Landrat Olaf von Löwis (CSU). Bild: Florian Peljak
Florian Peljak
Bild: Florian Peljak

Zwischen Asyl- und Porscheangst - Der Fall "Landrat von Löwis"

Der CSU-Landrat Olaf von Löwis musste nur das Grundgesetzt zitieren "Die Würde des Menschen ist unantastbar" – und wurde ausgebuht. Es ging um die Unterbringung von Flüchtlingen, auf einer Bürgerversammlung bei Miesbach. Der Landrat musste von der Polizei in Sicherheit gebracht werden. Er habe gezittert, sagt er. Doch wie konnte die Situation so eskalieren? Kontraste hat mit Dorfbewohnern gesprochen. Die Angst der Menschen reicht von sachlicher Kritik bis zur Sorge um den eigenen Porsche. Manche fühlen sich zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt. Kontraste-Recherchen zeigen: Die Veranstaltung wurde wohl auch bewusst von Rechtsradikalen unterwandert.
 
Beitrag von Anne Grandjean und Markus Pohl

Anmoderation: Das, oder besser: Er hat mächtig Gegenwind bekommen. Einfach nur, weil er deutlich sagte, dass er Geflüchtete nicht mehr länger in Turnhallen unterbingen und eine dauerhafte Bleibe schaffen wollte.

Olaf von Löwis of Menar (CSU), Landrat Miesbach

"Bei den Menschen in den Turnhallen handelt es sich nicht um Verbrecher. Sind Sie da vielleicht anderer Meinung? Ja wo sind wir denn? Die haben doch nichts verbrochen, die sind geflohen, das sind Menschen! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Anmoderation: Das hatte ein Nachspiel: Olaf von Löwis, der oberbayrische Landrat, der es wagte, das Grundgesetz zu zitieren und von Geflüchteten als "Menschen" zu sprechen musste an diesem Abend von der Polizei geschützt werden - was ist da los in Oberbayern - rund um den Tegernsee wo die Geldsorgen gemeinhin klein und die Aussichten großartig sind: Wovor haben die Menschen dort solche Angst - beziehungsweise: wer macht sie ihnen? Anne Grandjean und Markus Pohl.

Warngau im Landkreis Miesbach: eine Idylle im Alpenvorland Oberbayerns. Doch die wird derzeit empfindlich gestört.

Anfang Februar: Hunderte von aufgebrachten Menschen vor dem örtlichen Gasthof. Drinnen, im vollbesetzen Saal, eine Bürgerversammlung, bei der sich der Zorn schon zu Beginn entlädt.

"Begrüßen darf ich zunächst ganz herzlich unseren Landrat, Olaf von Löwis."

Pfiffe für den Landrat, denn der will auf dieser Wiese am Rand der Gemeinde ein Containerdorf für Asylbewerber errichten. Bis zu 500 Flüchtlinge sollen hier unterkommen.

Die sind bislang in drei Turnhallen im Landkreis untergebracht. Die Zustände sind unhaltbar, und die Hallen werden dringend gebraucht.

Viele Warngauer aber sind empört. Ihre Gemeinde hat nicht einmal 4.000 Einwohner. Der Landrat liest eingereichte Fragen vor:

"Gibt es Schließzeiten, Abwesenheitszeiten? Können die Bewohner die Anlage nach freier Entscheidung verlassen? Das ist kein Gefängnis, natürlich können die das frei verlassen. Ja, wo sind wir denn! Die haben doch nichts verbrochen, die sind geflohen, das sind Menschen!"

"Die Würde des Menschen ist unantastbar, die Würde des Menschen ist unantastbar!"

Buh-Rufe für das Grundgesetz. Die Security bringt den Landrat schließlich über den Hinterausgang zu einem Polizeiauto.

Olaf von Löwis of Menar (CSU), Landrat Miesbach

"Als ich dann in das Polizeifahrzeug eingestiegen bin, haben die Menschen, die da draußen gewartet haben, zugehört haben, das wohl mitbekommen und sind dann sehr aufgebracht auf das Auto los. Und vor allem waren da auch Traktoren, die auf dieses Polizeiauto sehr forsch losfahren wollten. Und ich hatte da in dem Moment schon ein bisschen Sorge, dass da irgendwas jetzt eskalieren könnte, aber ist dann doch einigermaßen gut gegangen."

Was ist da los in Warngau, in einer der wohlhabendsten Gegenden Bayerns? Dass ein konservativer CSU-Landrat vor der eigenen Bevölkerung in Sicherheit gebracht wird?

Dass die Republik jetzt über die Bürgerversammlung diskutiert, liegt in gewisser Weise an ihr: Alexandra Motschmann hat das Video ins Netz gestellt.

Gleich zu Beginn der Fragerunde machte Motschmann als Allererste ihrem Ärger über die Asyl-Pläne Luft. Und stellte sich zum Schluss ihrer Rede so vor:

"Mein Name ist Alexandra Motschmann, die Basis, Werteunion und AfD."

Die Bürger-Versammlung – ein Tribunal von Rechtsaußen-Parteien? Der Ton war gesetzt, auch wenn Motschmann sagt, dass sei nicht ihre Absicht gewesen.

Alexandra Motschmann

"Ich wollte sagen, dass es eben vollkommen egal ist, welche Partei es ist. Dass es um die Menschen geht."

Kontraste

"Okay, nee, das kam so nicht rüber, glaube ich."

Alexandra Motschmann

"Ja, das glaube ich auch nicht, dass das rüberkam."

Kontraste

"Also die Leute haben halt gedacht, sie sind von der AfD. Und von der Werteunion sind sie auch noch."

Alexandra Motschmann

"Haha, ja genau. Und bei der Basis, wo ich wirklich bin."

Für die Querdenker-Partei "Die Basis" kandidierte Motschmann vergeblich für den Bundestag. Jetzt engagiert sie sich auch in der Migrationspolitik. Mit 500 Flüchtlingen sei Warngau schlicht überfordert.

Alexandra Motschmann

"Wir haben hier schon wahnsinnig viele Menschen aufgenommen. Also wirklich. Und viele von meinen Bekannten hier haben bei sich zu Hause ... Deswegen habe ich ja gesagt, ich nehme gerne welche bei mir unten auf, in meinem Souterrain. Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich möchte kein L.A. in Deutschland haben. Oder San Francisco, wo die Menschen auf der Straße schlafen. Das möchte ich nicht."

Die Ängste in Warngau sind groß. Auch bei Cornelia Kranz. Sorgen macht der Schreibwarenhändlerin vor allem, dass 80 Prozent der Flüchtlinge, die kommen werden, Männer sind. So hat es der Landrat angekündigt.

Cornelia Kranz, Schreibwarenhändlerin

"Diese Flüchtlinge gehen in den nächstgrößeren Ort nach Holzkirchen. Meine Tochter geht da zur Schule. Da gehen viele junge Mädchen auch hier vom Ort zur Schule. Ich denke, wir haben alle unsere Kinder so erzogen, dass sie ein selbstbestimmtes, freies Leben führen können, sollen, dürfen. Aber man hat als Mama hat man Angst."

Ganz ähnlich geht es Ursula Sigl. Solche Sorgen habe Landrat von Löwis in der Bürgerversammlung aber einfach abgetan:

Ursula Sigl

"Das sind keine Schwerverbrecher, das wissen wir auch. Diese Aussage vom Löwis, das war so impulsiv und, und… Aber die Gefahren sind da. Und in solchen Massenunterkünften schwelt das halt mehr. Und ich sage: Auch wenn es keine Straftäter sind, oft werden sie es in solchen Unterkünften halt."

Dass die Großunterkunft im kleinen Warngau nicht optimal ist, gesteht auch der Landrat zu. Es sei eine vorübergehende Notlösung. Aber von Löwis übt auch Selbstkritik.

Olaf von Löwis of Menar (CSU), Landrat Miesbach

"Vielleicht habe ich tatsächlich nicht genug überzeugend rübergebracht, dass ich die Sorgen ernst nehme. Natürlich nehme ich die Sorgen ernst. Ich war wirklich darum bemüht, den Menschen glaubhaft zu versichern, dass wir alles tun würden, alles tun werden, um die Flüchtlinge dort anständig unterzubringen, dass sozusagen das Aggressionspotenzial sehr niedrig ist, wir alles tun werden mit entsprechender Security, Betreuung, soziale Betreuung und so weiter."

Von Löwis verweist auf sein Dilemma: Er muss die Flüchtlinge unterbringen, hat aber kein Recht, sie den Gemeinden im Landkreis zuzuweisen.

Nur die Fläche in Warngau könne derzeit Entlastung bringen:

Olaf von Löwis of Menar (CSU), Landrat Miesbach

"Die gehört unserem Landkreis und daher können wir, ohne betteln zu müssen, ohne argumentieren zu müssen, auf diese Fläche zugreifen. Leider keine Alternative. Ich hätte es gerne anders gemacht."

Dass es in Warngau Protest geben würde, war absehbar. Zur Wahrheit gehört aber auch: Weit über den Ort hinaus wurde zu einer Art Abrechnung mobilisiert. In der What´s-App-Gruppe "Miesbach im Widerstand" etwa riefen Aktivisten auf, nach Warngau zu kommen

"Das muss medienwirksam sein, da darf nichts mehr vorwärts und nichts mehr rückwärts gehen!"

In der Region hingen im Vorfeld Plakate: ein vollgepacktes Flüchtlingsboot, das das Ortsschild von Warngau zerreißt. Daneben die Botschaft. "Es reicht endgültig!"

Auf dem Video von der Versammlung fällt uns ein Mann auf, der die Stimmung besonders anheizt und Landrat von Löwis aggressiv angeht.

"Da müssen Sie den Arsch in der Hose haben und hinaufgehen und denen sagen, so machen wir nicht weiter!"

Der Mann, der großen Applaus erhält, trägt einen Pullover des Neonazi-Kampfsport-Events "Kampf der Nibelungen". Bei unseren Recherchen finden wir heraus: Er hat mehrfach an Aufmärschen der rechtsextremen Szene teilgenommen.

2019 demonstrierte er etwa für die Freilassung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck. Auf unsere Anfrage hin schreibt er uns:

"Zu meiner Vergangenheit werde ich mich hier nicht äußern, da dies nichts mit dem Thema der Bürgerversammlung zu tun hat."

Wurde der Protest also von Rechts gekapert? Ein Verdacht, der auch ihn trifft: Andreas Winhart, AfD-Landtagsabgeordneter. Er ist aus Bad Aibling, nicht aus Warngau, saß aber trotzdem mit Parteifreunden mitten im Saal und twitterte das unter der Überschrift: "AfD wirkt".

Winhart hat beim Thema Flüchtlinge einen Ruf: 2018 sorgte er für einen Eklat, als er im Wahlkampf vor der Ausbreitung von Krätze und TBC warnte:

Andreas Winhart (AfD), Landtagsabgeordneter Bayern (2018)

"Diese Krankkeiten habe ich hier im Landkreis seit Jahren nicht mehr gesehen gehabt. Ich möchte wissen, wenn mich in der Nachbarschaft ein Neger anküsst oder anhustet, dann muss ich wissen, ist der krank oder ist der nicht krank, liebe Freunde."

Heute würde er sich so nicht mehr äußern, sagt Winhart. In Warngau vermied er allzu scharfe Töne. Stattdessen riet er der Gemeinde, ihren Bebauungsplan zu ändern, um so die geplante Unterkunft vielleicht noch zu verhindern. Blockadeversuche statt Lösungen.

Andreas Winhart (AfD), Landtagsabgeordneter Bayern

"Die Flüchtlinge sollen dorthin, wo entsprechende Ressourcen sind. Und wenn hier im Raum Miesbach keine Ressourcen sind, dann geht es hier nicht."

Überall, nur nicht hier! So ähnlich klingt das auch beim Sportwagenhändler Peter Oblak, der sein Geschäft in Sichtweite der geplanten Unterkunft hat. Er betont:

Peter Oblak, Sportwagen-Händler: "Dass wir ein Stück weit Bedenken haben im Hinblick auf Sachbeschädigungen oder dass hier vermehrt Leute herumlungern. Das darf nicht abwertend klingen, aber es sind Bedenken."

Die brachte er auch im Saal zur Sprache:

"Es sind sehr hochwertige Fahrzeuge, ja, viele Fahrzeuge der Marke Porsche. Wert zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Wenn so ein Fahrzeug mal draußen steht, was ist, wenn dort Beschädigungen sind? Man will ja keinem was unterstellen, aber wer haftet hier?"

Kontraste

"Das sind Menschen, die fliehen vor Krieg und Vertreibung. Empfinden Sie das nicht auch potenziell als kaltherzig, wenn man diese beiden Probleme gegenüberstellt?"

Peter Oblak, Sportwagen-Händler

"Ähm. Nee, das sehe ich definitiv nicht so, denn ich glaube, dieses Land leistet seit vielen, vielen Jahren oder seit weit über zehn Jahren einen sehr, sehr großen Beitrag."

Nicht wenige in Warngau aber sind erschrocken, was bei der Bürgerversammlung alles zutage kam. Montagabend im Gemeindehaus: Treffen der neu gegründeten Initiative "Warngau ist menschlich".

Lena Prieger, "Warngau ist menschlich"

"Es gibt, glaube ich, kaum jemanden im Dorf, der sagt: Hurra, das ist eine ganz tolle Idee, an diesem Standort 500 Menschen unterzubringen. Aber die Art und Weise, wie darüber diskutiert wird, es muss ohne Hetze möglich sein, es muss ohne Aggression möglich sein."

Miteinander reden wollen sie hier – und bei der Integration der Flüchtlinge mit anpacken.

Winfried Dresel, Landarzt

"Meine Hoffnung ist, dass es sich relativ spannungsfrei umsetzen lässt und dass man im Rahmen von Ehrenamt und Helferkreis das auch einigermaßen menschlich gestalten kann. Ob's so wird?"

Eine skeptische Bevölkerung, überforderte Kommunen und rechtsradikale Kräfte, die sich das zunutze machen – wie in einem Brennglas zeigen sich in Warngau die Probleme der aktuellen Flüchtlingspolitik.

weitere Themen der Sendung

SWAT-Team in Atlanta (USA). Bild: Msgt. Roger Parsons/National Gua
Msgt. Roger Parsons/National Gua

Falsche Meldungen - "Swatting": Wer die Polizei seit Jahren zu Unschuldigen schickt

Sie melden eine Messerstecherei, ein Gasleck oder sogar eine Bombe: Immer wieder gehen bei der Polizei falsche Notrufe ein. Die Täter wollen ihren Opfern die Polizei nach Hause schicken; "Swatting" nennt man das. Wie gefährlich diese Attacken sein können, zeigt sich in den USA: Mehrere Menschen sind dort dabei gestorben. Auch in Deutschland scheinen die Fälle seit Jahren zuzunehmen. Häufig richten sich die Angriffe gegen Menschen, die im Netz live streamen, die Täter sitzen zu Hause vor dem Bildschirm und schauen zu. In einer gemeinsamen Recherche mit dem „Spiegel“ geht Kontraste der Frage nach: Wer sind diejenigen, die die Polizei als Waffe einsetzen?

Beitrag von Daniel Laufer