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Ein Spaziergang entspannt, macht den Kopf frei, sorgt für Weitblick. Für viele Menschen bekommt das Gehen momentan eine neue Bedeutung, ist willkommene Abwechslung und Flucht aus dem Homeoffice. Der „Spaziergang“ als Begriff wird aktuell aber auch neu interpretiert bei Protesten. Wie funktioniert die Kunst des Flanierens, was läuft ab in Körper, Geist und Seele beim Gehen? Und warum sollten Fußgängerinnen und Fußgänger eigentlich viel mehr Raum bekommen?

Im Begriff „Spazieren“ stecke etymologisch das Wort „Space“ – sich den Raum nehmen, erklärt der Kulturanthropologen Prof. Christoph Wulf. Beim Spazierengehen komme es darauf an, den Rhythmus des eigenen Körpers zu finden, die Umgebung wahrzunehmen und sich nicht zielgerichtet zu bewegen. Das Gehen als Selbstzweck. Historisch war das ein Luxus, den sich die griechischen Philosophen leisten konnten, und später das Bürgertum. Das Proletariat, das hart arbeiten musste, ging nicht spazieren.

Elke Schmid ist Trainerin für Gutes Gehen. Wenn man gut geht, dann „bewegen sich ungefähr 700 Skelettmuskeln und hundert Gelenke“, erklärt die Gehtrainerin. Ihren Kunden zeigt Elke Schmid, die „Körperachsen zu mobilisieren und aus der Körpermitte“ zu gehen. So werde für das Gleichgewicht weniger Muskelkraft benötigt, was ein leichtes und entspanntes Gehen ermögliche. Zusammen mit dem Philosophen Thomas Schütt hat Elke Schmid das Projekt Ecole Flaneurs gegründet. Hier geht es um das bewusst langsame Gehen: „Das Flanieren ist ein kultureller Schatz, den uns das 19. Jahrhundert hinterlassen hat. Intellektuelle wollten dem Schnelligkeitswahn der Großstadt etwas entgegenzusetzen: die Langsamkeit als Provokation“, sagt Thomas Schütt.

Die meisten Strecken werden in der Stadt zu Fuß zurückgelegt. Und damit sind die Fußgänger statistisch die gefährdetste Gruppe im Straßenverkehr – noch vor den Radfahrern. Seit bald 40 Jahren vertritt FUSS e. V. die Interessen der Fußgängerinnen und Fußgänger in ganz Deutschland. Zu Fuß zu gehen sei sehr effizient, sagt Roland Stimpel von FUSS e.V. Berlin: „Es braucht am wenigsten Platz, es belebt die Städte, es belebt den Handel. Wo viele Leute gehen, wird auch viel gekauft“. Aber auf Berlins Straßen müsse noch einiges für die Sicherheit der Passanten getan werden.

Die Cellistin Ulrike Brand und der Tänzer und Choreograph Ingo Reulecke lassen sich durch Laufen, Wandern und Gehen inspirieren. Die sinnliche Wahrnehmung der Natur versuchen sie in eine Tanzsprache zu übersetzen. Ulrike Brand hat ihr Cello so umgebaut, dass sie es im Gehen spielen kann. Das war für die Künstlerin eine „enorme Erweiterung des ganzen Spektrums des Improvisierens. Und dieses Gehen mit dem Instrument hat eine ganz starke Verbindung zu dem Gehen in der Natur.“