Aufbau von Ocean City. Bild: rbb/AWI/Stefan Hendricks
Aufbau von Ocean City | Bild: rbb/AWI/Stefan Hendricks

Expedition Arktis - Ein Jahr. Ein Schiff. Im Eis. - Wissenschaftliche Statements MOSAiC

Die Arktis – eine Welt im Wandel
Während der MOSAiC-Expedition hat sich das Eis im Frühsommer und Sommer 2019 und 2020 schneller zurückgezogen als jemals zuvor. Die Ausdehnung des Meereises ist im Sommer nur noch gut halb so groß wie vor 40 Jahren. Seine Dicke beträgt ungefähr die Hälfte wie noch zu jener Zeit, als Nansen während der Fram-Expedition durch die Arktis driftete. Während des Winters hat die MOSAiC-Expedition fast durchgehend etwa 10 Grad Celsius höhere Temperaturen gemessen als die Fram-Expedition vor rund 125 Jahren. All dies zeigt exemplarisch, in welch schnellem Wandel sich die Arktis und ihr Klima durch die menschengemachte Erderwärmung befinden. Was wir heute dort nicht messen, können wir schon in wenigen Jahren nicht mehr nachholen – da die Arktis dann eine andere Welt sein wird. Klimamodelle werden derzeit verbessert, um die Fernwirkung dieses arktischen Wandels auch auf unsere Breitengrade vorhersagen zu können.

Den Wandel verstehen und vorhersagen
Die MOSAiC-Expedition lässt uns den Wandel der Arktis verstehen. Sie ermöglicht, dass wir jene Prozesse besser analysieren können, infolge derer sich die Arktis schneller erwärmt als jede andere Region der Welt. In der Arktis sind die Atmosphäre, der Schnee, das Meereis, der Ozean, das Ökosystem und die Biogeochemie über komplexe Mechanismen eng aneinander gekoppelt. Diese Prozesse werden durch den Klimawandel verändert und verstärken ihn auch. Während MOSAiC haben wir dazu über 100 komplexe Klimaparameter und viele andere Umweltparameter durchgehend über das Jahr hinweg aufgezeichnet. Wir können die Prozesse jetzt in unseren Klimamodellen abbilden und damit besser abschätzen, welche Menge an Treibhausgasemissionen welche Auswirkungen auf das Klima und den Zustand der Arktis haben werden – wie auch weltweit. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für wissensbasierte politische und gesellschaftliche Entscheidungen über die anstehenden Klimaschutzmaßnahmen.

Licht, Wärmestrahlung und Verwirbelungen in Luft und Wasser – so fließt die Energie der Arktis
Während der Expedition haben wir Messungen von 4000 Metern unter der Oberfläche bis 35000 Metern in der Höhe durchgeführt. Wir haben den gesamten vertikalen Wärmehaushalt entlang unserer Drift in der Arktis erfasst und gemessen, wie sich Energie in Form von Licht, Wärmestrahlung und getragen von kleinsten Verwirbelungen im Wasser und in der Luft ausbreitet. Wir haben gemessen, wie Wärme aus dem Ozean durch das Eis und den Schnee geleitet wird und die Oberfläche erwärmt, wie sich die Oberfläche durch das Aussenden von Wärmestrahlung abkühlt und wie sie durch die Wärmestrahlung der Atmosphäre sowie der Wolken und Aerosole erwärmt wird. Wir haben genau erfasst, wie durch Ozeanverwirbelungen Wärme aus dem Inneren des Ozeans bis an das Eis heranführt wird und wie sich die Wärme mit Verwirbelungen der Luft in der Atmosphäre ausbreitet. Wir haben umfassend beobachtet, welche unterschiedlichen Vorgänge den Energiefluss bestimmen – auch dann, wenn im arktischen Sommer die Sonne dauerhaft auf Eis und Meeresoberfläche scheint. All dies zusammen bestimmt, welche Temperatur im arktischen Klimasystem herrscht. Veränderungen in diesem Energiefluss bewirken die schnellere Erwärmung der Arktis – das verstehen wir jetzt besser und können dadurch unsere Klimamodelle verbessern. Gleichzeitig entstehen viele neue Erkenntnisse darüber, welche Stellschrauben des arktischen Wandels künftig überregional in internationaler Zusammenarbeit beobachtet werden müssen.

Aerosole, Wassertröpfchen, Eiskristalle und Wolken – die großen Unbekannten im arktischen Klimasystem
Alles, was sich in der Atmosphäre befindet, verändert, wie viel Licht und Wärmestrahlung diese zur Eisoberfläche sendet. Wir haben erfasst, wie die Wolken mit dem Licht der Sonne interagieren, welche Wärme sie aussenden und wie dies insbesondere von den genauen Eigenschaften der Wolken abhängt. Und wir haben gemessen, wie kleinste Aerosolpartikel diese Wolkeneigenschaften beeinflussen. So wissen wir jetzt, welcher Anteil der Wassertröpfchen in den Wolken unter welchen Bedingungen zu Eiskristallen gefriert und wie dies bestimmt, welche Auswirkungen die Wolken auf Licht und Wärmestrahlung haben. Wir sind damit in der Lage, die Wolken in Klimamodellen besser darzustellen und ihren Einfluss auf das Klima vorherzusagen.

Schnee, Eis und darunter salzarme „Seen“ im Ozean
Die dünne Schicht aus Eis und Schnee trennt die Atmosphäre vom Ozean. Im Winter, wenn die Atmosphäre viel kälter ist als der Ozean, verlangsamt diese Isolierschicht das Abkühlen des Wassers und das Gefrieren von neuem Eis. Wir wissen jetzt, wie gut diese Isolation funktioniert und wie sie durch die Bildung von Rissen im Eis beeinflusst wird. Wir verstehen besser, wie sich der Schnee als weitere Isolationsschicht auf dem Eis verteilt und wie er vom Wind umverteilt wird. Wir haben die mechanischen Eigenschaften des Eises gemessen und haben nun bessere Kenntnis darüber, wie sich das dünnere Eis unter dem Einfluss von Wind und Ozeanströmungen bewegt. Wir haben zugesehen und gespürt, wie sich das Schollenmosaik verändert und sich etwa innerhalb von Stunden dicke Presseisrücken von beeindruckenden 15 Metern bilden und der Eisdruck wochenlang anhalten kann. Aber auch, wie schnell die Eisdecke im Winter und Frühjahr aufreißt und sich diese Risse zu Rinnen mit mehreren hundert Metern Ausdehnung erweitern. Und wir haben genau untersucht, wie sich mit dem sommerlichen Schmelzen eine sichtbare Schicht relativ süßen Wassers – sozusagen salzarme Seen – unter dem Eis bildet und eine weitere Barriere für den Austausch von Energie und Gasen, aber auch Nährstoffen für das Leben zwischen Wasser und Atmosphäre bildet. All dies können wir jetzt in Klimamodellen wie auch in biogeochemischen Modellen besser darstellen.

Die Polardrift, getrieben vom Wind
Die Polarstern war während der Expedition für 10 Monate im Eis eingefroren. Dabei wurde sie von vielen Messbojen in ihrer Drift begleitet, ausgebracht in einem Umkreis von 50 Kilometern. Während des Winters der MOSAiC-Expedition herrschte in der Atmosphäre auf der Nordhalbkugel ein ungewöhnlich ausgeprägtes Windmuster vor. Zugleich wehte ein Westwindjet um die Arktis herum, der stärker war als jemals seit Beginn der Aufzeichnungen 1950. Dieses Windmuster führte zu einer schnellen Drift des Eises im Transpolarstrom von Sibirien über den Nordpol zum Atlantik. Dabei legte das Schiff Strecken von bis zu 25 Kilometern am Tag zurück. Insbesondere die zweite Februarhälfte und der März waren durch hohe Windgeschwindigkeiten und eine entsprechend schnelle Drift geprägt mit durchschnittlichen Driftgeschwindigkeit von 12,4 Kilometern pro Tag. In ruhigeren Phasen, etwa von Mitte Januar bis Februar 2020, driftete die Polarstern durchschnittlich 5,6 Kilometer pro Tag. Die geringste Geschwindigkeit maßen wir Ende Mai mit knapp 1 Kilometer am Tag. Wie Nansen während seiner Drift mit der Fram haben auch wir enorme Stürme beobachtet, mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 25 Metern pro Sekunde. Durch den starken Wind wurde es während der Expedition bei Temperaturen von unter minus 40 Grad Celsius gefühlt kälter als minus 60 Grad Celsius.

Die Arktis lebt – selbst in der Dunkelheit der Polarnacht
Das Eis der Arktis ist ein einzigartiger Lebensraum. Auf dem Eis, unter dem Eis und sogar im Eis haben wir das gesamte Jahr über das Leben im arktischen Ozean erforscht: Eisbären, Robben, Polarfüchse und Fische führten uns vor Augen, wie aktiv diese Räuber dort sind – selbst in der tiefsten Polarnacht. Die Grundlage dafür ist ein komplexes System von Gemeinschaften ein- und vielzelliger Kleinstlebewesen, die die Basis des Nahrungsnetzes bilden. Wir haben über viele Monate die Biodiversität, die Biomasse und die Aktivitäten der Organismen erfasst und können jetzt erstmals saisonale Veränderungen der Nahrungsnetze und der Produktivität der Schlüsselarten der Arktis beschreiben. So können wir dazu beitragen, den Fluss von organischem Material und Gasen von der Eis-Wasser-Grenzschicht in die Tiefen des Ozeans zu verstehen. Zu den vielen untersuchten Arten gehören zum Beispiel der Eis-Flohkrebs Apherusa glacialis, dessen Fortpflanzungs- und Überwinterungsstrategien bislang ein Rätsel waren, sowie die Eisalge Melosira arctica, die durch schnelles koloniales Wachsen im Sommer dicke Algenmatten unter dem Eis bildet. Dank der detaillierten Forschung während MOSAiC gelangen wir zu einem besseren Verständnis, wie das sensible Ökosystem in dieser Extremregion funktioniert und welchen Veränderungen seine Lebensformen infolge des Klimawandels ausgesetzt sind.

Wie Gase Klima machen
Algen im Arktischen Ozean produzieren Dimethylsulfid (DMS), ein Gas, das in der Atmosphäre Aerosole bildet, damit auch Wolkeneigenschaften beeinflusst und auf globaler Skala die Erwärmung sogar etwas abschwächen kann. Aerosole und Wolken wiederum wirken sich auch regional auf den Fluss von Energie in der Arktis aus. Wir haben nicht nur nach jenen Mikroorganismen gesucht, die für die Bildung von DMS verantwortlich sind, sondern auch eben diese Prozesse untersucht, also das DMS im Wasser und in der Luft gemessen und beobachtet, wie es durch Risse im Eis in die Luft gelangt. Wir konnten während MOSAiC herausfinden, wie sich dies auf Aerosole und Wolken auswirkt und wie Algen jenseits von CO2-Speicherung durch DMS Einfluss auf das Klima nehmen. Wir haben darüber hinaus auch gemessen, wie die beiden wichtigsten Treibhausgase Kohlendioxid und Methan vom Eis aufgenommen oder abgegeben werden und wie dies auf den Wasseroberflächen der Risse im Eis geschieht. Wir können jetzt die Rolle der Arktis für das globale Treibhausgasbudget der Atmosphäre besser bestimmen.

Unerwartet: Ein Ozonloch direkt über der Expedition
Während der MOSAiC-Expedition hat sich über der Arktis in der Stratosphäre erstmals ein Ozonloch gebildet. Noch nie waren die Bedingungen dort oben denen so nahe, wie sie sonst nur im antarktischen Ozonloch auftreten. Wir haben mehrmals wöchentlich Forschungsballone bis in 35 Kilometer Höhe in die Stratosphäre geschickt und konnten so das volle Ausmaß des Abbaus erfassen. Unsere Messungen zeigen, dass dort in 18 Kilometern Höhe bis zu 95 Prozent des Ozons der Ozonschicht zerstört wurde – weit mehr als jemals zuvor und genau in der Höhe, in dem die Ozonschicht normalerweise ihr Maximum erreicht. Und wir haben gezeigt, dass der Rekordozonabbau vom Klimawandel befeuert wurde und damit indirekt auch Treibhausgasemissionen mit zum Ozonabbau beigetragen haben.

Pressedossier