Junge Frau konsumiert Cannabis. Bild: Andy Rain/EPA
EPA/Andy Rain
Bild: EPA/Andy Rain

- Steuert Deutschland ins Cannabis-Chaos?

Schon sehr bald, ab dem 1. April, sollen Anbau und Besitz von Cannabis in Deutschland unter bestimmten Umständen erlaubt sein. Für die geschätzt 4,5 Millionen erwachsenen "Kiffer" in Deutschland endet damit die Angst vor Strafverfolgung. Polizei und Justiz können sich auf die Dealer konzentrieren, so ein Gedanke hinter der neuen Regelung.
 
Doch viele Bundesländer laufen dagegen Sturm, sie drohen das Cannabis-Gesetz im Bundesrat zu blockieren – aus generellen Bedenken, aber auch weil zehntausende Strafverfahren für Cannabisdelikte überprüft werden müssen – ein immenser Aufwand für die Justiz. Auch langfristig würden die Ermittlungsbehörden nicht entlastet, sagen Kritiker, denn das Gesetz sei viel zu kleinteilig. So müsste die Polizei eigentlich bei jedem öffentlich gerauchten Joint nachmessen, ob der Mindestabstand von 100 Metern zu Kitas, Schulen, Jugendzentren und Spielplätzen eingehalten worden ist.
 
Eine Kontraste-Abfrage unter den Bundesländern zeigt zudem: Vielerorts ist noch völlig unklar, wer sich um die Genehmigungen und Kontrollen der Cannabisvereine kümmern soll. Deutschland zwischen der Hoffnung auf große Kiffer-Freiheit und drohendem Cannabis-Chaos.
 
Beitrag von Susett Kleine und Carla Spangenberg

Anmoderation: Zwei Jahre schon wächst es heran: Das Cannabis-Gesetz. Nun soll es wirklich kommen - und nicht wenige der 4,5 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die Cannabis konsumieren, dürfte das freuen - aber: Das Gesetz hat so viele Runden gedreht, dass von der anfänglichen Idee vom frei verkäuflichen Cannabis nicht mehr viel übrig ist ... und obwohl es eigentlich am 1. April in Kraft treten soll - ist noch erstaunlich unklar, zum Beispiel wer eigentlich den Grasanbau und -konsum kontrollieren soll. Es droht ein regelrechtes Cannabis-Chaos.

Netzwerktreffen der Gras-Enthusiasten im Norden Deutschlands.

"Hi Alex, Moin, Moin, Dominik. Ich bin froh, dass ihr hier seid, um auch euer Gesicht zu zeigen."

"Wir sind die Mitte der Gesellschaft."

Sie alle hier wollen künftig in Vereinen Gras anbauen.

Andreas Gerhold ist erster Vorsitzender seines Vereins Cannabis Social Club Hamburg. Er hat eingeladen, um sich mit Gleichgesinnten auf den Tag vorzubereiten, an dem es endlich da ist: Das neue Cannabisgesetz.

Andreas Gerhold, Cannabis Social Club Hamburg

"Wir stellen uns vor wie weit sind wir mit unseren Projekten? Wer hat schon Anbaumöglichkeiten?"

Mit dem Gesetz soll Cannabis als Genussmittel entkriminalisiert und teillegalisiert werden. Das heißt In Zukunft dürfen sogenannte Anbauvereinigungen gemeinschaftlich Cannabis anbauen und bis zu 50 Gramm pro Monat an ihre Mitglieder abgeben.

Der Verkauf bleibt jedoch verboten.

Die Anbau-Interessierten müssen das kleinteilige Gesetz nun genau studieren. Wie das beste Gras entsteht – das wissen sie längst.

Alexander Morlang, Hanseatische Hanf GmbH

"Und da wirst du dann plötzlich zu dem Cannasseur der sagt, das ist ein Jahrgang, der war ein bisschen verregneter, da kommt das Zitrusaroma nicht ganz so gut durch."

Sie wollen Kiffen aus der Schmuddelecke holen.

"Jetzt musst du noch einmal demonstrativ Bong rauchen."

Andreas Gerhold

"Das ist hat nichts mit demonstrativ zu tun, sondern es hat tatsächlich damit zu tun, dass ich jetzt mal in der ganzen Hektik jetzt ein bisschen runterkommen muss."

Cannabis kann positive Effekte haben, sagt Suchtforscher Jakob Manthey, doch die Menge könne zum Problem werden:

Jakob Manthey, Suchtforscher Universität Hamburg

"Wenn die Dosis nicht angemessen ist, dann kann es passieren, dass Sie zum Beispiel Angstzustände erleben. Psychosen oder tatsächlich das Auslösen einer Depression oder Angststörung ist möglich, aber relativ unwahrscheinlich."

Das Gesetz hat eine große Debatte angestoßen: Wie gefährlich ist Gras verglichen mit anderen Suchtmitteln?

Jakob Manthey, Suchtforscher Universität Hamburg

"Am meisten Personen sterben in Deutschland durch den Konsum von Tabak. Gefolgt ist Alkohol. Und ganz am Ende liegt Cannabis. Die wenigen Menschen sterben in der Regel, weil sie sich bekifft ins Auto setzen."

Die Cannabis-Legalisierung war ein großes Wahlversprechen der Ampel und ein Prestige Projekt von Gesundheitsminister Lauterbach.

Die Union ist strikt dagegen, vor allem wegen der gesundheitlichen Gefahren, so auch der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger. Doppelmoral meint FDP-Politiker Mordhorst:

Max Mordhorst (FDP), Bundestagsabgeordneter

"Stephan Pilsinger, CSU-Kandidat hat sich für seinen Wahlkampf vom Giesinger Bräu ein eignes Pils brauen lassen. Man muss sich auch mal was gönnen, schließlich lebt man nur einmal."

Stephan Pilsinger (CSU), Bundestagsabgeordneter

"Herr Mordhorst, das ist doch kein Argument zu sagen: Wir haben da zwei gefährliche Drogen vor allem für Kinder und Jugendliche und deswegen brauchen wir eine weitere Droge."

Die Bundesregierung argumentiert: Das Gesetz wolle Jugendliche schützen: Mitglieder in den Anbauvereinigungen müssen mindestens 18 Jahre alt sein und dürfen unter 21 nur eine geringere Menge Gras mit weniger THC-Gehalt beziehen.

Suchtforscher Manthey rät jungen Menschen vom Konsum ab, solange das Gehirn nicht vollständig entwickelt ist.

Jakob Manthey, Suchtforscher Universität Hamburg

"Wenn Sie jugendlich sind und anfangen, Cannabis zu konsumieren, dann haben Sie ein höheres Risiko, zum Beispiel den die Schule gar nicht zu schaffen. Und das liegt unter anderem damit hängt damit zusammen, dass Sie auch Ihr Gehirn möglicherweise permanent schädigen."

Eine Jugendschutz-Regel im Gesetz soll sogar mit bis zu 30.000 Euro geahndet werden, wenn man sich nicht daranhält. Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband zeigt sie uns.

"1,2,3,4......"

Wer Gras raucht, muss Abstand halten, zu Gebäuden wie Schulen und Kitas.

"...97, 98, 99, 100 Meter nach meiner Schrittlänge. Hier ist die Legalitätsgrenze. Da darf ich konsumieren, hier darf ich nicht konsumieren! Macht das Sinn?"

Die sogenannte "Bubatzkarte" eines Koblenzer Softwareentwicklers zeigt: Dicht besiedelte Großstädte wie Berlin werden damit großflächig zur knallroten Kifferverbotszone.

Wohl kaum einer wünscht sich Cannabis-Konsum vor Schulen. Das Gras aber freigeben und draußen nur sehr eingeschränkt rauchen dürfen - für Georg Wurth:

Georg Wurth, Deutscher Hanfverband

"Vollkommen unsinnig! Vor allen Dingen auch, weil eine Ungleichbehandlung zum Beispiel zu Tabakrauchen überhaupt nicht gerechtfertigt ist."

Und dennoch: dieses Gesetz sei besser als gar kein Gesetz für die Konsumenten.

Georg Wurth, Deutscher Hanfverband

"Umgekehrt ist es auch wiederum ein sehr großer Schritt im internationalen Vergleich, wirklich ein Friedensangebot. Auch ist an die Cannabiskonsumenten, dass sie nicht mehr staatlich verfolgt werden."

In Berlin Kreuzberg und Neukölln, wo vielerorts schon lange offen konsumiert wird, hoffen alle, die wir gefragt haben, auf das Gesetz. Egal ob Kiffer oder nicht.

Anna Jürgens

"Ich glaube, es ist sehr wichtig, weil, ähm, dann so Racial Profiling zum Beispiel nicht mehr unter dem Vorsatz von Drogenkontrollen stattfinden kann."

Gigi Gonzales

"Auf jeden Fall, dass ich nicht mehr Angst vor der Polizei haben muss."

Hans Herrmann

"Super. Endlich. Ist ja unglaublich. Äh, seit 1.000 Jahren. Alle kiffen und es illegal."

Cannabis - über Jahrhunderte wird seine heilende Wirkung gefeiert.

Erst vor fast 100 Jahren war Schluss. Der Handel mit indischem Hanf wurde verboten.

In den 60ern feiern die Hippies das Kraut trotz Verbot. Für sie ein Zeichen von Freiheit und Frieden.

Erst seit 2017 gibt es medizinisches Cannabis in Deutschland auf Rezept.

Mit dem neuen Gesetz soll es nun als Genussmittel teillegalisiert werden.

Doch ob es am 1. April wirklich losgeht, ist völlig unklar. Am 22. März könnte der Bundesrat das Gesetzt hinauszögern. In dessen Ausschüssen regt sich Widerstand.

Denn das Gesetz sieht vor, nicht vollständig vollstreckte Strafen für Cannabisdelikte zu erlassen, die dann nicht mehr strafbar wären. Dagegen laufen die Justizminister der Länder Sturm. Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg.

Felor Badenberg (parteilos), Justizsenatorin Berlin

"Wir reden hier in Berlin von mehreren Tausend Verfahren. Da muss man schauen, ist derjenige im Gefängnis, da muss er möglicherweise sofort entlassen werden. Stand nur der Vorwurf des Cannabisbesitzes im Raum oder standen auch andere Straftaten im Raum, wie beispielsweise Diebstahl, Untreue, Hehlerei. Da muss eine neue Strafe festgesetzt werden."

Andreas Gerhold, Cannabis Social Club Hamburg

"Aber es kann doch bitteschön in einem Rechtsstaat nicht wirklich Aussage von Juristen sein, dass es ihnen zu viel Arbeit macht, Strafen auszusetzen, die nicht mehr gewollt sind und die politisch als ungerecht erkannt worden sind. Und wo es eine Gesetzesänderung gegeben hat."

Die Bundesregierung wollte die Behörden mit dem Gesetz eigentlich entlasten.

Auf Kontraste-Anfrage erklären die Justizministerien aller Länder nun, dass sie zunächst von mehr Aufwand ausgehen.

Sieben erwarten auch eine langfristige Mehrbelastung, acht können es noch nicht abschätzen, nur Bremen rechnet mit einer Entlastung.

Felor Badenberg (parteilos), Justizsenatorin Berlin

"Mit diesem Gesetz wird ein riesen Bürokratiemonster geschaffen, das die Justiz alleine zu bewältigen hat."

Bis Ende März soll eine weitere Entscheidung getroffen werden: der Umgang mit Cannabis im Straßenverkehr. Derzeit liegt der THC-Grenzwert vergleichsweise niedrig bei 0,5 Nanogramm. Das Verkehrsministerium soll nun einen angepassten Grenzwert vorschlagen.

Andreas Gerhold kann hier das Gras vor seinem inneren Auge schon wachsen sehen – in zwei großen Gewächshäusern und auf insgesamt 1.600 Quadratmetern Fläche in Schleswig-Holstein.

"Wie sieht das hier aus? Mit Strom und mit Wasser?"

Alexander Morlang, Hanseatische Hanf GmbH

"Also wir haben drei Brunnen und einen Wasseranschluss an die Straße. Wir haben Strom. Die Gärtnerei hat einen eigenen Mittelspannungsanschluss. Wir müssen also irgendwo im Bereich 2,5 bis 5 Megawatt verfügbar haben."

Wenn alles klappt, sollen hier einmal Kilos an Gras für hunderte Vereinsmitglieder wachsen. Eine Lizenz, um hier anzubauen, kann Andreas Gerhold allerdings noch nicht beantragen. Dafür sind laut Gesetz die Länder zuständig.

Auf Kontraste-Anfrage kann keine einzige Landesregierung mitteilen, welche Stelle mit Lizenzvergabe und Kontrolle der Anbauvereinigungen betraut sein wird. Flickenteppich vorprogrammiert.

Andreas Gerhold muss sich noch mit einer anderen Vorgabe rumschlagen: Alle Mitglieder müssen aktiv am Anbau beteiligt werden, um Cannabis beziehen zu dürfen.

Andreas Gerhold, Cannabis Social Club Hamburg

"Es können nicht bis zu 500 Mitglieder alle im Anbau beteiligt sein. Wir haben unter unseren Mitgliedern auch ältere Menschen. Wir haben auch kranke Menschen, Wir haben behinderte Menschen. Wie soll das zum Teufel funktionieren?"

Was Andreas Gerhold noch in groß sucht, verkauft Constantin Otto schon längst in klein. Ein Gewächshaus für zuhause.

Denn neben den Anbauvereinigungen ist laut geplantem Gesetz auch der Eigenanbau zuhause erlaubt. Drei Cannabispflanzen darf jeder ab 18 zuhause hochziehen und maximal 50 Gramm getrocknetes Cannabis besitzen.

Und genau dafür kaufen schon jetzt viele Kunden Equipment: Seit dem Bundestagsbeschluss boomt Ottos Onlineshop für Pflanzen-Anbau:

Constantin Otto, Geschäftsführer GrowMart

"Direkt am Freitag, dem 23.Februar, ging das schon ab Mittag total ab. Und anders als bei zum Beispiel Black Friday hat sich das Niveau halt bis heute so gehalten."

Bisher wuchs sein Unternehmen organisch. Doch dieses Jahr wird sich sein Umsatz wohl mit einem Mal verdoppeln: Auf rund 20 Millionen Euro!

weitere Themen der Sendung

Bild: dpa
dpa

Showdown in Münster - "AfD gegen die Bundesrepublik Deutschland"

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hegt einen schlimmen Verdacht: Ist die AfD rechtsextrem? Vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster kommt es diese Woche zum Showdown zwischen AfD und Bundesamt. Das Urteil wird eigentlich für diesen Mittwoch erwartet, doch Prozessbeobachter meinen, eine Verschleppungstaktik der AfD-Anwälte zu erkennen, zudem entwickelt sich der Prozess zu einer Materialschlacht mit tausenden Seiten Gutachten.

Viel hängt vom Urteil der Richter ab: Darf der Verfassungsschutz die AfD als Partei nachrichtendienstlich beobachten? Wird die AfD nach einem für sie negativen Urteil womöglich als "gesichert rechtsextrem" eingestuft – ausgerechnet im Jahr von drei Landtagswahlen und der Europawahl, in denen sich die Partei gute Chancen ausrechnen darf? Steht am Ende ein AfD-Verbot?

Der Verfassungsschutz sammelt seit Jahren Material über die Partei. Zentrale Punkte für den Extremismus-Verdacht des Inlandsgeheimdienstes: "Völkischer Nationalismus", "Verletzung der Menschenwürde" oder "Umsturzfantasien" – und eben nicht mehr nur bei Björn Höcke, sondern auch bei anderen entscheidenden Personen der Partei, wie Kontraste-Recherchen zeigen. Hinzu kommt: Die Verbindungen der Partei zu dem als erwiesen extremistisch eingestuften Magazin "Compact" sind offenbar enger als bislang bekannt.

Beitrag von Andrea Becker, Silvio Duwe, Chris Humbs und Markus Pohl

Björn Höcke, Vorsitzender der AfD in Thüringen spricht bei einer Kundgebung gegen die Energiepolitik der Bundesregierung und gegen Coronamaßnahmen. Bild: Bodo Schachow/dpa
dpa/Bodo Schackow

AfD prüft juristische Schritte gegen "Compact"-Magazin

Das rechtsextreme "Compact"-Magazin will die AfD im kommenden Wahlkampf unterstützen. Unter dem Titel "Die blaue Welle rollt” sind bislang zehn Veranstaltungen geplant. Bei den als "Volksfeste" beschriebenen Kundgebungen sollen auch führende AfD-Politiker auftreten. Doch nach Kontraste-Recherchen möchte die AfD damit offenbar nicht in Zusammenhang gebracht werden. Sie prüft nun juristische Schritte gegen Compact. Auch mit einem silbernen Höcke-Taler, der über Compact vertrieben wird, habe die AfD nichts zu tun, heißt es, ebenso mit einer Postkarte, die mit einem Bild von Alice Weidel wirbt.

Beitrag von Pune Djalilevand, Silvio Duwe und Chris Humbs