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Was haben wir aus Fukushima gelernt? Erstens: Die Bundesregierung hat die Gefahren, die von der Atomkraft ausgehen, falsch eingeschätzt. Zweitens: Wir müssen unsere Atomkraftwerke neu auf Sicherheit überprüfen. Und drittens: Wir brauchen dringend mehr Offenheit und Transparenz in der Atom-Politik. Und was passiert? Die Bundesregierung setzt eine Experten-Kommission ein, die genau nicht dazu beiträgt, unser Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen. Manka Heise und Chris Humbs mit Einzelheiten.
Japanische Kollegen wagen sich einen Monat nach der Katastrophe in die Sperrzone rund um das Kernkraftwerk Fukushima.
Unterwegs in Geisterstädten. Wegen der hohen Strahlung mussten die Menschen hier alles zurücklassen. Jahrzehnte wird die ganze Region für Menschen unbewohnbar bleiben.
Lange können sich die Reporter hier in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks nicht aufhalten.
Aus Angst, dass Ähnliches auch bei uns passieren könnte, soll nun die Sicherheit aller 17 deutschen Reaktoren auf den Prüfstand gestellt werden. Von Experten der so genannten Reaktorsicherheitskommission. All das sollen die Bürger nachvollziehen können - das zumindest versprach Bundesumweltminister Röttgen.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister
„Der Prozess ist ein öffentlicher Diskurs, eine gesellschaftliche Debatte über Energiepolitik und ihre Grundlagen und darum müssen auch die Grundlagen öffentlich zugänglich sein."
Hier im Bundesumweltministerium tagt die Reaktorsicherheitskommission - kurz RSK. Diese Fachleute sollen während des dreimonatigen Moratoriums die fachlichen Grundlagen für die anstehenden politischen Entscheidungen erarbeiten.
Doch von der versprochenen Offenheit ist bei den RSK-Mitgliedern nichts zu spüren.
Niemand will auf unsere Fragen antworten:
Mitglied
„Kein Kommentar, kein Kommentar."
Mitglied
„Im Augenblick sage ich da gar nichts dazu."
Der Vorsitzende der RSK, Rudolf Wieland, verteidigt dieses Verhalten.
KONTRASTE
„Warum muss die RSK geheim tagen?“
Rudolf Wieland, RSK-Vorsitzender
„Die tagt immer ohne öffentliche Beteiligung."
KONTRASTE
„Warum?“
Rudolf Wieland, RSK-Vorsitzender
„Das ist ganz normal, dass man seine Sachen auch in Ruhe austauschen kann, ohne dass sich Dritte gleich mit einmischen."
Eine Einmischung oder gar Diskussion ist nicht erwünscht. Denn die Satzung der RSK legt eindeutig fest:
Zitat
„Die Mitglieder der Kommission werden…zur Wahrung der Vertraulichkeit…verpflichtet."
Eine Satzung, für die der Umweltminister selbst verantwortlich ist. Norbert Röttgen hat also falsche Versprechungen gemacht. Wir Fragen beim Ministerium an. Dort heißt es jetzt:
Zitat
„…durch die Vertraulichkeit…sollen die RSK-Mitglieder vor einer externen Beeinflussung geschützt … werden."
So verhindert man jegliche Kontrolle.
In Mainz treffen wir den ehemaligen Vorsitzenden der RSK, Lothar Hahn. Der Physiker kritisierte schon seit Jahren die Geheimnistuerei in der Kommission. Doch mit seiner Forderung nach mehr Transparenz konnte er sich bei Politik und Atomindustrie nicht durchsetzen.
Lothar Hahn, ehemaliger RSK-Vorsitzender
„Es ist wirklich ein Problem, die fehlende Transparenz der Arbeiten bei der RSK und ihren Ausschüssen. Das müsste radikal verändert werden.“
KONTRASTE
„Wann?“
Lothar Hahn, ehemaliger RSK-Vorsitzender
„Sofort! Die Möglichkeit besteht ja. Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Nicht nur die Politik, auch die aktuellen RSK-Mitglieder selbst scheinen wenig Interesse an Transparenz zu haben. Die Internetseite der Kommission sagt kaum etwas über ihre Mitglieder aus. Wir versuchen mehr herauszufinden, schauen uns einige der 16 Experten genauer an.
Da gibt es zum Beispiel RSK-Mitglied Erwin Fischer. Erwin Fischer ist nicht nur RSK- Mitglied. Er ist zugleich technischer Leiter des Atomkraftwerkes Isar 1 und 2 in Bayern. Mit uns will er nicht reden.
Isar 1 gilt als Pannenreaktor. Seit Inbetriebnahme verzeichnete der Betreiber e.on 280 meldepflichtige Störfälle. Der veraltete Meiler ist kaum gegen Flugzeugabstürze oder Terrorangriffe gesichert. Deshalb musste Isar 1 gleich zu Beginn des Moratoriums vom Netz.
Gerade für Altmailer wie Isar 1 sollen von der Reaktorsicherheitskommission neue, weitergehende Sicherheitskriterien definiert werden. Doch noch bevor die Kommission überhaupt getagt hat, weiß Erwin Fischer, dass sein Kernkraftwerk allen Anforderungen standhalten wird. Dem Bayerischen Rundfunk sagte er:
Erwin Fischer, 15.03.2011, e.on
„Aus unserer Sicht ist das klar, dass wir die sicherheitstechnischen Anforderungen hier erfüllen."
Der Mann von e.on ist offensichtlich in einem Interessenskonflikt. Trotzdem ist er bis heute Mitglied der Reaktorsicherheitskommission.
Ein anderer RSK-Mann ist Ulrich Waas. Er arbeitet für den Großkonzern Areva. Der Konzern ist eines der weltweit führenden Unternehmen in der Nukleartechnologie. Areva baut und wartet Atomkraftwerke und beliefert Betreiber mit Kernbrennstäben. Ein deutscher Ausstieg aus der Atomkraft würde für die Firma einen herben finanziellen Verlust bedeuten.
Waas hat sich immer vehement für Atomenergie eingesetzt. Er schrieb die Bibel der Kernenergie, die bis heute wegweisend für die Öffentlichkeitsarbeit der Atomlobby ist. Wir wollen Ulrich Waas fragen, wie er mit diesem Interessenkonflikt umgeht. Der Pressesprecher seines Arbeitgebers Areva schickt uns wieder weg.
Ein weiterer Vertreter der RSK ist Reinhard Kohl, vom TÜV Süd Industrie Service. Eine Haupteinnahmequelle der speziellen TÜV-Abteilung sind millionenschwere Gutachten zu Kernkraftwerken. Viele abgeschaltete Kernkraftwerke würden drastische Einnahmeverluste bedeuten. Auch Kohl will nicht mit uns über seine Arbeit in der RSK sprechen.
Über die Hälfte der RSK-Mitglieder ist der Atomlobby zuzuordnen. Bei strittigen Fragen entscheidet letztlich die einfache Mehrheit. Ein Problem für die Glaubwürdigkeit der RSK.
Lothar Hahn, ehemaliger RSK-Vorsitzender
„Die Interessenskonflikte die auftreten können, sind nun mal da. Das können wir nicht wegreden."
Mit Transparenz, glaubt Hahn - gerade jetzt, während des Moratoriums -, könnte man das Misstrauen zumindest etwas eindämmen:
Lothar Hahn, ehemaliger RSK-Vorsitzender
„Denn jeder, der sich öffentlich rechtfertigen muss für seine Meinung, also kontrolliert wird in Anführungsstrichen, kann sich nicht Abhängigkeiten leisten."
Wir wollen jetzt mal zu etwas mehr Transparenz beitragen: Schauen Sie doch auf unsere Homepage www.kontraste.de, da können Sie in internen Papieren des Bundesumweltministeriums hochinteressante Dinge nachlesen.