Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) kommt zum St.-Michael-Jahresempfang der Katholischen Kirche und wird von Georg Bätzing (l), Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und Karl Jüsten (r), Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe, begrüßt. Bild: Annette Riedl/dpa
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Staatsleistungen - Streit um Steuermillionen für die Kirchen

Jedes Jahr bekommen die Kirchen in Deutschland rund 600 Millionen Euro aus dem Steuertopf – zuzüglich zu den knapp 13 Milliarden Euro Kirchensteuer, die der Staat für sie eintreibt. Die Grundlage für diese sogenannten Staatsleistungen reicht zurück in die Zeit Napoleons, sie sollen die Kirchen für die Enteignung ihrer Besitztümer entschädigen – mehr als 200 Jahre dauern die Zahlungen bereits an, zig Milliarden Euro sind so allein seit Gründung der Bundesrepublik zusammengekommen. Schon in der Weimarer Verfassung war festgelegt, dass diese Leistungen abgeschafft werden sollen, doch erst jetzt wollte die Ampel als erste Bundesregierung diese uralte Regelung nun stoppen. Doch erste Gespräche zwischen Bund, Ländern und Kirchen Anfang des Jahres brachten keine Einigung: Die Kirchen fordern eine Ablösesumme. Zahlen müssten das die Länder, die sich allerdings querstellen. Und so könnten die Zahlungen bis auf unbestimmte Zeit weiterlaufen.
 
Beitrag von Susett Kleine und Daniel Schmidthäussler

Anmoderation: Die Stimmung war gut, als der Kanzler am Montag beim Empfang der deutschen Bischofskonferenz in Berlin auftauchte – trotz seiner Blessuren vom Joggingunfall. Und: Wir waren auch vor Ort – denn ein Thema beschäftigt uns seit langem: Dafür mussten wir uns richtig tief in die Archive graben – alte Reichsverfassungen durchsehen, sogar Dokumente aus der Zeit Napoleons auswerten. So weit muss man zurück gehen, um zu verstehen, warum die Kirche Jahr für Jahr hunderte Millionen einstreicht – von uns allen. Kirchenmitglied oder nicht. Daniel Schmidthäussler und Susett Kleine.

Paderborn. Sonntag, 10 Uhr. Hier ist die katholische Welt noch in Ordnung, wenn sonntags die Kirchenglocken zum Gottesdienst rufen. Die Kirche prägt die Stadt, nicht nur optisch. Das Erzbistum gilt als eines der reichsten der Welt – mit knapp fünf Milliarden Euro Vermögen macht es sogar zweistellige Millionengewinne.

Fast 1.000 Jahre lang hatte die katholische Kirche hier auch politisch das Sagen, erklärt der Stadtarchivar Wilhelm Grabe. Paderborn war ein katholischer Mini-Staat, regiert von Bischöfen mit eigenem Militär und eigener Justiz. Doch vor 220 Jahren war damit Schluss: 1803 wurde das Fürstbistum aufgelöst: Grund und Boden der Kirche wurden vom Reich enteignet.

Wilhelm Grabe, Leiter Stadt- und Kreisarchiv Paderborn

"Dieses Kloster wurde 1803 säkularisiert, das Abdinghofkloster, das gehörte zu den großen fundierten Männerklöstern, also zu den vermögenden Klöstern. Das Vermögen sind eingezogen worden."

Das alles liegt auch am französischen Kaiser Napoleon Bonaparte: Als er Anfang des 19. Jahrhunderts Gebiete links des Rheins annektierte, kompensierte das Reich die Verluste der Landesfürsten, indem es die Kirche enteignete und diesen Besitz den Landesfürsten zusprach.

Seitdem fließen jährlich Gelder als Entschädigung an die Kirchen – die deutschen Staaten, das Kaiserreich, die Weimarer Republik, der NS-Staat – sie alle haben stets weiter für die Enteignungen von 1803 gezahlt.

Und auch heute noch zahlen wir Steuerzahler Entschädigungen. Allein im vergangenen Jahr haben die evangelische und katholische Kirche so gut 600 Million Euro dieser sogenannten "Staatsleistungen" von den Bundesländern erhalten. Zusätzlich zur Kirchensteuer der Kirchenmitglieder.

Allein die Bundesrepublik hat seit 1949 umgerechnet mehr als 20 Milliarden Euro gezahlt, passt man die Kaufkraft an, sind es sogar gut 36 Milliarden Euro.

Dabei sollten die Zahlungen längst eingestellt worden sein.

Wir sind im Bundesarchiv und lassen uns das Original der Weimarer Reichsverfassung von 1919 zeigen. In Artikel 138 hielt man schon damals fest:

"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."

Heißt also: Damit die Staatsleistungen beendet werden können, muss eine Art Ablöse an die Kirchen fließen. Zahlen müssen die Länder. Das Gesetz dazu beschließt der Bund – als Rechtsnachfolger des Reichs. In Artikel 140 des Grundgesetzes steht, dass der Artikel aus der Weimarer Verfassung fortbesteht.

Jetzt, 104 Jahre später, will zum ersten Mal eine Bundesregierung diesen Verfassungsauftrag umsetzen - die Ablöse der Staatsleistungen steht im Koalitionsvertrag der Ampel.

Die Kirchen unterstützen dieses Vorhaben sogar. Staatsleistungen passen auch für sie nicht mehr in die Zeit, sagt die katholische Kirche.

Matthias Kopp, Deutsche Bischofskonferenz

"Wir haben natürlich gesellschaftlichen Druck, den wir spüren. Wir haben viele Skandale in unserer Kirche erlebt. Wir müssen uns zu Recht rechtfertigen. Und aufgrund dieses gesellschaftlichen Drucks können wir uns solchen Gesprächen gar nicht verweigern. Wir wollen aber eine Ablösung haben, die uns ermöglicht, das Bisherige, was wir mit den Staatsleistungen gemacht haben, auch fortführen zu können."

Benjamin Strasser, in der FDP-Bundestagsfraktion zuständig für Religionsfragen, hat einen Vorschlag für einen angemessenen Betrag an die Kirchen.

Benjamin Strasser (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär Bundesjustizministerium

"Das würde für die Länder insgesamt ungefähr eine Ablösesumme von circa 11 Milliarden Euro bedeuten. Das halten wir für fair, deshalb für angemessen. Diese Zahl ist nicht gegriffen, sondern sie stammt aus dem sogenannten Bewertungsgesetz, das auch die Bewertung von Immobilien regelt. Das ist ein Vorschlag, der auf dem Tisch liegt."

Die Länder müssten eigentlich auch für das Ende der Staatsleistungen sein. Mehr als 600 Millionen pro Jahr – Tendenz steigend – würden sie sparen. Doch fast alle sperren sich zurzeit. Auf Kontraste-Anfrage hieß es fast unisono: die Ablösezahlung sei derzeit nicht zu stemmen.

Jörg Mielke, Chef der Staatskanzlei Niedersachsen, koordiniert die Position der Länder in diesen Fragen.

Jörg Mielke (SPD), Chef der Staatskanzlei Niedersachsen

"Es gibt ja aus Weimarer Zeiten noch den Verfassungsauftrag, diese Ablösung zu betreiben. Von daher kann man da im Grundsatz gar nichts gegen sagen. Nur erhalten die Länder, die das ganze ja bezahlen müssen, den Zeitpunkt für falsch und halten das Thema nicht für prioritär, weil wir jede Menge andere Probleme finanziell zu lösen haben."

Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung treffen wir Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Erst wenn sein Haushalt entschuldet sei, könne man dieses Problem angehen, sagt er uns. Also einfach bis zum Sankt Nimmerleinstag weiterzahlen?

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident Baden-Württemberg

"Es ist schon in der Weimarer Republik nicht gelungen, steht jetzt schon seit Ewig im Grundgesetz – es hat seine Gründe. Sie müssen ja, während sie das machen, die Staatskirchenleistung weiterbezahlen."

Der Staatsrechtler Bodo Pieroth widerspricht. Eine Doppelzahlung wäre überhaupt nicht notwendig.

Prof. Bodo Pieroth, Staatsrechtler WWU Münster

"Beendigung heißt Beendigung. Dann muss eine Entschädigung gezahlt werden, aber nicht noch das, was zu beendigen ist, weitergezahlt wird."

Und auch die möglichen elf Milliarden müssten nicht auf einmal gezahlt werden. Davon erfahren wir auf dem Jahrestreffen der Deutschen Bischofskonferenz an diesem Montag in Berlin.

Die Prälatin der evangelischen Kirche, Anne Gidion ist auch vor Ort. Sie erklärt, die Kirchen würden auch Ratenzahlungen akzeptieren.

Anne Gidion, Prälatin Evangelische Kirche in Deutschland

"Man kann über Finanzmodelle nachdenken, die nicht über Einmalzahlungen reden, sondern über eine lange gestreckte Zeit, die verträglich ist und zugleich das erhält, was für alle wichtig ist."

Wesentlich wäre nur endlich einmal anzufangen mit der Zahlung der Ablöse. Denn mit jedem Jahr, das verstreicht, wird es teurer für die Steuerzahler, erklärt Markus Kasseckert vom Deutschen Steuerzahlerinstitut.

Markus Kasseckert, Deutsches Steuerzahlerinstitut

"Das liegt im Wesentlichen daran, dass ein großer Teil der Staatsleistungen die sogenannten Dotationen ausmachen. Das ist also die Besoldung der Pfarrer und Geistlichkeit. Und diese Besoldung, die ist an das Beamtenbesoldungsrecht gekoppelt, und das ist wiederum ja dann inflationsindexiert, mit jährlichen Steigerungsraten versehen und immer, wenn also die Beamtengehälter steigen, steigen dann auch die Staatsleistungen an die Kirchen."

Mehr als 100 Jahre hat sich die Politik gedrückt. Und jetzt, wo Bund und Kirchen offenbar bereit wären, droht es an den Ländern zu scheitern. Sie wollen lieber einfach immer weiterzahlen – jedes Jahr Hunderte Millionen – anstatt einmal in den sauren Apfel zu beißen. Ein fragwürdiger Umgang mit Steuergeldern.

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Kontraste-Logo + DGS (Quelle: rbb)

Kontraste vom 07.09.2023 (mit Gebärdensprache)

+++ Die Causa Aiwanger: Eine Zäsur für die politische Kultur +++ Nazi-Netzwerk: Ein österreichischer Waffendealer und die Spuren nach Deutschland +++ Staatsleistungen: Streit um Steuermillionen für die Kirchen +++ Moderation Eva-Maria Lemke