Correctiv Grafik. Bild: Mohamed Anwar/CORRECTIV
Mohamed Anwar/CORRECTIV
Bild: Mohamed Anwar/CORRECTIV

Nach der Correctiv-Recherche - Wie gefährdet ist unsere Demokratie?

"Höcke ist ein Nationalsozialist" – so klar grenzt sich CDU-Chef Friedrich Merz selten von der AfD ab. "Die AfD ist eine Nazi-Partei" sagt sogar sein Parteikollege Hendrik Wüst. Anlass sind die Enthüllungen des Recherche-Netzwerks "Correctiv" zu einem Geheimtreffen mit Rechtsextremen in einem Landhaus bei Potsdam. Die Republik wirkt plötzlich wachgerüttelt, Hundertausende gehen auf die Straßen, um für ihre Demokratie einzustehen. Es ist die größte Protestbewegung seit Gründung der Bundesrepublik, denn die Angst vor einer faschistischen Regierung scheint auf einmal real. Bei dem Treffen in Potsdam soll es um die millionenfache Ausweisung von Menschen aus Deutschland gegangen sein, darunter auch deutsche Staatsbürger. Und nun fragen sich Politik und Gesellschaft: Sollte die AfD an die Macht kommen, wie sähe Deutschland dann aus? Sollte man die Partei, die in Umfragen derzeit bei über 20 Prozent liegt, verbieten lassen? Und: Wäre damit die Demokratie vor den Feinden der Verfassung geschützt? Klar ist: Bei der Zusammenkunft in Potsdam waren längst nicht nur AfD-Politiker. Wer sich die Teilnehmerliste genauer ansieht, dem offenbart sich ein Netzwerk, das tief in die Mitte der Gesellschaft reicht – ein Netzwerk aus CDU-Mitgliedern, AfD-Funktionären und Mitgliedern der Werteunion. Zwischen Rassen- und Größenwahn.
 
Beitrag von Andrea Becker, Daniel Donath, Silvio Duwe, Daniel Laufer, Daniel Schmidthäussler, Carla Spangenberg und Lisa Wandt

In diesem Landhaus bei Potsdam fand Ende November jenes Geheim-Treffen statt, das die Republik erschütterte. Hier soll über einen Masterplan zur Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland gesprochen worden sein. Darunter auch deutsche Staatsbürger.

Die Enthüllungen von Correctiv bewegten innerhalb weniger Tage Millionen Menschen, auf die Straßen zu gehen. Überall in Deutschland. Sie eint: die Angst um ihre Demokratie. Angst vor einer Regierung, die diesen Masterplan umsetzen würde. Und Freunde oder Nachbarn ins Ausland deportieren, womöglich einen selbst.

Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden.

"Höcke, Höcke, Höcke."

Über rechtsextreme Gefahren wird immer wieder berichtet, doch diese Recherche wird zu einer Zeit öffentlich, in der die AfD in Umfragen bei über 20 Prozent liegt.

Björn Höcke

"Wenn ich mal Bundeskanzler würde…"

Und lässt die Angst vor dem Faschismus auf einmal real werden: Was wäre, wenn dieser Mann an die Macht käme? Vielleicht sähe Deutschland dann so aus, wie es laut Correctiv im Potsdamer Landhaus Adlon besprochen wurde. Neben bekannten Rechtsextremisten waren dort AfD-Funktionäre, mindestens drei CDU-Mitglieder und auch Mitglieder der Werteunion.

Das belegen zahlreiche Aufnahmen von Correctiv und Greenpeace Investigativ. Vor dem Hotel aufgenommen mit einer Autokamera. Und im Inneren des Hotels mit einer Smartwatch.

Jean Peters – Journalist Correctiv:" Wir hatten einen Reporter vor Ort, der hat dort übernachtet und der hat beobachten können, wer reinkam und rausging. Und der hatte eine versteckte, eine versteckte Kamera dabei und hat damit eben Aufnahmen machen können aus dem Innern, sowohl aus dem Speisesaal als auch aus dem Konferenzraum, kurz im Vorbeigehen."

Dabei sind diese Bilder entstanden, Correctiv hat sie uns zur Verfügung gestellt.

Der Journalist Jean Peters hat an der Geschichte mitgearbeitet. Seitdem wird er von Rechtsextremen im Netz bedroht und verleumdet.

Es sollte wohl partout nicht nach Draußen dringen, wie verfassungsfeindlich die Gespräche der Potsdamer Runde waren.

Der Stargast des Abends: Martin Sellner, Mitbegründer der rechtsextremen Identitären Bewegung. Er hielt den Vortrag zur so genannten Remigration.

Jean Peters – Journalist Correctiv

"Da wurde nicht nur von Menschen mit Migrationshintergrund oder mit deutscher Staatsangehörigkeit gesprochen, sondern es ging auch um, ich glaube er sagte so was wie "Refugee-Rentner", das heißt, auch diejenigen, die sich politisch für Menschenrechte einsetzen."

Ging es also auch darum, politische Gegner aus dem Land zu entfernen?

Einen Eindruck davon, wie das Geheimtreffen abgelaufen sein könnte, bekam man unlängst im Berliner Ensemble. Correctiv hat seine Recherche in einem Theaterstück verarbeitet. Manches wurde dabei fiktionalisiert, aber diese Aussage soll sinngemäß tatsächlich so gefallen sein.

Concierge

"Bühnenfigur Martin Sellner."

Concierge

"Es gibt drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollen. Drei Zielgruppen von Ausländern, deren Ansiedlung rückabgewickelt werden muss: Erstens Asylbewerber, zweitens Ausländer mit Bleiberecht und drittens – und das ist das größte Problem: nicht assimilierte Staatsbürger. Das geht nicht auf die Schnelle, das ist ein Jahrzehnteprojekt. Und was es dafür braucht, um auch deutsche Staatsangehörige zu remigrieren, sind maßgeschneiderte Gesetze."

Die Ausweisung deutscher Staatsbürger?

Die Historikerin Miriam Rürup erinnert das an die Umsiedlungspläne der Nationalsozialisten.

Miriam Rürup, Historikerin, Moses Mendelssohn-Zentrum Potsdam

"Diese Remigrationsfantasien sind ja nur so ein Codewort für Deportationen und Massenausweisungen und eben Entzug von Staatsbürgerschaft. Als '33 die Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden begonnen hat, war das gleich von Anfang an verbunden mit Fragen von Staatsangehörigkeit und mit ganz handfesten Regelungen für wie können wir die Juden aus dem deutschen Volk entfernen?"

Aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Lehre gezogen: Nie wieder sollen Deutsche aus Deutschland vertrieben werden können. Festgeschrieben in Artikel 16 unserer Verfassung.

Verfassungsfeindliche Thesen – das kommt der AfD-Spitze äußerst ungelegen. Die Kommunikationsstrategie von Weidel und Co: Abstreiten, Leugnen, sich als Opfer gerieren.

Alice Weidel, AfD-Vorsitzende

"Die Weiterverbreitung der unwahren Behauptung stellen eine der größten, ungeheuerlichsten Medien- und Politikskandale der Bundesrepublik Deutschland dar."

Bernd Baumann, AfD, Parlamentarischer Geschäftsführer

"Da werden selbst kleine, private Debattierclubs zu gemeingefährlichen Geheimtreffen aufgeblasen. So wie jüngst eine Runde von Unternehmern, Freiberuflern in Potsdam, die sich regelmäßig zum Gedankenaustausch treffen."

Der nächste Kniff: Den Spieß umdrehen.

Bernd Baumann, AfD, Parlamentarischer Geschäftsführer

"Wir sind die Verteidiger des Rechtsstaats und Sie sind ihre Gegner."

Dabei ist "Millionenfache Remigration" bereits seit Langem eine Kampfparole der AfD.

AfD Parteitag

"Der Begriff der Zeit muss heißen: Remigration."

"Die Lösung lautet: Remigration, millionenfache Remigration."

Auch dass Deutsche das Land verlassen sollen, wurde schon öfter gesagt, wie hier vom AfD-Bundestagsabgeordneten Roger Beckamp.

Roger Beckamp

"Remigration. Und zwar millionenfach und gerne auch die Herrschaften, die sich besonders laut aussprechen und die im Zweifel alles Deutsche sind."

Auch der fraktionslose AfD-Politiker und Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich bekennt sich offensiv zu dem Begriff.

Matthias Helferich

"Wer es gut mit Deutschland meint, fordert Remigration, millionenfache Remigration."

Er startet nach der Correctiv-Recherche sogar eine Social media Kampagne dazu. Überschrift: Team Remigration.

Dortmund vor zwei Wochen – noch ein Treffen, das geheim bleiben sollte – und wir sind da. In Helferichs Wahlkreisbüro ist diesmal der Stargast ein anderer Vordenker der Szene: Der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek. Die Einladungen waren streng vertraulich, doch sie wurden geleakt.

Wir fragen Helferich nach der millionenfachen Remigration:

"Betrifft das auch deutsche Staatsbürger? Politisch andersdenkende?"

Matthias Helferich

"Nein, Schauen Sie meine Reden im Deutschen Bundestag jetzt jüngst die von gestern. Und Sie werden sehen, dass unsere Migrationsprojekt rechtsstaatlich, demokratisch und auch moralisch geboten ist."

Helferich verließ die AfD Bundestagsfraktion, nachdem bekannt geworden war, dass er sich selbst in einem Chat als "das freundliche Gesicht des NS bezeichnet haben soll". AfD Mitglied ist er nach wie vor.

Ganz offen wird wohl nur gesprochen, wenn man keinen Zuhörer hat.

Das erlebte auch der verdeckte Correctiv-Reporter, als er in Potsdam als Eindringling auffiel.

Jean Peters – Journalist Correctiv

"Es wurde sehr deutlich gesagt, bitte gehen sie, das hier ist eine Veranstaltung, wo sie nicht dran teilnehmen können und die soll abgeschottet stattfinden. Also, die haben, die waren etwas verunsichert und haben sich gefragt, was macht denn dieser Fremde plötzlich hier bei uns im Raum."

"Wer war denn das, der dann den Reporter da abgewiesen hat?"

"Das war die Hauseigentümerin oder zumindest die Gastgeberin: Mathilda Martina Huss. Und die hat mehrfach gesagt: Bitte gehen Sie jetzt hier."

Mathilda Martina Huss ist die Hausherrin im "Landhaus Adlon" – sie wird später in diesem Film noch eine größere Rolle spielen.

Und nicht nur sie. Hier versteckte Aufnahmen, die die Namen der Teilnehmer zeigen. Je mehr wir zu ihnen recherchieren, umso deutlicher zeigt sich: Es handelt sich um ein Netzwerk, das bis in die Mitte der Gesellschaft reicht.

Die Zusammenkunft in Potsdam birgt eine brisante Mischung, sagt David Meiering. Er lehrt an der Humboldt-Universität zur Neuen Rechten:

David Meiering, Politologe, HU-Berlin

"Wir haben auf der einen Seite eine Partei, die im Bundestag vertreten ist, die demnächst in drei ostdeutschen Landtagen höchstwahrscheinlich sehr gut abschneiden wird. Zweitens haben wir Akteure aus dem neurechten Umfeld, die sich selber als Ideengeber verstehen für diese Parteien. Und drittens gibt es dort Unternehmer und Unternehmerinnen, die über finanzielle Ressourcen verfügen und die diese finanziellen Ressourcen gerne für diese politischen Projekte zur Verfügung stellen wollen."

In der Einladung, adressiert an einen Teil der Gäste des Potsdamer Treffens, heißt es: "Das Gesamtkonzept im Sinne eines Masterplans wird kein Geringerer als Martin Sellner einleitend vorstellen."

Seinen Vortrag stellt Sellner später ins Netz – angeblich genauso, wie er ihn in Potsdam gehalten hat.

Martin Sellner

"Ist eine Remigration möglich? Und da habe ich erwähnt: die drei Zielgruppen der Remigration. Die Asylanten, die Nicht-Staatsbürger, die Nicht-Assimilierten."

Geflüchtete und andere Ausländer, aber auch Deutsche, die in Sellners Augen nicht "angepasst" sind: Sie sollen aus Deutschland verschwinden. Er nennt das: "Remigration".

Eine Verharmlosung, sagt die Professorin Katrin Reimer-Gordinskaya.

Katrin Reimer-Gordinskaya, Vorsitzende des Instituts für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal

"Es ist wichtig, von Deportation zu sprechen und klar auszusprechen, worum es geht, nämlich Menschen, die Menschenrechte und Bürgerrechte oftmals genießen, auszugrenzen und ihnen Rechte zu entziehen, sie außer Landes zu bringen gegen ihren Willen. Das ist Deportation. Das hat mit selbst gewählter Remigration nichts zu tun."

Sellner hingegen beteuert, er wolle niemanden deportieren lassen – und auch keine deutschen Staatsbürger abschieben.

Er war ebenfalls beim Treffen in Potsdam dabei – Ulrich Siegmund: Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt. Diese Aufnahmen zeigen ihn im Landhaus Adlon. Was Siegmund an diesem Tag laut Correctiv gesagt haben soll – es steht ganz im Sinne von Sellners Vertreibungsideen.

Das Straßenbild müsse sich ändern, ausländische Restaurants sollten unter Druck gesetzt werden. Es solle in Sachsen-Anhalt ...

"...für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben"

Sind selbst Chinarestaurants, Döner-Imbisse und Pizzerien zu viel fremdländischer Einfluss?

Jean Peters, Correctiv-Reporter

"Der hat einen Vortrag gehalten. Ein bisschen, ich würde es übersetzen, eine Fantasie von einem Germania Disneyland, das er in Sachsen-Anhalt schaffen will. Also ein Staat, in dem alle, die da nicht reinpassen sollen, nach seiner völkischen Ideologie rausgedrängt werden."

Siegmund weist die Correctiv-Recherche als falsch zurück. Auf TikTok indes sagt er:

Ulrich Siegmund

"Schaut Euch an, was in den Großstädten los, wie sich unser Straßenbild verändert. Das möchte ich nicht."

Siegmund ist damit erfolgreich, mehr als 350.000 Follower hat er hier. So schafft er sich seine eigene Öffentlichkeit.

Journalisten, die unbequeme Fragen stellen könnten, scheinen ihm aber eher nicht willkommen.

Als wir uns für einen öffentlichen Bürgerdialog der steuerfinanzierten AfD-Landtagsfraktion anmelden und Siegmund für ein Interview dort anfragen, teilt man uns mit, dass wir unerwünscht sind.

Dagegen gehen wir juristisch vor. Das Landgericht Magdeburg gibt uns in einer einstweiligen Verfügung Recht. Unter Androhung von 250.000 Euro Strafe oder sechs Monaten Haft verpflichtet es die AfD-Fraktionsvorsitzenden dazu, Kontraste die gleichen Rechte einzuräumen wie anderen Journalisten – und uns eine Berichterstattung vom Bürgerdialog zu ermöglichen.

"Guten Tag!"

"Sie sind Herr Harr, oder?"

"Erkannt!"

Der Mann, der hier die Tür öffnet, ist Patrick Harr – einst Funktionär in der verbotenen neonazistischen "Heimattreuen Deutschen Jugend", mittlerweile Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt.

Auch Harr hat am Treffen in Potsdam teilgenommen. Diese Aufnahmen zeigen ihn mit Ulrich Siegmund vor dem Landhaus Adlon.

Während der Veranstaltung dürfen wir uns mit der Kamera nicht frei bewegen. Dass man sich von öffentlich-rechtlichen Medien gestört fühlt, gibt der Co-Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner offen zu.

Oliver Kirchner

"Wir hatten dann die Anfrage von Kontraste von der ARD, die heute hier filmen. [...] Und habe dann eine freundliche Absage geschrieben. Sie haben sich dazu entschieden, heute sich hier einzuklagen, sind also heute hier."

"Pfui, pfui, pfui... Buh."

Seine "freundliche Absage" begründete Kirchner gegenüber Kontraste übrigens so: Man wolle ausschließlich seriöse Journalisten zulassen.

Am liebsten möchte man offenbar ganz ohne journalistische Einordnung direkt in die Köpfe der Menschen.

Die junge Generation, die schaut keine Tagesschau. Die schaut das Ding hier. Ich habe jetzt einfach mal über die Tische geguckt, die ganzen Tische liegen voll von diesen Handys. Und die geben uns die Möglichkeit, unsere Politik ungefiltert, transparent in die Haushalte zu bringen.

Nach dem "Bürgerdialog" sprechen wir Siegmund auf die Correctiv-Recherche an. Wir wollen wissen, was er gegen ausländische Lokale in Sachsen-Anhalt hat.

Kontraste

"Warum soll es denn für ausländische Gastronomen ungemütlich werden?"

Siegmund

"Diese Aussagen sind völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Sie sind falsch, sind auch von mir mehrfach klargestellt worden. Sie sind deswegen aus dem Zusammenhang gerissen, weil man dieses Gefühl suggerieren möchte bei den Menschen und deswegen eine politische Agenda hier durchdrücken möchte, um von den richtigen Problemen in diesem Land abzulenken."

Unter den Besuchern an diesem Abend ist die Skepsis groß – nicht nur gegenüber Journalisten.

"Aber Sie wissen schon, dass der Landesverband in Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem eingestuft wird vom Verfassungsschutz."

"Das sind Gerüchte… "

"Es gibt aber einen Verfassungsschutzbericht … "

"Haben Sie Herrn Maaßen gehört?"

"Herr Maaßen ist ja nicht mehr Chef des Verfassungsschutzes."

"Richtig. Und er ist jetzt aus dem Verfassungsschutz raus und sagt jetzt die Wahrheit."

Hans-Georg Maaßen, Chef der Werteunion. Auch sein Verein ist in das Potsdamer Treffen verstrickt. Zwei Funktionäre haben daran teilgenommen – darunter Simone Baum, Maaßens Stellvertreterin.

Mitte Januar in Erfurt: Die Mitglieder des rechtskonservativen Vereins im Umfeld der CDU beschließen, den Weg freizumachen zur Gründung einer eigenen Werteunion-Partei.

Maaßen betritt die Veranstaltung durch den Hintereingang. Dafür geht Michael Kuhr vor die Kameras, Beisitzer im Vorstand-

Michael Kuhr

"Für uns gibt es in dem Sinne keine Brandmauer. Für uns ist die Brandmauer antidemokratisch und wir reden mit jedem."

Und was ist mit seiner Vorstandskollegin Simone Baum, die in Potsdam dabei war?

Michael Kuhr

"Da fragen Sie bitte Simone Baum, aber sie hat ja damit nix zu tun, sie hat sich davon komplett distanziert. Und das reicht doch aus, ja?"

Baum verweist uns jedoch an die Werteunion.

Die betont: Baum sei "privat" im Adlon gewesen. Und: Wenn Baum heute neu entscheiden könnte, würde sie die Einladung am Potsdamer Treffen ausschlagen.

"Die WerteUnion distanziert sich klar, eindeutig und in aller Form von ALLEN politisch-extremistischen Bestrebungen verfassungswidrigen oder verfassungsfeindlichen Charakters!"

Doch wie ernst gemeint ist diese Distanzierung? Maaßen selbst nährt daran Zweifel bei einer Veranstaltung der Werteunion Mitte Januar.

Hans-Georg Maaßen, Vorsitzender Werteunion

"Ich distanziere mich von überhaupt gar nichts. […] Mir ist nicht bekannt, dass es sich da um Nazis handelt oder um Rechtsextremisten, die da geredet haben."

Hat Maaßen wirklich keine Kenntnis von Rechtsextremisten beim Potsdamer Treffen? 2016 als Verfassungsschutzchef warnte er noch vor der "Identitären Bewegung". Der Verfassungsschutz habe "Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung". Deren Kopf damals: Martin Sellner.

Sellner selbst berief sich in seinem Potsdamer-Vortrag auf Maaßen.

Martin Sellner

"Hans-Georg Maaßen – ich will jetzt ihn da nicht mit reinziehen. Er ist aber eine wichtige Stimme und gibt diesen Worten, die ich jetzt sage, Gewicht. […] ‚Wir können die Einreise, millionenfache Ansiedlung von Ausländern rückabwickeln und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies nicht mehr mit Pülverchen und Misteltherapie möglich ist. Und wenn ich sagte, Ansiedlung von Ausländern rückabwickeln, und das zitiert wurde, war das ein Zitat."

Hans-Georg Maaßen, einst oberster Verfassungsschützer – heute werden seine Positionen von Rechtsextremisten aufgegriffen.

Das Zitat ist echt, es stammt aus einem Artikel in der rechtskonservativen "Weltwoche" – erschienen Tage vor dem Treffen im Adlon. Unter der Überschrift "Chemotherapie für Deutschland" empfiehlt Maaßen "schmerzhafte Maßnahmen" gegen die – Zitat – "Migrationskatastrophe".

David Meiering

"Das ist die radikale Programmatik von Hans-Georg Maaßen, die er aber verpackt und tarnt und maskiert in seiner bürgerlichen Maskerade. […] Hans-Georg Maaßen ist ein Türöffner für rechtsextremistische Positionen und Akteure in die bürgerliche Mitte. […] Dabei sind seine inhaltlichen Positionen aber tatsächlich rechtsextremistisch."

Maaßen ist jetzt selbst ein Fall für den Verfassungsschutz: Der Inlandsgeheimdienst beobachtet seinen ehemaligen Präsidenten und hat ihn als Rechtsextremisten gespeichert, wie eine gestern veröffentlichte Recherche von Kontraste und "t-online" ans Licht brachte.

Unsere Anfrage dazu ließ Maaßen unbeantwortet, dem Blog "Tichys Einblick" sagte er:

"Die Vorwürfe sind substanzlos und ungerechtfertigt. […] Das ist ein Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die Bundesinnenministerin, Frau Faeser."

Vergangene Woche enthüllte die Wochenzeitung "Die Zeit": Maaßen hat im vergangenen Frühjahr an einem Vernetzungstreffen im Landhaus Adlon teilgenommen.

Dieses Foto zeigt ihn neben einem rechten Blogger auf dem "Frühlingsfest" des AfD-nahen Magazins "Deutschland-Kurier". Auch hochrangige AfD-Leute waren dabei.

Der "Zeit" sagte Maaßen, er habe erst vor Ort erfahren, dass der "Deutschland-Kurier" Sponsor der Veranstaltung gewesen sei.

Die Zusammenkunft im November war also kein Einzelfall, gleich mehrfach trafen sich hier im Potsdamer Ortsteil Neu Fahrland Rechtsradikale.

Die Geschäftsführerin des Landhauses Adlon, Mathilda Martina Huss: Wer ist die Frau, die diese Treffen ermöglichte?

Huss und ihr ehemaliger Lebensgefährte, der lokale CDU-Funktionär Wilhelm Wilderink, nahmen am Treffen im November selbst teil.

2011 haben die beiden das Adlon übernommen. Ein Team des rbb begleitet die Umbauten 2014 und 2015 für eine Doku-Reihe. Damals erzählten sie, sie planten ein Gästehaus für Wissenschaftler.

Ein Gast, der laut "Zeit" sogar auf dem Anwesen der beiden gelebt hat: dieser rechtsradikale dänische Blogger, der Schriften über Rassenlehre und Eugenik verfasst.

Miriam Rürup, Historikerin, Moses Mendelssohn-Zentrum Potsdam

"Es gibt […] die Idee, dass mit Mitteln der Eugenik das Volk verbessert werden kann, […] es sollte sozusagen nicht nur rein gehalten werden, sondern auch noch verbessert werden, aufgewertet werden. Und das ist etwas, was sich in dieser Eugenik des Nationalsozialismus ganz stark gezeigt hat."

Mathilda Huss ist Naturwissenschaftlerin. Laut den "Potsdamer Neuesten Nachrichten" tritt sie selbst in rechtsradikalen Medien auf – unter Pseudonym: Dort nennt sie sich demnach "Augusta Presteid".

Ein Beitrag unter diesem Namen ist zum Beispiel im rechtsextremen "Compact"-Magazin erschienen – mitsamt einer wohl frei erfundenen, akademischen Biografie.

Gegenüber den "Potsdamer Neuesten Nachrichten" hat Huss jedoch klar dementiert, den Artikel im Compact-Magazin verfasst zu haben:

"Schon allein der Begriff Rassenideologie ist mir fremd. Ich weise solche Unterstellungen auf das Schärfste zurück."

Heute Nachmittag teilte Mathilda Huss uns über ihren Anwalt mit, das Pseudonym "Augusta Presteid" werde von verschiedenen Autoren verwendet.

Es liegen Tonaufnahmen einer Frau vor, die als "Augusta Presteid" auftritt. Ein YouTuber veröffentlichte dieses Interview:

"Durch die Migration findet eine – sagen wir mal – Veränderung unseres Gen-Pools statt, der nachträglich ist, wenn es um Demokratien geht oder um Demokratiefähigkeit von Völkern. Das hat einerseits damit zu tun, dass wir so inhomogen werden, dass die Probleme immer vergrößert werden. Und zweitens eben diesen wahnsinnigen Effekt auf unseren allgemeinen IQ."

Das heißt offenbar: Zuwanderer seien genetisch bedingt dümmer als Deutsche. Zuwanderung führe demnach zu einer Verdummung der Bevölkerung, so die krude These.

Die Stimmen von Huss und "Presteid" klingen zwar ähnlich, jedoch liefert das keinen Beweis dafür, dass Huss die Frau aus dem Video ist:

Mathilda Huss

"Es ist ja schön, dass es sehr verschiedenartig ist. Das Haus von vorne, für mich es ein bisschen französisch."

"Augusta Presteid"

"Also zum Beispiel universale Menschenrechte sind einfach Unsinn."

Mathilda Huss

"Also man hat gleich auch so ein heimeliges Gefühl. Ich mag gerne, dass es sehr viele Brüche hat. Das ist für mich ein schönes Ding."

"Augusta Presteid"

"Sie sind aus der westlichen Kultur entstanden und haben da ihren Ort und ihre Heimat und sonst gar nichts – Punkt."

Diese Bilder zeigen Huss mit dem AfD-Politiker Maximilian Krah – Spitzenkandidat der Partei bei der bevorstehenden Europawahl.

Krah war auch Gast beim Fest des "Deutschland Kurier" im Landhaus Adlon.

Der AfD-Mann und Huss: Ende 2022 besuchen beide eine Gala des "New York Young Republican Club". Anwesend sind dort auch Schlüsselfiguren der US-Republikaner – wie Steve Bannon, Rudy Giuliani und Donald Trump Jr.

Der wirkmächtigste Akteur in diesem Netzwerk aus Rechtskonservativen, Rechtsradikalen und Rechtsextremen ist die AfD.

– sie ist der parlamentarische Arm. Eine Partei, die ihre unaufhaltsame Radikalisierung offen zur Schau stellt.

Alice Weidel

"Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse."

Björn Höcke

"Schaut Euch ins Gesicht und glaubt mir, wenn es hart auf hart kommt, dann werden wir uns erkennen!"

Tino Chrupalla

"Es ist eine Invasion, und ich sag es ganz bewusst, es ist eine Invasion, was wir hier erleben."

Martin Böhm

"Wir müssen den Karnickeln in den Parlamenten den verdienten Nackenschlag versetzen."

Trotz Demokratiefeindlichkeit und offenem Rassismus: die Partei ist im Aufwind und könnte bald in drei ostdeutschen Bundesländern zur stärksten Kraft werden, darunter Thüringen - dort wird sie von ihm geführt: dem Rechtsextremen, Björn Höcke.

Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!

Doch auch in Thüringen wird der Protest gegen die AfD zunehmend lauter, wie hier in Gera vor einer Veranstaltung mit Höcke.

Demonstranten

"Ziemliche Unsicherheit muss ich sagen, weil halt tatsächlich 30 Prozent wählen, wenn das der Querschnitt der Gesellschaft ist, dann habe ich Angst."

"Für unsere Kinder möchten wir schon, dass es eine bessere Zukunft gibt und nicht wieder so, dass wir uns wieder auf 1933 Niveau bewegen dann. Also ich schäme mich für meine Landsleute manchmal, muss ich leider so sagen."

Für viele Thüringer aber ist Höcke ein Held.

"Höcke, Höcke, Höcke!"

Für die Proteste, gegen ihn und seine Partei, hat Höcke eine ganz einfache Erklärung. Vor seinen Anhängern dreht er den Spieß einfach um.

Björn Höcke: "Das sind Menschen, die in Leipzig diesen Lichtermarsch gemacht haben, das sind dieselben Menschen, die 1933 die Fackelmärsche in Nazideutschland veranstaltet haben. Das ist so."

Applaus.

Nazis, das sind für Höcke, den man gerichtsfest als "Faschisten" bezeichnen darf, die Anderen. Die AfD-Gegner.

Doch wie kann die Demokratie vor ihren Feinden in den Parlamenten geschützt werden?

Seit den Enthüllungen um das Potsdamer Geheimtreffen werden Forderungen nach einem Verbot der AfD immer lauter. Doch das Verfahren ist kompliziert. Ein Verbot aussprechen kann nur das Bundesverfassungsgericht:

Zuvor müssten dort Bundesrat, Bundestag oder die Bundesregierung ein Verbot beantragen. Der sächsische CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz versucht dafür im Bundestag unter den Abgeordneten Unterstützer zu gewinnen.

Marco Wanderwitz, CDU

"Also ich bin ziemlich überzeugt davon, dass genügend Material vorhanden ist, dass die Zurechnung der vielen einzelnen Bausteine, die sich ja in führenden Köpfen festmachen, auf die Gesamtpartei kein Problem ist."

Ein Verbot der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht zweimal gescheitert. Ein Grund, weshalb viele Parlamentarier zögern. Wanderwitz schreckt das nicht ab.

Marco Wanderwitz, CDU

"Wenn wir es mit wehrhafter Demokratie ernst meinen, dann muss diese Demokratie sich gegen ihre radikalen Feinde auch zur Wehr setzen mit den Mitteln, die die Verfassung dafür vorsieht."

Ein AfD-Verbotsverfahren – es wäre riskant und scheint momentan zumindest auch unwahrscheinlich. Umso mehr kommt es auf die Demokraten im Land an. Und da tut sich gerade etwas: Es scheint, als würde die Mitte der Gesellschaft, die bislang schweigende Mehrheit, jetzt ihre Stimme erheben.