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Eine Mieterin als Leidtragende in einem Immobilienkrimi
Wem gehört die Wohnung in Berlin-Weißensee? Und muss Katja Goerschel tatsächlich aus dieser Wohnung raus? Das sind die zentralen Fragen in einem sehr undurchsichtigen Mieter-Eigentümer-Verkäufer-Drama, in dem sogar der Käufer und damit vermeintliche Eigentümer der Wohnung gegen den Verkäufer klagt. SUPER.MARKT über einen ganz und gar nicht alltäglichen Fall, in dem eine Mieterin sich plötzlich in einem Immobilienkrimi wiederfindet - und um ihr Zuhause bangt.
Der Fall
Katja Goerschel aus Berlin-Weißensee hat ein Riesenproblem: Jahrelang zahlte sie ihre Miete an das spanische Unternehmen Farsalia. Ihrer Kenntnis nach ist das die Eigentümerin der Wohnung, in der sie mit ihren Kindern lebt. Doch dann kam ein Schreiben einer deutschen Immobiliengesellschaft, die ebenfalls behauptete, im Besitz der Wohnung zu sein. Goerschel sollte ein Nutzungsentgelt für die Wohnung zahlen. Bald wollte die deutsche Immobiliengesellschaft Goerschel sogar raushaben. Die Berlinerin wehrte sich. Aber wer hat recht?
"Ich fühle mich betrogen und getäuscht"
Der Firma, die Anspruch auf Katja Goerschels Wohnung erhebt, gehörte früher die Immobilie. 2007 hat das Unternehmen an die spanische Farsalia verkauft. Doch vor etwa zwei Jahren kam von der Verwalterin der ehemaligen Eigentümerfirma eine erste Aufforderung an die Mieterin: Sie wolle die Wohnung besichtigen. Da Katja Goerschel von dieser Firma noch nie gehört hatte, ignorierte sie zunächst die Forderungen der Verwalterin und wendete sich stattdessen an den spanischen Vermieter.
Der reagierte fassungslos, gegenüber dem rbb erläutert er: "Dies hat mich wirklich sehr besorgt und mich auch sehr überrascht ... Ehrlich gesagt, fühle ich mich betrogen und getäuscht."

Die Ängste der Mieterin
Die neue Verwalterin schickte weiter Briefe. Unter anderem sollte Katja Goerschel ein so genanntes Nutzungsentgelt an die deutsche Firma zahlen. Die Mieterin fühlte sich unter Druck gesetzt: "Ich dachte, da klopft gleich die Polizei und ich muss raus mit allen Sachen, mit den Kindern. Da hat man schon massive Angst."
Trotz Forderungen der deutschen Immobiliengesellschaft zahlte Katja Goerschel ihre Miete weiter an die spanische Firma. Daraufhin entbrannte ein Rechtsstreit, der 2019 schließlich in einer Räumungsklage gipfelte. Doch wieso kann eine Firma von der Mieterin die Räumung verlangen, mit der Goerschel nie einen Vertrag geschlossen hatte?
"Als wäre dieser Kaufvertrag zu Ende vollzogen"
SUPER.MARKT hat den Fall rekonstruiert. Die Ursache für Katja Goerschels Probleme findet sich im Grundbuch. Dort steht als Wohnungseigentümer immer noch die ehemalige deutsche Eigentümergesellschaft. Wir nennen sie hier die "O. GmbH und Co KG". Das spanische Unternehmen Farsalia wurde nach dem Kauf nie eingetragen.
Für den Anwalt des spanischen Käufers, Kai-Peter Breiholdt, steht allerdings fest, dass es einen Besitzübergang gegeben hat: "Der Kaufvertrag wurde abgeschlossen, der Kaufpreis wurde auf das Anderkonto gezahlt." Für ihn ist klar, dass die Wohnung an die Farsalia übergeben wurde. "Die Farsalia hat jahrelang die Grundsteuer bezahlt. Hat die Wohnung dann auch vermietet. Und insofern wurde ja immer so gespielt, als wäre dieser Kaufvertrag zu Ende vollzogen worden. Einschließlich Eigentumsumschreibung. Was in der Tat aber nie passiert ist. Und da hat das Notariat schlampig gearbeitet – mindestens schlampig gearbeitet – und dann war das Kind in den Brunnen gefallen."
Die Ungereimtheiten
Normalerweise sorgt der Notar dafür, dass ein Kauf reibungslos abläuft und der Käufer im Grundbuch landet. Doch der Notar ist mittlerweile verstorben. Der Bevollmächtigte für die Farsalia war damals der Immobilienkaufmann Detlef Martin. Seiner Ansicht nach hatte er damals nichts falsch gemacht, mit seiner Unterschrift wurde der Kauf besiegelt, niemand hätte im Laufe des Jahres nach dem Erwerb irgendwelche Unregelmäßigkeiten bemängelt.
Doch Detlef Martin kennt die heutige Verwalterin, die Goerschel zuerst angeschrieben hatte, schon länger: Sie war in der Zeit des Verkaufs in dem Notariat angestellt. "Der Name ist mir erinnerlich, weil sie ja Mitarbeiterin im Notariat war. Und es wurden ja mehrere Wohnungen auch abgewickelt", so Martin gegenüber dem rbb.
Ein Dokument zeigt ebenfalls, dass der Name der Verwalterin, Frau S., sich auf dem Schreiben des Notars findet, in dem die Eigentumsumschreibung angekündigt wird. Dass dies ein Zufall ist, bezweifelt der Anwalt der Farsalia, Kai-Peter Breiholdt: "Es ist etwas merkwürdig, dass jahrelang dieser Kaufvertrag nicht vollzogen wurde. Und dass nach zehn Jahren die ehemalige Verkäuferin auf den Plan tritt und sagt: Ich will meine Wohnung haben." Diese zehn Jahre seien juristisch relevant, "weil es dort Verjährungsfristen gibt und es ist insofern vielleicht nicht so ganz zufällig, dass nach zehn Jahren diese Verkäuferin wieder aufs Tableau tritt."

Öffentliches Interesse wirklich nicht gegeben?
Gegenüber dem rbb lehnt die Verwalterin ein Interview ab und will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Sie begründet das mit den laufenden Gerichtsverfahren und schreibt: "Ihre Behauptungen und Schlussfolgerungen mich persönlich betreffend [sind] gänzlich falsch ... ein öffentliches Interesse daran [ist] nicht gegeben."
Doch Frau S. ist nicht nur im Immobiliengeschäft tätig, sie ist auch Mitglied der Berliner SPD, die sich für den Mieterschutz stark macht. Auf ihrem Twitteraccount setzt sie sich unter anderem für die Rechte von Mietern ein. Auch in einer Arbeitsgruppe der Bundes-SPD bekleidet sie ein hohes Amt.
Das Urteil steht noch aus
Michael Schultz ist Anwalt und Experte für Immobilienrecht. Auch ihm kommt der Fall dubios vor. "Der Fall ist außergewöhnlich: Entweder hat der Notar den Kontakt zur Erwerberin verloren bzw. diese hat nicht reagiert, so dass die Angelegenheit nicht vollzogen werden konnte, oder die Sache müsste auch strafrechtlich überprüft werden."
Ende September entscheidet jetzt das Berliner Landgericht darüber, wem die Wohnung in Weißensee gehört. Ein anderer Prozess klärt, wie es mit der Räumungsklage von Katja Goerschel weitergeht. Sie erfährt in den nächsten Tagen, ob sie tatsächlich aus ihrer Wohnung raus muss.