- Hartz IV - Privatversicherte unter Existenzminimum

Wenn privat Krankenversicherte Pleite gehen und Hartz IV beantragen müssen, kann es sein, dass ihnen nicht einmal das Existenzminimum bleibt. Denn für sie zahlt der Staat nur einen Teil der Krankenversicherung.

Vor den deutschen Sozialgerichten türmen sich zurzeit die Klagen von Hartz-IV-Empfängern. Der Grund: Die Regelungen zu Hartz-IV sind häufig ganz unklar definiert oder sogar voller Widersprüche. Die Justiz- und Sozialminister aller Länder haben den Bund deshalb kürzlich sogar aufgefordert, das dringend zu ändern. Doch nichts passiert. Dabei ist die Not groß. Vor allem Hartz-IV-Empfänger, so stellten wir fest, die eine private Krankenversicherung haben, fallen in ein tiefes Loch. Caroline Walter und Andrea Böll.

Hartmut Fischer war immer selbstständig, als Handelsvertreter. Doch dann brachen die Geschäfte ein, er hatte keinen Job mehr. Seitdem bekommt er Hartz IV. Das ist schon wenig zum Leben, doch von dem Wenigen muss er noch circa 160 Euro für seine private Krankenversicherung pro Monat selbst bezahlen. Ihm bleiben nur 199 Euro zum Leben übrig - davon muss er noch Strom und Wasser zahlen.

Hartmut Fischer
„Ich habe mir einen Tagesplan aufgestellt oder einen Monatsplan, wo ich genau aufgeschrieben habe, was ich am Tag ausgeben kann. Das heißt: Mehr als zwei Euro für ein Essen darf ich nicht ausgeben, mache ich auch nicht. Also, ich achte darauf, dass ich nie mehr als zwei Euro für ein normales Essen ausgebe, kaufe günstig ein und das ist eigentlich mein Lebensinhalt jetzt, dass ich überlebe in Anführungsstrichen."

Zuhause Musik hören, Spazierengehen - mehr ist nicht drin, nicht mal eine Zeitung oder eine Busfahrt kann er sich leisten. In die gesetzliche Krankenkasse darf er nicht wechseln - so ist die Regel. Das Jobcenter zahlt aber nur einen Teil seiner privaten Krankenversicherung. Hartmut Fischer lebt deshalb unter dem Existenzminimum. Er hat Widerspruch beim Jobcenter eingelegt - doch der wurde zurückgewiesen.

Hartmut Fischer
„Man lässt mich hängen, mich und andere Leute, die davon auch betroffen sind. Das tut weh, und macht einen traurig und wütend. Aber ich kann es im Moment ja nicht ändern."

Wie ihm ergeht es einigen Tausend, die privat krankenversichert waren, bevor sie arbeitslos wurden. Laut Gesetz gilt: Die Jobcenter zahlen nur einen festen Betrag, derzeit 131 Euro, – egal, ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist.

Ilka Ludewig, Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf
„Wir können nur das zahlen, was gesetzlich möglich ist, und das ist der Beitrag, den auch gesetzlich Versicherte bekommen."
KONTRASTE
„Das heißt: Es gibt keinen Spielraum?“
Ilka Ludewig, Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf
„Nein, dann würden wir gegen geltendes Recht verstoßen."

Viele, wie Burkhard Petruschke, landen deshalb sogar in der Schuldenfalle. Für Hartz IV-Empfänger verlangen die Privatversicherer bis zu 300 Euro an Prämie. Nicht einmal die Hälfte erstattet das Jobcenter. Petruschke schafft es nicht, den Betrag von Hartz IV abzuknapsen. Jeden Monat flattert eine Mahnung ins Haus, die Privatversicherung drohte schon mit dem Gerichtsvollzieher. Mittlerweile hat er bei ihr über 4000 Euro Schulden.

Burkhard Petruschke
„Die Schuldenberge werden immer größer. Und ich habe kein Absehen, wann es mal geändert wird, denn die Politik kümmert sich nicht darum. Und für mich entstehen körperliche und nervliche Belastungen so, dass ich manche Nächte nicht mehr schlafen kann."

Seit eineinhalb Jahren traut er sich nicht mehr zum Arzt, hat Angst auf den Kosten der Behandlung sitzen zu bleiben. Solange er Schulden bei der Krankenversicherung hat, findet er auch keinen festen Job, niemand will ihn anstellen. Petruschke klagt jetzt vor dem Sozialgericht - wie viele andere. Wie es ausgeht, weiß er nicht.

Im Gesetz ist es nicht klar geregelt - das kritisiert Michael Kanert, er war lange Sozialrichter in Berlin.

Michael Kanert , Sprecher Senatsverwaltung für Justiz, Berlin
„Die Paragraphen sind da einfach widersprüchlich. Der eine Paragraph legt die Beitragshöhe fest, die die private Krankenversicherung verlangen darf, und der andere Paragraph sagt, wie viel das Jobcenter dem Hartz IV-Empfänger zu erstatten hat. Und da klafft eben die Lücke. Die private Krankenversicherung darf mehr als doppelt so viel an Beiträgen verlangen wie hinterher das Jobcenter erstattet."

Schuld daran ist die Gesundheitsreform der Großen Koalition. Sie wusste um die Lücke für privat Krankenversicherte - aber wie man sie schließt, darüber konnte man sich damals nicht einigen. Dann trat die neue Regierung an, und Gesundheitsminister Rösler verkündete gleich zu Beginn, er wolle die Lücke für die Betroffenen schnell schließen.

Bundestagsabgeordnete Martina Bunge wartet bis heute darauf. Seit zwei Jahren stellt die Opposition Anträge und fordert eine Regelung. Jedes Mal heißt es:

Die Regierung plane

Zitat
„baldmöglichst eine gesetzliche Regelung zur Lösung des Problems…"

Und so vergeht viel Zeit.

Dr. Martina Bunge (Die Linke), MdB, Mitglied Gesundheitsausschuss
„Uns regt vor allen Dingen auf, dass das Problem bekannt ist, es auch anerkannt wird, von allen Seiten an die Regierung herangetragen wird, sie immer versprechen, sie tun was, aber sie tun nichts."

Zuständig sind leider gleich zwei Ministerien - das von Arbeitsministerin von der Leyen und das von Gesundheitsminister Rösler. Beide können sich nicht einigen, wo die Kosten für die privat versicherten Hartz IV-Empfänger abgeladen werden. Unsere Interviewanfragen werden abgelehnt. Man streitet in der Regierungskoalition um drei Lösungen.

1. Lösung: Die Betroffenen sollen zurück in die Gesetzliche abgeschoben werden.

Gesundheitsökonom Prof. Stefan Greß war bei Anhörungen im Bundestag mit dabei. Was hält er von dieser Lösung?

Prof. Stefan Greß, Gesundheitsökonom, Hochschule Fulda
„Ich halte diesen Weg für nicht richtig, weil wiederum damit die Risiken bei der gesetzlichen Krankenversicherung abgeladen werden und die private Krankenversicherung entlastet wird."

2. Lösung: Das Jobcenter übernimmt den vollen Betrag.

Doch damit droht ganz neuer Ärger - mit den gesetzlichen Kassen. Sie wollen dann auch mehr Geld für ihre Versicherten.

Florian Lanz, GKV-Spitzenverband
„Insgesamt muss es ja darum gehen, das Ganze fair auszugestalten. Wenn man dem einen deutlich mehr Geld gibt als dem anderen, dann wäre das alles andere als fair, das wäre eine Ungerechtigkeit sondergleichen. Das wäre für uns kein Lösungsweg."

3. Lösung: Private bekommen nur soviel Geld wie die Gesetzlichen.

Prof. Stefan Greß, Gesundheitsökonom, Hochschule Fulda
„Aus meiner Sicht wäre der richtige Weg, dass sich die privaten Krankenversicherungen mit dem gleichen Betrag zufrieden geben müssen wie auch die gesetzlichen Krankenkassen. Erstens würden sich die Belastungen im Promillebereich bewegen. Zweitens ist die private Krankenversicherung an verschiedenen Stellen in der letzten Gesundheitsreform entlastet worden. Und insofern wäre das ok."

Dagegen wehren sich die Privatversicherer. Dabei wäre es die einfachste und fairste Lösung. Die Regierung müsste sich aber mit der mächtigen Lobby anlegen.

Hartmut Fischer bleiben weiter nur 199 Euro zum Leben. Das macht einsam, Freunde hat er kaum mehr.

Hartmut Fischer
„Schlimm ist für mich, dass ich halt aufgrund von Geldmangel an keinem Leben mehr teilnehmen kann. Also, ich finde, mein Leben ist nicht mehr lebenswert. Man sitzt nur noch da und wartet, dass irgendeine Entscheidung kommt, aber es kommt ja keine Entscheidung."


Autoren: Caroline Walter und Andrea Böll