- Gentechnische Revolution

Professor Emanuelle Charpentier ist eine der Entdeckerinnen der Genschere CRISPR/Cas9. Eine Methode, die in den vergangenen Jahren für eine Revolution in der Genforschung gesorgt hat. Mit Hilfe dieser Genschere sollen sich AIDS, Krebs oder Erbkrankheiten heilen lassen.  

Für das bloße Auge ist sie unsichtbar. Doch sie ist eine der größten Neuentdeckungen der vergangenen Jahre. Die Genschere CRISPR/Cas9. Mitentdeckt und entwickelt hat sie Emanuelle Charpentier, Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, gemeinsam mit ihrer US-amerikanischen Kollegin Jennifer Doudna. Die Genschere ist das Werkzeug eines Bakteriums, um sich gegen Angriffe von Viren zu wehren. Ein Eiweißmolekül des Bakteriums schneidet dabei eine Sequenz der befallenen DNA weg. So können fehlerhafte Abschnitte im Erbgut einfach entfernt werden. Dieser Mechanismus ist einfach anzuwenden, zuverlässig und kostet nicht viel. "Ich denke, das wirklich Faszinierende an dieser Entdeckung ist, dass wir die Mechanismen des Lebens verstehen wollten und dabei etwas gefunden haben, das man in der Biologie, in der Biotechnologie und in der Biomedizin einsetzen kann", so Charpentier über CRISPR/Cas9 in einem Fernsehinterview 2016.
 

Die unsichtbare Genmanipulation

Angewandt wird das Werkzeug beim sogenannten Genome Editing – dem Verändern des Erbguts - unter anderem bei Pflanzen. Agrarkonzerne schaffen auf diese Weise Sorten, die besonders hohe Erträge haben und schlechtem Wetter oder Schädlingen widerstehen können. Die Genschere kann nämlich nicht nur schneiden, sondern auch neue Abschnitte in das Erbgut einfügen. Es lassen sich also nicht nur unerwünschte Eigenschaften ausmerzen, sondern auch erwünschte hinzufügen. Anders als bei früheren Genmanipulationen, wo artfremde Gene in eine Zelle eingebracht wurden, ist die Veränderung mit CRISPR/Cas9 nicht mehr nachzuweisen.

Röhrchen mit Aufdruck HIV; Bild: colourbox.com

Beim Menschen soll die Genschere Verwendung in der AIDS-Therapie finden. Auch das HI-Virus nistet sich im Körper ein und integriert seine eigene Erbgutinformation in die menschlichen Immunzellen. Weil es so Teil des menschlichen Erbguts wird, kann das Immunsystem es nicht mehr entdecken und bekämpfen. In aktuellen Forschungen können mit dem CRISPR/Cas 9 System 95 Prozent der Infektion eliminiert werden. Getestet wird an Mäusen, denen menschliche Immunzellen eingesetzt werden. Eine Anwendung am Menschen ist dennoch in weiter Ferne. Zwar wird durch das neue Gensystem der Großteil der infizierten Zellen gefunden und beseitigt, übrig bleiben trotzdem genügend Reste, um die Krankheit wieder ausbrechen zu lassen. Dazu kommt, dass die Therapie wegen einer Immunreaktion nur einmalig durchgeführt werden kann und die Transportviren im Verdacht stehen, Tumore auszulösen.

Das Schweizer Taschenmesser der Wissenschaft

Wie tief darf die Genschere ins menschliche Erbgut einschneiden? CRISPR/Cas9 birgt auch die Gefahr großen Missbrauchs – zum Beispiel, wenn die Methode bei menschlichen Embryonen angewandt wird. Beliebig viele Abschnitte ließen sich ausschneiden oder neu hinzufügen. Das Erbgut könnte dadurch völlig verändert werden.
Das System gleiche, so Charpentier, einem Schweizer Taschenmesser – also einem Werkzeug mit sehr großem Potenzial. Lange hat die Mikrobiologin geforscht, ohne Anerkennung zu bekommen, hat jahrelang ohne feste Anstellung gearbeitet. Erst 2012 veröffentlichte sie gemeinsam mit Jennifer Doudna einen Aufsatz über CRISPR/Cas9. Der Durchbruch. "Zu sehen, wie viele Wissenschaftler schon mit CRISPR/Cas9 arbeiten, dass sie das System überall für die Zellen und Organismen ihrer Forschungsgebiete verwenden, das ist absolut befriedigend für mich", freute sich Charpentier bereits 2016 über ihren Erfolg.
 

Noch steht der Einsatz der Genschere ganz am Anfang. Doch schon jetzt hat die Entdeckung das Leben von Tausenden Biologen, Genetikern und Medizinern rund um die Welt verändert - und Emanuelle Charpentier zu einem Superstar der Genforschung gemacht. Sie habe nie darüber nachgedacht, wie ihre Karriere sein könnte, so Charpentier. "Was mir aber sofort klar wurde, als ich an der Universität mit dem Studium begonnen habe, war dass die Uni der Ort war, wo ich mich richtig wohl fühle. Weil ich da einfach immer weiter lernen konnte."