
Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball - Dreharbeiten im Zeichen des Fußballs: Regisseur Christian Werner und Produzent Mario Krebs im Gespräch
1. Was ist das Besondere an Fußball als Mannschaftssport/Breitensport? Was unterscheidet ihn von anderen Teamsportarten?
Christian Werner: Fast auf der ganzen Welt hat jedes Dorf, jede Stadt einen oder mehrere Fußball- oder sogenannte Bolzplätze. Der Zugang ist niederschwellig und es bedarf wenig teure Ausrüstung, um Fußball zu spielen. Wenn es sein muss auch barfuß.
Mario Krebs: Um zu spielen, benötigt man nur einen Ball. Der kann auch ein Knäuel von aneinandergeklebten Stoffresten sein. Viele Fußballer aus Lateinamerika oder Afrika haben auf diese Weise als Straßen- oder Strandkicker angefangen.
Christian Werner: Also können alle gesellschaftlichen Schichten partizipieren. Wahrscheinlich ist nur Laufsport noch einfacher und überall umsetzbar.
Mario Krebs: Der rheinische Shootingstar Florian Wirtz schildert, wie er als Junge seine unschlagbare Art den Ball zu führen gemeinsam mit seiner Schwester Juliane perfektioniert hat auf dem Weg um den Couchtisch herum, die Sessel, den Esstisch samt Stühlen, den Schuhen und Schultaschen im Wohnungsflur Richtung Küche und wieder zurück. Fußball ist überall möglich.
Christian Werner: Persönlich sehe ich, was andere Teamsportarten anbelangt, keinen großen Unterschied im Vergleich zu Basketball, Volleyball oder Handball. Auch hier ist der Teamgeist, der Zusammenhalt innerhalb einer Mannschaft sehr stark und wichtig. Wesentlich ist die Erfahrung, die man als Individuum innerhalb einer Teamsportart sammelt. Welchen Platz bekomme ich oder wie erspiele ich mir diesen Platz, diese Position innerhalb der Mannschaft. Komme ich in die Startelf, werde ich Stürmer, Ballverteiler oder Abwehrspieler? Was kann ich für mich dabei entdecken? Diese Erfahrung prägt fürs Leben.

2. Was begeistert Sie persönlich am Fußball – aus Zuschauerperspektive oder auch als Spieler?
Mario Krebs: Als Couchpotato beobachte ich fasziniert die meisterhafte athletische Kunst der Ballbeherrschung bei gleichzeitiger Fähigkeit Spielzüge vorauszudenken, sowie im Falle des Ballverlust sofort nachzusetzen – und das, obwohl man/frau schon einige Kilometer auf der Uhr hat und die Lunge schmerzt. Wer sich dabei außerdem an den taktischen Plan hält, verdient Bewunderung. Es geht um Willen, um Einsatz, um Kooperation, ums Team. Wie im richtigen Leben.
Christian Werner: Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Training an einem regnerischen Herbsttag, mit einem nassen Lederball auf unserem schlammigen Dorfplatz. Als Sechsjähriger wollte ich vor allem mit meinen Freunden zusammen sein. Fußball war mir zu diesem Zeitpunkt eigentlich egal. Der Spaß am Fußball selbst kam erst durch die ersten Ligaspiele und die Erfahrung, dass man, egal ob man das Spiel gewonnen oder verloren hat, zwei Tage später wieder beim Training zusammensteht und versucht, besser zu werden. Als Zuschauer schaue ich mir heute nur noch selten ganze Spiele im TV oder Streaming an, was auch oft an der Bezahlschranke, den absurden Spielergehältern und der extremen Kommerzialisierung – vor allem des Männerfußballs liegt. Viel lieber schaue ich mir ein Kreisligaspiel live an. Hier kann ich den eigentlichen Spirit des Spiels wieder spüren.
3. Fußball, insbesondere in den Amateurligen des Jugendfußballs, ist ein verbindendes Element in der Gesellschaft und leistet einen wichtigen Beitrag bei der Integration, hier kommen Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus zusammen. Was macht den Sport für Kinder und Jugendliche aus Ihrer Sicht so besonders?
Mario Krebs: Ob klein oder groß, breit oder dünn, jeder kann einsteigen. Es braucht kein Gardemaß wie beim Basketball, keine körperliche Kompaktheit wie beim Handball, kein teures Equipment wie beim Eishockey oder Hockey. Es geht nicht um die Hautfarbe, nicht um den Kontostand der Eltern. Fußball lebt von den unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten. Je vielfältiger desto besser. Wenn alle zusammenhalten. Es geht um Kooperation. Heranwachsende suchen gerne die direkte Konfrontation. Dazu ist Fußball als Kontaktsport bestens geeignet. Erlaubt ist, den Gegenspieler im Rahmen der Regeln mit körperlichen Mitteln anzugehen. Das ist dann aber nicht allein eine Sache der Physis sondern des Charakters.
Christian Werner: In unserem Dorf gab es ein Kinderheim mit sogenannten schwer erziehbaren Jugendlichen aus Berlin. Eigentlich waren es Kinder von überforderten Eltern, die sie einfach nach Thüringen abgeschoben haben. Nach der Wende hat man beschlossen, die Jugendlichen in die Realschule meines Dorfes zu integrieren. Hier trafen dann wir "Dorfis" auf die Großstadtjungs. Das brachte heftige Konflikte mit sich, doch beim Fußball mussten wir in einer Mannschaft miteinander spielen. Einige Monate später war aus unserer sehr inhomogenen Truppe eine der besten Jugendmannschaften der Liga geworden. Zum Teil entstanden Freundschaften, in der Schule vertrugen wir uns auch besser. Das finde ich ein gelungenes Beispiel für Integration.

4. Wie haben Sie die Dreharbeiten im Sportforum Hohenschönhausen und beim SSV Köpenick erlebt, wie sind Sie zu diesen Drehorten gekommen?
Christian Werner: Mario Krebs ist ein sehr engagierter Produzent und hat selbst das Gelände für den SSV Köpenick gesucht und vorgeschlagen. Unsere Kamerafrau und Szenenbildnerin wie auch ich waren sofort begeistert. Das Gelände brachte alle vom Drehbuch erforderlichen Motive mit und lag sogar am Wasser, da es ja eigentlich eine polnische Stadt an der Oder erzählen soll.
Mario Krebs: Unsere Geschichte spielt in Küstrin an der Oder. Wir benötigten Trainingsplätze, die an einem Flussufer liegen und für unsere jugendlichen Hauptdarsteller schnell erreichbar sind, die gesetzlich vorgeschrieben nur reduzierte Arbeitstage haben durften. Dabei stieß ich auf das Gelände an der Oberspree und eine Vereinsführung, die uns mit offenen Armen empfangen hat. Außerdem hat der SSV zum benachbarten Nachwuchszentrum des Traditionsvereins Union Berlin beste Kontakte, die wir nutzen konnten. Das Stadion in Hohenschönhausen, wo wir die beiden Turnier-Spiele gedreht haben, weil es dem Gebäude in Küstrin ähnelt, war zu DDR-Zeiten Heimstätte des Fußballclub Dynamo Berlin, dem Aushängeschild des Ministeriums für Staatssicherheit. Union oder Dynamo – das war damals eine Grundsatzentscheidung.
Christian Werner: Das Sportforum Hohenschönhausen war für mich eine Reise in die Vergangenheit, als ich noch im DDR-Fernsehen die Spiele des BFC Dynamo gesehen habe. Das Stadion wird liebevoll gepflegt, es lag aber schon eine gewisse Patina der Jahrzehnte auf der Anlage, die uns sofort angesprochen hat. Generell wurden wir bei unseren Motivgebern sehr wohlwollend empfangen und man ist auf all unsere Wünsche eingegangen.