Johannes Unger
Johannes Unger, Abteilungsleiter Dokumentation und Zeitgeschehen im rbb | Bild: rbb/privat

Wir Ostdeutsche - Johannes Unger, Abteilungsleiter Dokumentation und Zeitgeschehen im rbb, über das Projekt

Wer hätte gedacht, dass die Umwälzungen und Umbrüche von Wende und Einheit so lange nachwirken? Sicher. Dass die blühenden Landschaften, die Kanzler Kohl im Einheitsrausch versprochen hatte, nicht über Nacht Wirklichkeit werden würden, war abzusehen. Aber dass uns das Thema innere Einheit und die emotionale Zerrissenheit von Ost und West mehr als 30 Jahre, also eine ganze Generation lang, beschäftigen würde, hatten selbst Pessimisten und Miesepeter wohl kaum für möglich gehalten.

"Wir Ostdeutsche", ein dokumentarisches Projekt über Lebenswege und Einstellungen in Ostdeutschland, realisiert von einem Team ostdeutscher Macher*innen, hat seine Berechtigung. Mehr als das. Es wäre 5, 10 und 25 Jahre nach der Wende fast noch wichtiger gewesen, ostdeutsche Stimmen zu Wort kommen zu lassen und ostdeutsche Perspektiven aufzuzeigen. Aber in einem Mediensystem, das von westdeutschen Eliten dominiert wurde und wird, ist das nicht leicht. (Ist eine solche Feststellung überhaupt erlaubt von einem, der selbst die Gunst der Stunde nutzend als relativ junger und unerfahrener Fernsehreporter für den "Aufbau Ost" vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) zum gerade gegründeten Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) wechselte?) Ein Dialog auf Augenhöhe, ein gemeinsames Erzählen und Zuhören wäre nötig gewesen. Zu selten ist das gelungen.

Viele Ostdeutsche haben den Einigungsprozess nicht nur als bereichernd und beglückend empfunden, sondern auch als rücksichtslose Kolonisierung und Fremdbestimmung. Die politischen Auswirkungen sind heute offensichtlich. Der Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, geboren und aufgewachsen in Thüringen, spricht von "Nachwende-Demütigungen", die bis heute nachwirken, und er fordert: "Das Ostdeutsche muss aufhören, für etwas Zweitklassiges zu stehen!"

Ein Dialog auf Augenhöhe – in der zeitgeschichtlichen Redaktion des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) haben wir immer versucht, diesen Austausch von Geschichten und Erfahrungen zu leben und in dokumentarischen Projekten umzusetzen: von der "Chronik der Wende" (1993) über die deutsch-deutsche Reihe "60 x Deutschland" (2009) bis zur großen Serie "Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt" (2018). Dabei ging es immer um den Austausch von Perspektiven und Prägungen Ost und West. Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg bietet dafür unzählige Anknüpfungspunkte und Projektionsflächen. Hier musste zusammenwachsen, was zusammengehört – und in vielerlei Hinsicht ist es in diesem deutsch-deutschen Labor schneller gelungen als in anderen Teilen des vereinten Deutschlands. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg entstand aus dem ehemaligen "Frontstadtsender" SFB und dem nach Wende und Wiedervereinigung neu gegründeten "Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg". Aus unterschiedlichen Erfahrungen ein gemeinsames Programm zu machen, war nicht immer leicht, aber es war immer absolut bereichernd – für die Macher*innen allemal, hoffentlich auch für das so unterschiedlich geprägte Publikum.

Jetzt also: "Wir Ostdeutsche". Für Lutz Pehnert, vielfach ausgezeichneter Autor und Regisseur, Produzent Olaf Jacobs sowie die meisten Mitwirkenden des Teams spiegelt die dokumentarische Zeitreise durch 30 Jahre Einigungsgeschichte auch ganz persönlich die eigenen Lebenserfahrungen. Es ist ein besonderes Projekt, das besondere Aufmerksamkeit verdient.

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