Impfstoff zur Impfung gegen Masern auf einem Impfpass. Quelle: imago/Ute Grabowsky / photothek.net
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- Fehlender Impfschutz - Wenn Masern zur tödlichen Gefahr werden

In Deutschland sterben fünf Mal mehr Kinder an Masern als bisher angenommen. Grund ist die wachsende Impfmüdigkeit vieler Eltern. Manche folgen auch den Empfehlungen von einigen Homöopathen und verweigern ganz bewusst die Impfung und setzen damit nicht nur die eigenen Kinder einer tödlichen Gefahr aus. Weil sich der kleine Micha im Wartezimmer eines Kinderarztes bei einem nicht geimpften Jungen mit Masern ansteckte, muss Micha sterben. Er leidet an SSPE, sein Gehirn löst sich langsam auf. Ärzte warnen vor einer neuen Epidemie. Impfgegner lässt diese Warnung kalt. Über wachsende Impfmüdigkeit und die fatalen Folgen berichten Andrea Böll und Caroline Walter.

Was ist eigentlich in unserem Land los, dass die Weltgesundheits-
Organisation sich Sorgen macht um unsere Kinder? Sie warnt uns, dass wir
die Kinderkrankheiten nicht mehr Ernst nähmen. Dass zu viele Kinder an Masern sterben. Obwohl es längst den sicheren Impfstoff gibt! Obwohl
wir glaubten, Masern sei so gut wie ausgerottet! Aber in Deutschland wächst eine gläubige Gemeinde von Impfgegnern. Die Folgen? Andrea Böll und Caroline Walter mit der Geschichte vom kleinen Micha. Der nicht mehr lange zu leben hat.


Micha ist sechs. Er hat starke Krämpfe, kann nicht mehr sprechen, nicht mehr laufen. Er wird sterben an den Folgen von Masern. Seine Eltern gehen an die Öffentlichkeit, um andere Eltern zu warnen.

Michas Mutter
„Ich habe die Kinder immer impfen wollen und ich hab auch den Großen geimpft und Micha hätte auch geimpft werden sollen.“
KONTRASTE
“Er war zu jung fürs Impfen?“
Michas Mutter
“Er war zu jung, er war viel zu jung und leider hatte er keine Chance, um sich zu schützen.“

Micha war fünf Monate alt als er die Masern bekam. Ein Kleinkind wird erst mit einem Jahr gegen die Krankheit geimpft. Zuerst schien alles in Ordnung: Micha überstand die Masern, war völlig gesund. Vor einem Jahr veränderte er sich, Micha verlernte alles, was er vorher noch konnte. Eine Spätfolge von Masern, genannt SSPE. Der Masernvirus bleibt lebenslang im Körper. Er kann nach Jahren wieder aktiv werden. Der Virus zerstört das Gehirn – ohne Chance auf Heilung. SSPE führt zum Tod.

Michas Mutter
„Dieser Schicksalsschlag, der war für uns sehr, sehr schwer zu verstehen, warum wir, warum unser Kind, warum gerade Micha? Der Micha war immer sehr lebenslustig und man dachte, der wird ewig leben.“

Hier in der Kinderklinik Mainz werden regelmäßig schwere Masernkomplikationen behandelt. Für Professor Schmitt steht fest, dass die Spätfolge von Masern, SSPE, dramatisch unterschätzt wurde.

Professor Heinz-Josef Schmitt, Kinderarzt und Infektiologe
„Man dachte bisher, dass die tödliche SSPE eine sehr seltene Komplikation der Masern ist. Wir wissen jetzt, dass es mindestens zehnmal häufiger ist als wir bisher angenommen haben. Das heißt, Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, müssen wissen, dass durch SSPE ein Todesrisiko nach Maserninfektion besteht.“

Angesteckt hat sich Micha in einer Kinderarztpraxis bei einem älteren Jungen. Der war nicht geimpft, seine Mutter wollte nicht impfen lassen, hielt es für überflüssig.

Nicht Impfen – dieser gefährliche Trend nimmt in Deutschland zu. Die meisten Eltern informieren sich im Internet und landen fast automatisch auf Seiten von Impfkritikern und -gegnern. Sie verharmlosen Infektionskrankheiten wie Masern, behaupten die Zahlen von Masernkomplikationen seien übertrieben. Stattdessen ist immer wieder die Rede von Impfschäden.

Im Internet finden wir die impfkritische Elternorganisation Efi Dresden. Dahinter steht Sieglinde Kaufmann. Sie warnt vor angeblichen Impfschäden, verschickt bundesweit Hunderte Anti-Impf-Broschüren. Ihre drei Kinder hat sie alle nicht geimpft.

Sieglinde Kaufmann, Efi Dresden
„Der Grund dafür, dass wir unsere Kinder nicht geimpft haben, ist, dass das Risiko uns größer erscheint als der Nutzen, der vorgegebene, dass sie also später davon einen Schaden davon haben können, einen kleineren, der nicht unbedingt auffallen muss oder einen größeren.“

Sieglinde Kaufmann ist überzeugte Homöopathin. Sie empfiehlt Eltern die Broschüre „Die Impfentscheidungen“. Ein angeblicher Bestseller: Dort finden wir die Behauptung: „Immer lösen Impfungen Krankheiten aus.“

Eine These von Dr. Friedrich Graf. Er ist einer der führenden Impfgegner. Der homöopathische Arzt hat viele Anhänger gefunden, eine richtige Bewegung gegen das Impfen ist entstanden. Wir fragen ihn, woher er weiß, dass Impfen gefährlich sei.

Dr. Friedrich P. Graf, Homöopath
„Wir wissen, dass also viele Erkrankungen durch Impfungen entstehen können, nur wir können natürlich schwer beweisen, dass das systematisch geschieht. Aber so unergründlich wie diese Dinge sind, so unergründlich ist das Leben.“

Und so schreibt Dr. Graf: Impfungen seien Ursache für fast alle Übel: unter anderem „alle Arten von Allergien“, ein „ungeklärter Anteil an chronischen Nervenkrankheiten“ und „ungeklärter, aber vermuteter Beitrag zur Krebsentstehung“.

Prof. Heinz-Josef Schmitt, Kinderarzt und Infektiologe
„Es sind Behauptungen, dass alle möglichen Krankheiten der Welt durch Impfungen hervorgerufen werden können. Die wissenschaftliche Literatur spricht ganz klar eine andere Sprache, auch mit Zahlen aus Deutschland. Das Deutsche Krebsregister zeigt, dass gut geimpfte Kinder zweimal seltener Krebs haben als schlecht geimpfte Kinder, in Deutschland. Auch Allergien treten bei gut geimpften Kindern insgesamt seltener auf als bei schlecht geimpften Kindern und auch chronische Krankheiten findet man nicht gehäuft bei gut Geimpften.“

Doch Dr. Grafs Panikmache vorm Impfen kommt bei Eltern an. Vergessen werden die Folgen früherer Epidemien: Tausende tote und behinderte Kinder – durch Infektionskrankheiten wie Diphterie oder Kinderlähmung. Ausgerottet werden konnten sie nur durch Impfung.

Krankheiten wie Masern dagegen fordern immer noch Opfer – weil nicht genügend geimpft wird. Die Weltgesundheitsorganisation hat gerade Deutschland gerügt. Bis 2005 hätte es bei uns längst keine Masern mehr geben dürfen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Immer wieder brechen in Deutschland Masernepidemien aus. Momentan in Hessen, über 180 Kinder sind bisher erkrankt. Ein 14jähriges Mädchen starb.

In diesem hessischen Landkreis traten die Masernfälle gehäuft in Walddorfeinrichtungen auf – so die Gesundheitsbehörden. Dort lassen viele Eltern ihre Kinder nicht impfen. Die Elternsprecherin Brigitta Gralfs hat keine Bedenken, dass ungeimpfte Kinder andere anstecken könnten, eine Gefahr sind.

Brigitta Gralfs, Elternsprecherin Waldorfschule Wetterau
„Das ist, denk ich, eine wirklich individuelle Entscheidung. Und da muss jeder gucken, wie weit er da die Verantwortung für die Gemeinschaft mit übernehmen möchte und so weiter. Also ich habe es für mich und meine Kinder entschieden und habe mir ehrlich gesagt über die Gemeinschaft wenig Gedanken gemacht.“

Über die Gemeinschaft hat sie sich keine Gedanken gemacht. Für Prof. Schmitt ist das verantwortungslos.

Prof. Heinz-Josef Schmitt, Kinderarzt und Infektiologe
„Wenn viele geimpft sind, dann sind einige, auch geschützt, die wir noch gar nicht impfen können. Das sind ganz besonders Säuglinge. Da dauert es etwas, bis der Impfschutz aufgebaut ist. Es sind Schwangere, es sind Patienten mit Krebs, es sind Patienten mit Autoimmunkrankheiten, die so behandelt werden, dass ihr Abwehrsystem nicht richtig funktioniert. Impfen hat eine soziale Dimension. Wir stehen in der Verantwortung auch für die Schwächsten in der Gesellschaft.“

Doch Impfgegner wie Dr. Graf haben Erfolg. Letztes Wochenende in Berlin – Graf hält ein Seminar für Hebammen aus dem ganzen Bundesgebiet. Sie sind für ihn wichtig, weil sie Einfluss auf werdende Mütter haben. Er spricht über die angeblichen Vorteile der Homöopathie und des Nicht-Impfens. Die Aufnahmen wurden uns zugespielt. Auf der Veranstaltung fallen Sätze wie:
Zitat:
„Man kann aufhören zu impfen – das verhindert chronische Krankheiten.“
Und:
„Masern machen uns keine Probleme hierzulande – nur in Afrika.“

Auf dem Seminar werden auch Grafs Bücher verkauft. Homöopathisch behandelte und ungeimpfte Kinder – so verbreitet er – hätten keine Komplikationen bei Infektionskrankheiten zu befürchten.

Prof. Heinz-Josef Schmitt, Kinderarzt und Infektiologe
„Schwere Komplikationen treten gerade auch bei den homöopathisch behandelten Kindern hier auf. Wir sehen es immer wieder, die landen nicht selten auf unserer Intensivstation. Wir sehen es, wenn nicht jede Woche, so doch jeden Monat, dass ungeimpfte Kinder hier ankommen mit schweren Krankheitskomplikationen und die kommen in der Regel aus gerade dieser Art von Praxis.“

Impfgegner Graf hält trotzdem an seiner gefährlichen Ideologie fest.

Dr. Friedrich P. Graf, Homöopath
„Wenn wir die Impfung einzeln analysieren, können wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir eigentlich keine einzige brauchen.“
KONTRASTE
“Keine einzige?“
Dr. Friedrich P. Graf, Homöopath
„Keine einzige.“

Micha hat keine Chance die tödliche Masernkomplikation SSPE zu überleben. Er hätte die Masern gar nicht erst bekommen müssen.

Mutter
„Wenn eine andere Mutter entschieden hätte, ihr Kind zu impfen, wäre mein Kind nicht erkrankt, ich hätte einen gesunden Jungen jetzt. Und es hat sich aber vor einiger Zeit ein Elternpaar oder sonst wer entschieden, wir impfen unser Kind nicht und dieses Kind hat unseren Sohn angesteckt. Und so kann man sich vorstellen, was ich den Eltern sagen möchte: Man sollte die Kinder impfen.“