Teure Zivilklagen gegen Hartz-IV-Empfänger, Montage (Quelle: ARD)
rbb

- Teure Zivilklagen gegen Hartz-IV-Empfänger – Auch wer Recht hat, zahlt

Wer Zivilklage gegen einen Hartz-IV-Empfänger einreicht, kommt vielleicht zu seinem Recht. Aber auch wenn der Richter zugunsten des Klägers entscheidet, folgt das dicke Ende oft nach. Denn wenn der Verurteilte mittellos ist, muss der Kläger nicht nur die Anwalts-, sondern auch die Gerichtskosten tragen.

Wenn Sie sich mit Ihrem Nachbarn ernsthaft streiten, dann können Sie, wenn Sie wollen, vor ein Zivilgericht ziehen und klagen. Bevor Sie das aber tun, lohnt es sich, mal zu checken, ob Ihr Prozessgegner eigentlich genügend auf der hohen Kante hat. Was nämlich kaum jemand weiss: selbst wenn der Richter zu Ihren Gunsten entscheidet, kann das für Sie unangenehme finanzielle Folgen haben. Detlev Schwarzer über eine Gesetzesregelung mit Brisanz.

Der Fall geschah hier in der beschaulichen Universitätsstadt Münster, aber er könnte überall passieren – ein Nachbarschaftsstreit, der harmlos anfängt, sich langsam zu einem Psychokrimi entwickelt und vor Gericht landet – mit erstaunlichem Ausgang. Ein bürgerlicher Stadtteil von Münster. In diesem Haus, das gerade renoviert wird, wohnt Susanne Decruppe seit mehr als 15 Jahren. Was sie in den letzten Monaten erlebt hat, hat sie wütend und krank gemacht.

Alles fing an mit einer einfachen Beschwerde von dem Mieter unter ihr wegen Lärmbelästigung.

Susanne Decruppe
„Der ganze Konflikt ging eigentlich los mit einer Kleinigkeit. Und zwar , dass ich aufmerksam gemacht wurde von dem Mieter, dass ich doch keine Schuhe mit Absatz tragen soll, das per Brief, und das habe ich eingesehen, habe das daraufhin auch eingestellt, bin also auf Socken oder in Turnschuhen hier rum gelaufen.“

Aber dabei blieb es nicht, Bald meldete sich der Untermieter lautstark bei all möglichen Geräuschen, Hände waschen, Toilettendeckel zuklappen Schränke schließen oder einfach nur wenn Freunde durch die Wohnung gingen.

Susanne Decruppe, Lärmopfer
„Ich brauchte nur den Wasserhahn anzumachen, mir die Zähne zu putzen, dann ballerte es unter meinem Badezimmerboden. So ging das Ganze dann weiter erst immer nur tagsüber und auch nicht so oft. Zwischendurch war auch mal eine längere Zeit Ruhe.“

Doch die Ruhe täuschte. Die Schläge kamen plötzlich auch mitten in der Nacht, völlig unvermittelt und heftig, wenn Susanne Decruppe bereits schlief.

Susanne Decruppe, Lärmopfer
„Also hier war das Ganze eigentlich für mich zum Schluss am aller schlimmsten. Weil ich fast jede Nacht sogar teilweise mehrmals in einer Nacht durch Schläge unter meinem Fußboden – ich vermute sogar direkt unter meinem Bett – aus dem Schlaf gerissen wurde und mich massiv erschreckt habe. Also das war für mich zum Schluss der reinste Psychoterror.“

Für Susanne Decruppe – nervlich am Ende, war nun klar –sie musste handeln, sie erstattete Anzeige, doch die Polizei sah keinen Grund zur Strafverfolgung, der Fall sei nicht schwer genug. So blieb Frau Decruppe nur der zivilrechtliche Weg. Sie beauftragte einen Anwalt, um vor Gericht zu klagen, auf Unterlassung, damit der Untermieter endlich mit dem Krach aufhört.

Vor dem Amtsgericht Münster ging dann alles ganz schnell. Susanne Decruppe bekam uneingeschränkt Recht. In einer einstweiligen Verfügung wird dem Untermieter bei Androhung einer Strafe von 2.000 Euro pro Stoß untersagt, weiter gegen die Decke der Obermieterin zu schlagen. Und: die Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungsbeklagte – also der Mieter – unter Frau Decruppe.

Tatsächlich: das Schlagen hörte auf, es schien Ruhe einzukehren im Haus - auch nachts, aber das dicke Ende kam noch. Mitte Dezember flatterte Susanne Decruppe ein Kostenbescheid der Oberjustizkasse Hamm ins Haus – sie müsse nun die Gerichtskosten bezahlen. Hinzu kommen ihre eigenen Anwaltskosten. Insgesamt ein Betrag von rund 1.000 Euro.

Wie sich herausstellte, hat der Mieter unter Frau Decruppe kein Geld, er ist Hartz IV-Empfänger oder hochverschuldet, lebt vom Existenzminimum. Deshalb muss nun die Klägerin - Frau Decruppe - alles selbst bezahlen, der Mieter unter ihr zahlt keinen Cent.

Susanne Decruppe, Lärmopfer
„Ich kann´s nicht nachvollziehen, dass das Rechtssystem in solchen Fällen einfach den Antragsteller, bzw. denjenigen, der das Verfahren eingeleitet hat, als Zweitschuldner in Betracht ziehen und anschreiben: bitte zahlen!“

Doch. So ist das bei Zivilprozessen, sagt der Gerichtssprecher. Wenn zwei Privatleute sich streiten, kann das Gericht – also der Staat – den Streit zwar schlichten, übernimmt aber nie die Kosten.

Dr. Jochen Dyhr, Pressedezernent Landgericht Münster
„Es ist so, dass es eine gesetzliche Regelung gibt, nach der jeder, der einen Zivilprozess anfängt, diesen auch bezahlen muss. Wir haben da in so weit kein Ermessen. Wenn man den Prozess gewinnt, kann man das Geld vom Beklagten wiederholen, was voraussetzt, dass der Beklagte seinerseits Geld ha. Wenn er keins hat, bleibt man auf den Kosten sitzen.“

Recht bekommen und trotzdem alles bezahlen. Eine gesetzliche Regelung mit sozialem Sprengstoff. Von Millionen von Menschen in Deutschland ist bei Zivilprozessen nichts zu holen – allein bei rund 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfängern.

Volker Stange, Rechtsanwalt
„Das betrifft insbesondere – wenn Sie jetzt von Hartz-IV-Empfängern ausgehen – Menschen, die wenig Vermögen haben. Wenn die in eine Streitigkeit herein geraten auf Antragsgegnerseite und entsprechend verurteilt werden, auch die Kosten zu tragen haben, hat im Ergebnis der Antragssteller immer das Problem hat, dass er hinter seinen Kosten hinterherläuft und um sein Recht zu bekommen schlussendlich sämtliche Kosten bezahlen muss.“

Für Susanne Decruppe könnte das ein aussichtsloser Kampf werden. Denn der Mieter wohnt immer noch unter ihr. Sicher sein, dass der Terror nicht wieder von vorne losgeht, kann sie nicht.

Susanne Decruppe, Lärmopfer
„Was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass das Ganze sich wieder fortsetzen kann – in jedweder Form – und ich damit rechnen muss, wenn ich mich dann wehre, wie ich es ja auch schon getan habe, den gleichen Weg wieder gehe und wahrscheinlich auch wieder gewinnen werde, wieder die Kosten tragen muss, sowohl die Gerichtskosten als auch die Anwaltskosten. Das Ganze nimmt dann so gesehen ja kein Ende.“

Jeder, der kein Geld hat, kann seine Situation vor Gericht schamlos ausnutzen. Frau Decruppe kann wohl nur noch hoffen, dass der Mieter unter ihr friedlich bleibt.

Beitrag von Detlef Schwarzer