Arzt in der Praxis (Quelle: rbb)

- Ärzte im Dienste der Stasi – Verletzung der Schweigepflicht?

Gut fünf Prozent der Mediziner in der DDR haben bereitwillig als Inoffizielle Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet. Ihre Aufgabe: Verrat von Patientengeheimnissen. Das bedeutet sie brachen ganz bewusst die ärztliche Schweigepflicht. Doch bis heute wurde kein Arzt zur Rechenschaft gezogen. Katrin Aue hat einen praktizierenden Arzt besucht, der von seiner Vergangenheit nichts wissen will.

Eine äußerst unbehagliche Vorstellung: Sie sitzen in der Sprechstunde. Erzählen Ihrem Arzt, welche Beschwerden Sie haben, vielleicht auch von Ihren persönlichen Problemen – und dieser Mediziner hält sich anschließend nicht an seine Schweigepflicht. Verrät intime Details von Ihnen. Ein Spitzel im weißen Kittel. Davon gab es in der DDR Hunderte. Sie spionierten für die Staatssicherheit, die ärztliche Schweigepflicht war ihnen egal. Nach der Wiedervereinigung praktizierten viele von ihnen weiter. Unbehelligt, bis heute. Katrin Aue über einen Arzt, der im Verdacht steht, Stasi-Spitzel gewesen zu sein.

Dies ist die Geschichte der Rentnerin Tatjana Sterneberg, der die Vergangenheit keine Ruhe lässt. Und es ist die Geschichte des Arztes Peter Janata, den die Vergangenheit jetzt einholt.

Es war in der DDR der 70er Jahre, im Erzgebirge. Damals war Schloss Hoheneck ein Gefängnis, auch für politische Gefangene. Die Haftbedingungen waren miserabel. Auch die Ost-Berlinerin Tatjana Sterneberg verbrachte 2 Jahre in einer Zelle mit bis zu 24 Frauen, wegen versuchter Republikflucht.

Tatjana Sterneberg
„Diese Enge, dieser Dreck, dieser Druck. Und auch die Hoffnungslosigkeit, in der ich damals gesteckt habe. Komme ich überhaupt irgendwann frei?“

Nach dem Ende der DDR musste sie einfach wissen, was in der Haft mit ihr passierte. Sie recherchiert in ihren Haftunterlagen. Darunter sind auch Reste ihrer Krankenakte.

Sie erinnert sich: Verantwortlich für die Versorgung der Kranken in Hoheneck war damals der Arzt Peter Janata.

Tatjana Sterneberg findet heraus: Fast die gesamte Haftzeit über bekam sie zum Teil starke Beruhigungsmittel. Prothazin, Faustan, Rudotel, Radepur. Mittel, die abhängig machen können. Alles ohne ihr Wissen, sagt sie.

Tatjana Sterneberg
„Ich hatte das Gefühl, zwischen mir und meinen Mitgefangenen war so eine Art Glaswand. Ich habe zwar alles miterlebt, aber habe gar nicht mehr darauf reagiert.“

In ihrer Krankenakte sind hin und wieder Schlafstörungen und zwei Panikattacken erwähnt. Doch eins macht sie stutzig: Sie findet einen Hinweis auf eine Arreststrafe wegen „undisziplinierten Verhaltens“. Und am gleichen Tag wird ihr Radepur verordnet, ein Beruhigungsmittel wie Valium.

Psychopharmaka wurden in Hoheneck in großen Mengen gegeben. In einem internen Bericht der Volkspolizei wird festgestellt: politische Gefangene haben über deutlich längere Zeiträume Beruhigungsmittel bekommen als andere Häftlinge.

Doch das Problem: Ob die Ärzte Psychopharmaka verordnet haben, um Gefangenen in einer psychischen Krise zu helfen, oder um schwierige Häftlinge ruhig zu stellen, ist kaum nachzuweisen. Ein schmaler Grad.

Frau Sterneberg stößt in ihrer Akte immer wieder auf eine Unterschrift. Ihr Verdacht: sie stamme von Peter Janata, dem medizinischen Leiter.

Aus Akten der Stasi-Unterlagenbehörde erfährt sie: Peter Janata war von 1972 bis 1982 als IM „Pit“ beim Ministerium für Staatssicherheit registriert. „Pit“ berichtete über Kollegen und Patienten, auch aus Arztgesprächen. Das bedeutet: „Pit“ hat gegen die Grundsätze der ärztlichen Ethik verstoßen.

KONTRASTE
„Ist es zutreffend, dass Sie während Ihrer Zeit als medizinischer Leiter in Hoheneck als IM „Pit“ für das MfS tätig waren?“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Das ist mir nicht bekannt.“

Peter Janata praktiziert heute als niedergelassener Arzt in Brandenburg. Wir wollten mit ihm über seine Zeit in Hoheneck sprechen. Tatsächlich hat er zugesagt. Wir zeigen ihm die handschriftliche Verpflichtungserklärung.

KONTRASTE
„Ist denn das Ihre Handschrift?“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Ich hab `ne ähnliche Handschrift.“
KONTRASTE
„Sind Sie sicher, dass Sie nicht IM Pit waren?“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Ich denke ja.“

Doch die Akte, die unter dem Namen „Peter Janata“ geführt wird, legt andere Schlüsse nah. 10 Jahre lang berichtete „Pit“ über Vorgänge in Hoheneck. Gleich zu Beginn, schreibt der Führungsoffizier, Zitat:
„… erklärte der J., dass er dem MfS über alle Fragen, auch solche, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, berichten wird, sofern ihm zugesichert wird, dass daraus für ihn keine gerichtlichen Folgen erwachsen.“

Wir legen einem Experten für Stasi-Unterlagen die Akte zur Einschätzung vor. Sein Verdacht:

Jochen Staadt, SED-Forschungsverbund
„Die ärztliche Schweigepflicht wurde gebrochen. Darauf ist das MfS, der Führungsoffizier stolz, der das betont, dass er diesen Schritt geht. Und es ist deutlich, aus verschiedenen Dokumenten, das Signifikanteste ist, dass ein Gespräch mit einer strafgefangenen Patientin mitgeschnitten wurde, eine halbe Stunde lang, ohne deren Wissen, und an das MfS ausgeliefert wurde.“

Dr. Peter Janata, Arzt
„Sowas ist mir nicht bekannt.“
KONTRASTE
„Erinnern Sie sich nicht daran, dass Sie in Ihrer Zeit als medizinischer Leiter Patientengespräche mitgeschnitten zu haben?“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Nein.“
KONTRASTE
„Wie erklären Sie sich denn dann, dass so was in eine Akte kommt?“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Kann ich mir nicht erklären.“

In der IM-Akte „Pit“ finden sich Berichte über Kollegen und Patienten. Z.B nach denen „Pit“ eine eigentlich kranke Patientin „tauglich für alle Arbeitskommandos“ geschrieben hat. – Auf Anweisung des MfS. Er berichtet auch über „Suicidabsichten“ einer Patientin. Diese Berichte will Herr Janata zwar nicht kennen. Doch dann gibt er zu: Er habe Gespräche mit dem Verbindungsoffizier vor Ort geführt.

Dr. Peter Janata, Arzt
„Ich hab mir da Hilfe geholt, wenn es notwendig war im Interesse der entsprechenden Patienten.“
KONTRASTE
„Aber das konnten sie doch nicht wissen, wie die Informationen, die Sie weitergeben, vom Ministerium für Staatssicherheit verwendet werden.“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Das ist richtig, aber manchmal hat es geklappt, und ich habe damit das Ziel für die betreffenden Patienten erreicht.“

Jochen Staadt, SED-Forschungsverbund
„Jede Information, die dort hingegeben wurde, ist potentiell für die Betroffenen eine Gefährdung. Derjenige, der sie gegeben hat, konnte weder damals noch heute überschauen, was mit diesen Informationen gemacht worden ist.“

IM „PIT“ berichtet auch über den Plan einer Patientin „rüber“ zu kommen, also in die Bundesrepublik auszureisen. Janata bestreitet, den Vorgang zu kennen. Doch zur Schweigepflicht sagt er:

Dr. Peter Janata, Arzt
„Wenn jemand ausreisen will, oder sich einen Reisepass holt, oder ins Ausland fahren will, das unterliegt doch nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Das hat doch mit der Gesundheit des Betreffenden überhaupt nichts zu tun.“
KONTRASTE
„Aber es könnte sein, dass sie damit, dass sie das weitergegeben haben, an das MfS, der Patientin geschadet haben, oder dem Ehemann der Patientin?“
Dr. Peter Janata, Arzt
„Das ist sehr weit herbeigeholt, was Sie da sagen.“

Nach dem Ende der DDR konnte Peter Janata unbehelligt eine Praxis eröffnen. Ob und in welchem Maß er als IM in Hoheneck gegen die ärztliche Ethik verstoßen hat, ist nie geprüft worden. Kein Wunder, denn systematisch gesucht hat niemand nach niedergelassenen Ärzten im Dienst der Stasi.

Durch unsere Recherchen ist die zuständige Landesärztekammer auf den Fall jetzt aufmerksam geworden. Dort prüft man, ob es Möglichkeiten gibt, den Arzt zur Verantwortung zu ziehen.