oppermann

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