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- Raubkunst im Bundestag – Hinterbliebene erhalten Bild zurück

Kaum fassbar: Raubkunst schmückt den Deutschen Bundestag. Mindestens ein Gemälde aus der Sammlung des jüdischstämmigen Bankiers Gutmann befindet sich im Besitz des Parlaments. Gutmann hatte es zur Zeit des Nationalsozialismus zwangsversteigern müssen. Es wird den Erben jetzt zurückgegeben. Doch für diesen Schritt bedurfte es offenbar erheblichen Druckes.

Man muss sich das mal vorstellen: Da hängt ein wertvolles Kunstgemälde jahrzehntelang im Deutschen Bundestag, dort wo die Gesetze verabschiedet werden und dann stellt sich raus: Bei diesem Kunstwerk handelt es sich um sogenannte Raubkunst! Kontraste fand heraus: Ein Bismarck-Gemälde von Franz von Lenbach, das zur Kunstsammlung des Bundestages gehört, stammt aus jüdischem Besitz und musste damals aufgrund der Naziverfolgung zwangsversteigert werden. Jetzt hat der Bundestag eilig beschlossen: Das Kunstwerk wird wieder an die Erben zurückgegeben. Peinlich, peinlich! René Althammer hat die Geschichte aufgedeckt.

Raub, Vertreibung, Mord – für Rechtsanwalt Olaf Ossmann ist die Geschichte gegenwärtig. Für viele Überlebende des Holocaust und ihre Erben ist er oft die letzte Hoffnung. Seit Jahren streitet Ossmann für die Rückgabe so genannter Raubkunst.

Raubkunst: Bei der Judenverfolgung im Nationalsozialismus ging es nicht nur um Mord und Vertreibung, sondern auch um Ausplünderung und Raub. Unzählige Kunstwerke aus jüdischem Besitz wurden beschlagnahmt oder zwangsweise versteigert – oft zu Schleuderpreisen. Viele Werke hängen bis heute in deutschen Museen.

Wir treffen Olaf Ossmann in Berlin. Er hat gerade über die Rückgabe eines Raubkunstwerkes verhandelt. Doch diesmal ist es kein Museum, in dem er fündig wurde, sondern ausgerechnet der Deutsche Bundestag.

KONTRASTE
„Was haben Sie gedacht, als sie hörten, dass es ein Gemälde aus ehemals jüdischem Besitz hier im Bundestag gibt?“
Olaf Ossmann, Rechtsanwalt
„Also zum einen, es hat mich nicht verwundert, dass es selbst im Bundestag gibt. Es hat mich verwundert, dass der Bundestag nicht von sich aus seit 1998 danach forscht, ob in seinem Bestand solche Bilder sind.“

Um dieses Gemälde geht es: Otto von Bismarck, der ehemalige Reichskanzler,
gemalt von Franz von Lenbach im Jahre 1896.

Gern hätten wir von Bundestagspräsident Lammert erfahren, warum es 64 Jahre nach Kriegsende im Bundestag noch Raubkunst gibt. Doch Lammert schickt seinen Pressesprecher, der erklärt: Man habe lange geglaubt, dass man gar keine Raubkunst in der Sammlung haben könne.

Christian Hoose, Sprecher des Bundestages
„Also unsere Ankäufe sind alle nach 45 erfolgt und wir sind eine zeitgenössische Sammlung und deswegen liegt der Schwerpunkt auch nicht auf diesen Bildern.“

Für die Herkunft des Bismarck hat sich also niemand interessiert. Bis 1934 gehörte das Bild zur Sammlung von Herbert Gutmann.

Herbert Gutmann war ein bekannter Kunstsammler und Mäzen der Weimarer Republik. Sein Geld verdiente er im Vorstand und später als Manager in Tochterunternehmen der Dresdner Bank. Als Herbert Gutmann 19 Jahre alt war, trat die Familie vom Judentum zum Protestantismus über – ohne besonders religiös zu sein.

Olaf Ossmann, Rechtsanwalt
„Gutmann, nach seinem eigenen Verständnis, war ein Deutscher, er war ein Demokrat, er setzte sich eben auch politisch in Deutschland für sein Deutschland ein.“

1933 endet Gutmanns Karriere. Für die rassenwahnsinnigen Nationalsozialisten gilt er trotz Übertritt zum Christentum immer noch als Jude. In der Dresdner Bank, die sich den neuen Machthabern bedingungslos andient, verliert Gutmann Macht und Einfluss. Seine Verträge werden gekündigt, ungerechtfertigte Forderungen erhoben. 1934 sieht Herbert Gutmann nur noch einen Ausweg: er lässt seine umfangreiche Kunstsammlung versteigern, darunter auch den Bismarck.

Der Erlös der Versteigerung landet bei der Dresdner Bank - nur eines von unzähligen Beispielen für Raubkunst.

1964 kauft der Bundestag das Gemälde von einem Privatsammler. Die Herkunft des Bildes bleibt im Dunklen.

Uwe Hartmann berät Museen bei der Suche nach Raubkunstfällen. Deutschland und damit auch die Bundesländer hatten sich schon 1998 verpflichtet, Raubkunst in öffentlichen Sammlungen aufzuspüren.

Uwe Hartmann, Forschungsstelle Provenienzforschung
„Das heißt, sie müssen alle Objekte überprüfen, die vor 1945 entstanden sind, geschaffen wurden, und die nach 1933 in diese Sammlung gelangt sind.“
KONTRASTE
„Also auch Stücke, die man meinetwegen in den 50er oder 60er Jahren auf dem Kunstmarkt erworben hat, sind davon betroffen?“
Uwe Hartmann
„Ja, auch die sind einzubeziehen in die Überprüfung.“

Für die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung wurde schon 2001 eine so genannte 1. Handreichung veröffentlicht, eine Art Leitfaden für die Überprüfung der Sammlungen auf mögliche Raubkunstfälle.

4.000 Werke gehören heute zur Sammlung des Bundestages – meist zeitgenössische Kunst. Für die Verantwortlichen im Bundestag offenbar Grund genug, es mit der ersten Handreichung nicht so ernst zu nehmen und sich nicht weiter um die älteren Gemälde zu kümmern.

Christian Hoose, Sprecher Bundestag
„Da ist es ja so gewesen, dass wir davon ausgehen konnten, wir sind eine Sammlung, die erst nach 1945 entstanden ist, wir haben zeitgenössische Kunst. Da ging es bei der ersten Handreichung im Jahr 2001 darum, dass es sich um Bilder handelte, die in der Zeit zwischen 1933 und 45 gekauft worden sind.“

Ein grober Fehler, denn in der ersten Handreichung heißt es ganz unmissverständlich, Zitat:
„Bei allen Erwerbungen nach 1945 sind die Provenienzen“ – also die Geschichte der Bilder – „zwischen 1933 – 1945 in jedem Falle klärungsbedürftig.“

Gutmanns Erben haben Olaf Ossman beauftragt, den Verbleib der einstigen Familiensammlung aufzuklären. In einem Ausstellungskatalog stoßen die Rechercheure zufällig auf das Bismarck-Gemälde. 2007 wendet sich Ossmann erstmals an den Bundestag.

Olaf Ossmann, Rechtsanwalt
„Dann herrschte eine sehr lange Zeit Ruhe, weil der Deutsche Bundestag weitere Untersuchungen anstellen meinte zu müssen, die die Identität des Bildes eindeutig klären sollte.“

Noch im Januar 2009 bezweifelt der Bundestag, dass es sich bei dem Bismarck überhaupt um das Gemälde aus der Sammlung Gutmann handelt – bis Anfang Oktober bleibt es dabei.

5. Oktober – KONTRASTE stellt eine Presseanfrage, ob es im Bundestag NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke, also Raubkunst gibt. Jetzt geht plötzlich alles ganz schnell.

Drei Tage später – am 8. Oktober - schreibt der Bundestag an Anwalt Ossmann – und auch wir erhalten eine Antwort: der Bismarck wird den Erben zurückgegeben.

Für Olaf Ossmann ist die Rückgabe ein Schritt auf dem langen Weg zur Gerechtigkeit. Ihm geht es um die Familien, die bis heute unter den Folgen von Vertreibung und Raub leiden.

Olaf Ossmann, Rechtsanwalt
„Meine Hoffnung ist eigentlich, dass man sozusagen mit der Kultur ein Stück Identität den Personen wiedergibt und einige Familien wieder zu dem zurückbringt, soweit man das heute tun kann, wo sie mal waren und eben auch eine Rückverbindung mit ihrer Kultur dadurch herbeiführt.“

Jetzt endlich will der Bundestag zwölf weitere Bilder prüfen lassen.

Der Sprecher des Bundestages hat uns nämlich bestätigt, dass bei diesen zwölf Kunstwerken ernsthafte Zweifel bestehen, ob es sich hierbei nicht auch um Raubkunst handeln könnte. Warum wird das aber, bitte schön, erst jetzt überprüft?! Schließlich haben sich Bund und Länder schon 1998 verpflichtet, alle öffentlichen Sammlungen auf Raubkunst kontrollieren zu lassen.

Beitrag von René Althammer