Grüne im Umfragetief - Ist die Partei inzwischen überflüssig

Öko, dafür sind inzwischen alle: ob Aldi, Lidl, die SPD oder die CDU! Das einstige Alleinstellungsmerkmal der Grünen ist passé! Kein Wunder, dass die Partei bei Umfragen immer weiter absinkt. Eindrücke aus dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen.

Anmoderation: Die Nerven flattern bei den Grünen. Die neueste infratest-dimap Umfrage im Auftrag der ARD sieht die Grünen in Nordrhein-Westfalen nur noch bei 7 Prozent - im Vergleich zu 11,3 Prozent bei der vergangenen Landtagswahl. Die Sonnenblume als Symbol für Aufbruch und Erneuerung hat offenbar längst an Strahlkraft verloren. Die Grünen sind mitten im Wahlkampf auf der Suche nach sich selbst. Beobachtungen aus NRW von Christoph Rosenthal, Axel Svehla und Caroline Walter.

Grüne in Schutzanzügen unterwegs in einer Fußgängerzone von Gelsenkirchen. Kurz vor der Landtagswahl erinnern sie an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

Wahlkämpferin

"… und hier durften die Kinder nicht in den Sandkasten und wir haben keinen Salat gegessen und keine Milch getrunken. Sie erinnern sich bestimmt noch."

Ja, man erinnert sich, aber das hilft den Grünen wenig. Der Atomausstieg ist längst beschlossene Sache, die CDU gab den Weg frei. Die Grünen sind im Umfragetief, wohl auch, weil andere Parteien ihre Themen - zumindest auf dem Papier - übernommen haben. Nun wird es eng für sie in NRW. Im Kreisverband Gelsenkirchen schwankt die Stimmung zwischen Trotz und Ratlosigkeit.

Kontraste

"Die Grünen in Nordrhein-Westfalen kämpfen um den Einzug in den Landtag. Woran liegt es?"

Parteimitglied

"Ja, dazu müsste, wie soll ich das beantworten. Ich nehme an, dass da sehr viele Leute sehr unterschiedliche Begründungen haben oder auch gar nicht so nachgedacht haben."

Kontraste

"Welches ist denn Ihre Begründung?"

Parteimitglied

"Ich hab keine Begründung dafür, ich finde das sehr erstaunlich, weil ich uns eben doch für sehr wichtig halte."

Barbara Oehmichen, die grüne Landtagskandidatin, kennt jeden Winkel in ihrer Stadt, zum Beispiel die Bochumer Straße, eine Schmuddelecke. Hier mag man nicht leben, zu viele Probleme: Leerstand, Kriminalität, Armut. Sanierung des Stadtteils – dafür kämpft die Grüne. Aber es fällt ihr schwer, das wirklich Herausragende ihrer Projekte zu beschreiben.

Kontraste

"Welches ist denn  für so einen Stadtteil wie hier die grüne Vision, die sich deutlich von der anderer Parteien unterscheidet?"

Barbara Oehmichen (B'90/Die Grünen), Landtagskandidatin Gelsenkirchen Süd

"Also ich kann nur sagen: ein lebenswerter Stadtteil."

Kontraste

"Das ist die grüne Vision?"

Barbara Oehmichen (B'90/Die Grünen), Landtagskandidatin Gelsenkirchen Süd

"Ja, mit allem was dazu gehört, ja."

Kontraste

"Warum verlieren sie offensichtlich Wähler anstatt Wähler zu gewinnen?"

Barbara Oehmichen (B'90/Die Grünen), Landtagskandidatin Gelsenkirchen Süd

"Ja, ich sag mal, weil die Antworten, die gegeben werden von anderen Parteien, viel einfacher sind als die, die wir geben. Punkt."

Mit knapp 12 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit in Gelsenkirchen weit über dem Durchschnitt. Noch immer ist die Wende von Kohle und Stahl zu neuen Technologien und Arbeitsplätzen nicht richtig  geschafft. Gelsenkirchen braucht Jobs und nochmals Jobs - das weiß auch der zweite grüne Kandidat, Jürgen Prekel, Sohn eines Stahlkochers.

Kontraste

"Wie kommt es, dass die Grünen nicht als Jobbeschaffer wahrgenommen werden?"

Jürgen Prekel (B'90/Die Grünen), Landtagskandidat Gelsenkirchen Nord

"Ich glaube, das liegt auch daran, dass es über viele Jahre auch gar nicht so in den Fokus gerückt haben. Das wir halt unsere urgrünen Themen: Umwelt, auch der Schutz der Menschen, der Schutz der Menschenwürde sehr in den Fokus gerückt haben. Und haben irgendwann vielleicht nicht so richtig kapiert, dass wir in strukturschwachen Gebieten wie zum Beispiel im Ruhrgebiet die Menschen irgendwann aus dem Blick verloren haben."

Prominenter Besuch in der Wuppertaler Skaterhalle. Bundespolitiker Cem Özdemir macht eine Stippvisite bei diesem Projekt für Langzeitarbeitslose. Sie sollen hier wieder ins Arbeitsleben zurückzufinden. An ihrer Realität geht der grüne Wahlkampf aber vorbei.

Kontraste

"Jetzt sind die Grünen ja hier schon lang an der Regierung mit. Wie ist da Ihre Bilanz?"

Wähler

"Ja, NRW geht es ja schlechter wie jedem anderen Bundesland."

Kontraste

"Das heißt Bilanz grün schlecht?"

Wähler

"Ja sicher!"

Özdemir will einen coolen, lockeren Auftritt. Mit den Arbeitslosen hier sucht er nicht das Gespräch, das ist nicht seine Welt. Sie sind und bleiben Zaungäste bei seinem Auftritt. Kritik an seiner Partei schiebt er im Moment lieber weg.

Cem Özdemir (B'90/Die Grünen), Spitzenkandidat Bundestagswahl

"Mir fällt auch vieles ein, was man noch besser machen kann, aber jetzt geht’s ja erst mal um sehr grundsätzliche Fragen, es geht drum, bleibt's ein offenes Nordrhein-Westfalen, ein offenes Deutschland, offenes Europa oder eines das sich dem Nationalismus widerschreibt."

Universitätsstadt Münster. Hier wohnt Claudia Karst. Die Akademikerin ist eine typische Grünen-Wählerin, sie lebt mit ihrer Familie in einem Niedrigenergiehaus und ökologisch vernünftig. Aber ihre grüne Welt hat Risse bekommen.

Claudia Karst

"Bei der Landtagswahl dieses Jahr werde ich die Grünen nicht mehr wählen, nein."

Kontraste

"Warum?"

Claudia Karst

"Warum? Weil ich nicht möchte, dass die Bildungspolitik so weiter geht. Das ist der Grund. Die Bildungspolitik der Grünen in den letzten Jahren hat mir überhaupt nicht gefallen"

Claudia Karst ist Mutter und Elternvertreterin. An vielen Schulen in NRW herrsche Chaos – die Einbindung behinderter Kinder in den Regelunterricht funktioniere überhaupt nicht. Und es gebe viel zu wenig Lehrer.

Claudia Karst

"Ein Dauerärgernis ist der Unterrichtsausfall, der hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Das geht eigentlich nicht mehr. Das kann man nicht mehr verantworten."

Früher hat Karst grün gewählt, weil ihr der Atomausstieg und der Umweltschutz wichtig waren. Jetzt haben sie und die Grünen sich auseinandergelebt.

Claudia Karst

"Ich bin sicherlich konservativer geworden. Wenn man meine Ansicht zur Schulpolitik sieht, ist das stockkonservativ. Da mir dieses Jahr Bildungspolitik sehr wichtig ist werde wohl die CDU wählen. Die liegt mir in der Bildungspolitik am nächsten und das wäre das erste Mal."

Und gegen sie richtet sich der Unmut: Sylvia Löhrmann, grüne Schulministerin in NRW.

Sylvia Löhrmann (B'90/Die Grünen), Schulministerin Nordrhein-Westfalen

"Du gehst aber noch nicht in die Schule, Du gehst in den Kindergarten, oder...?"

Sieben Jahre hatte Löhrmann Zeit, die Probleme an den Schulen zu lösen. Die Kritik der Eltern lässt sie einfach abprallen.

Sylvia Löhrmann (B'90/Die Grünen), Schulministerin Nordrhein-Westfalen

"Der Unterrichtsausfall ist nach dem gleichen Muster erhoben nicht mehr geworden. Das ist eine Durchschnittszahl. Es gibt Probleme, das weiß ich, da steuern wir nach. Es gibt aber auch viele Schulen da sind die Dinge in Ordnung."

In Sachen Umweltpolitik haben die Grünen durchaus die Sympathien auf ihrer Seite. Doch das allein ist keine Erfolgsgarantie für morgen.

Wähler

"Umwelt, Natur, die haben viel erreicht, denke ich mal. Und, ja, seitdem wir die Grünen haben, ist einiges passiert."

"Aber man hat sich jetzt so an sie gewöhnt. Vielleicht, man meint auch da kommt jetzt nichts mehr. Man erwartet immer wieder was Neues."

Die lokale Kandidatin hier im Sauerland versucht im Häuserwahlkampf letzte Stimmen zu mobilisieren.

Das Problem – mit Bioessen und Energiewende schmücken sich auch andere Parteien.

Verena Verspohl (B'90/Die Grünen), Landtagskandidatin Arnsberg

"Dass alle Parteien über grüne Themen auch sprechen, ist auch das was man greenwashing nennt. Also man gibt sich ein bisschen die grüne Fahne ohne die Konzepte bis zu Ende zu denken und auch vor allen Dingen umsetzen zu wollen. Es braucht uns stärker denn je. Denn gerade dieses leicht grün angemalte, "oh, wir besetzen die Themen ja auch" ist gefährlich, weil dadurch die Themen verloren gehen."

Köln – eine grüne Hochburg in NRW. Eigentlich ein sicheres Terrain für Kandidat Frank Jablonski. Doch gerade von den Stammwählern hagelt es jetzt Kritik.

Wählerin

"Ich würde die Grünen nicht mehr wählen - auf gar keinen Fall."

Frank Jablonski (B'90/Die Grünen), Landtagskandidat Köln-Lindenthal

"Warum, wenn ich fragen darf?"

Wählerin

"Die sind mir einfach – das sind eingeschlafene Füße. Da kämpft keiner mehr. Die sind angepasst, die meisten haben im Grunde genommen auch ein dickes Gehalt. Und wirklich, im Grunde genommen, was wirklich wichtige Themen wären, die werden von den Grünen einfach nicht besetzt weil das interessiert sie nicht mehr, die fahren auch den dicken Volvo."

Frank Jablonski (B'90/Die Grünen), Landtagskandidat Köln-Lindenthal

"Wir setzen uns für höhere Besteuerung besonders von Superreichen ein. Es ist nicht so. Diese Themen kommen zurzeit in der Öffentlichkeit nicht besonders gut an."

Er will ihr die grünen Versprechen schriftlich geben.

Wählerin

"Das bringt doch sowieso nichts."

Vor allem die etablierten Spitzenpolitiker sind für viele Wähler ein rotes Tuch.

Wählerin

"Anstatt ständig 'ne Claudia Roth, 'nen Cem Özdemir, wie heißen sie alle, die Göring-Eckardt und so weiter, also diese ganzen: ehrlich gesagt, ich bin auch mit denen alt geworden, aber diese unkämpferischen Leute, wo man merkt, die sitzen eigentlich wie die Made im Speck. Das interessiert keinen mehr. Wieso nicht mal die Jugend mal bisschen rankommen lassen. Aber, ich wünsche viel Glück und mehr als fünf Prozent, Herr Jablonski!"

Frank Jablonski (B'90/Die Grünen), Landtagskandidat Köln-Lindenthal

"Es ist immer ein bisschen schwierig. Den einen sind wir zu links, den anderen sind wir zu radikal, den dritten sind wir zu extrem, und den einigen Leuten sind wir zu angepasst, zu langweilig und zu bequem geworden, und in diesem Spagat hätten wir vielleicht etwas dynamischer sein können etwas kämpferischer."

Beitrag von Caroline Walter, Axel Svehla und Christoph Rosenthal