Arzt in der Praxis (Quelle: rbb)

- Das Geschäft mit der Angst – Kassenärzte zocken Patienten ab

Kostensenkung und Budgetierung im Gesundheitswesen sollen zur Stabilisierung der Kosten der gesetzlichen Krankenkassen beitragen. Um ihren Einkommensverlust auszugleichen, zwingen immer mehr Ärzte ihren Patienten teure Extra-Leistungen auf, die privat bezahlt werden müssen und deren zusätzlicher Nutzen in Frage steht. Über die miesen Tricks der Geschäftemacher im weißen Kittel berichten Ursel Sieber und Andrea Böll.

Und wissen Sie was eine Fluoreszenz-Zystokopie ist? Sollten Sie aber. Wenn Sie demnächst zum Arzt gehen, könnte es sein, dass er oder sie Sie fragt, ob es nicht noch ein bisschen mehr sein darf. Eine Blutuntersuchung, ohne, dass Sie genau wissen, wofür die gut sein soll; noch n’ Ultraschall, obwohl Sie keine Beschwerden haben, oder vielleicht 'nen Sonocheck. Manche Ärzte, das zeigen Ihnen Andrea Böll und Ursel Sieber, haben richtig gute Geschäftsideen entwickelt, um profitabler zu arbeiten. Das heißt, von Ihnen zu kassieren!

Normena Struß sollte für eine Operation am Auge privat bezahlen: direkt über ihrem Augenlid wucherte eine Zyste, etwa zwei cm groß. Die Geschwulst verdeckte ihr schließlich sogar die Sicht. Überraschend die Diagnose des Facharztes:

Normena Struß, Patientin
„Er hat sich das ganz kurz angeschaut, über seinen Schreibtisch hinweg, und hat mir sehr schnell, sehr eindeutig erklärt, das ist eine Schönheitsoperation. Und das war für mich ein Schock.“

250 Euro sollte sie für den Eingriff bezahlen. Dabei handelte es sich eindeutig um eine Kassenleistung. Eine Dreistigkeit fand ihr Hausarzt, der sie an den Facharzt überwiesen hatte.

Dr. med. Wilhelm Breitenbürger, Facharzt für Allgemeinmedizin
„Kann ich überhaupt nicht verstehen, deswegen habe ich mich auch so geärgert und bin eigentlich sauer, dass Ärzte sich so was leisten, dass sie eine Kassenleistung privat abrechnen wollen und letztlich die Patienten übers Ohr hauen.“

Sie bekam eine neue Überweisung, an einen anderen Facharzt. Und wieder sollte sie zahlen.

Normena Struß, Patientin
„Da wurde mir am Telefon gesagt, das sei eine so genannte Igel-Behandlung, da hab ich zum erst einmal das Wort IGEL gehört, ich wusste gar nicht, was das ist.“

Der IGEL in der Arztpraxis? Natürlich nicht das nette Tier persönlich - IGEL ist eine Abkürzung für: Individuelle Gesundheitsleistungen. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen sie nicht. Für Ärzte eine Chance, ihr Honorar aufzubessern. Am liebsten werden diese Angebote Gesunden und Gutverdienenden gemacht. Ein florierender Markt. Immer mehr Versicherte fallen darauf herein.

Klaus Zok, Wissenschaftliches Institut der AOK
„Wir haben in Versichertenbefragungen festgestellt, dass aktuell rund jeder vierte Patient mittlerweile zusätzliche Leistungen gegen Bares angeboten bekommt. Vor einigen Jahren war es noch rund jeder Zehnte.“

Für manchen Arzt ist die Verlockung zum Zuverdienst groß: Normena Struß wollten Ärzte sogar eine Kassenleistung als Igel-Leistung verkaufen. Rechtswidrig.

Normena Struß, Patientin
„Wenn ich nicht so trotzig gewesen wäre, hätte ich da 250 Euro unter Umständen auf den Tisch gelegt, kein Hahn hätte mehr danach gekräht, ich wäre’ froh gewesen, dass alles in Ordnung ist und hätte es aber selber zahlen müssen und wäre eigentlich nie dahinter gekommen, dass ich in keinster Weise dazu verpflichtet bin, das selber zu übernehmen, sondern dass es einfach eine Kassenleistung ist, die mir eigentlich ein Arzt verweigert hat.“

Umsatz mit IGEL-Leistungen. Patienten wird immer häufiger suggeriert: Der Kassenpatient ist unterversorgt - Gesundheit gibt es nur gegen Bares.

Das erlebte Heloise Gruber. Als sie zur Schwangerenvorsorge geht, bekommt sie zuerst eine Liste mit IGEL-Leistungen in die Hand gedrückt. Gleichzeitig soll sie sich verpflichten, die Praxisgebühr zu zahlen. Davon ist sie als Schwangere eigentlich befreit. Als sie nachfragt wird sie zurechtgewiesen.

Heloise Gruber
„Man hat mir gesagt, dass in der Praxis mehr getan wird für die Schwangeren, also mehr Leistung erbracht wird, als in der normalen Schwangerenvorsorge. Und darunter fallen eben diese Leistungen, die sie mir auf die Liste gegeben haben, die aber die IGEL-Leistungen waren, also die privat zu zahlenden Leistungen. Also ich hätte für diese Maßnahmen auch privat noch zahlen müssen und sollte dafür noch die Praxisgebühr zahlen.“

Dass sie die nicht zahlen muss, wusste Heloise Gruber. Und von den zusätzlichen IGEL-Leistungen wollte sie auch keine. Doch die Frauenärztin ließ nicht locker.

Heloise Gruber
„Selbst bei der Untersuchung, also auf dem Gynäkologischen Stuhl, hat sie mir erzählt, es wäre sehr wichtig, dass ich die Praxisgebühr bezahle und dass die Ärzte auch so wenig verdienen und hat mich eigentlich sehr barsch dabei zurechtgewiesen. Ich fühlte mich dabei völlig ausgeliefert als Patientin.“

So wie Heloise Gruber werden Patienten häufig mit Zusatzangeboten empfangen. Beispiel: Diese Röntgenpraxis in Berlin. Hier wirbt der Arzt für die Digitale Mammografie – angeblich viel besser, um Brustkrebs zu erkennen als die herkömmliche Mammografie. Für diesen vermeintlichen Fortschritt muss die Patientin allerdings privat zahlen: 129 Euro. Eine IGEL-Leistung.

Wer hier anruft, wird sofort auf die digitale Mammographie hingewiesen. Wir machen den Test. Anruf in der Praxis. Die Sprechstundenhilfe lobt die Vorzüge am Telefon.

KONTRASTE
„Ach so, die Bilder können vergrößert werden, man kann also ranzoomen, und hat es also den Vorteil, dass man praktisch besser sehen kann, ob in der Brust irgendetwas ist? Ja, ist das so? Ah ja, okay.“

Doch das ist falsch. Prof. Friedrich ist einer der führenden Experten für Mammografie. Er hat beide Methoden in wissenschaftlichen Studien miteinander verglichen. Sein Fazit: Es gibt den behaupteten Vorteil nicht.

Prof. Michael Friedrich, Chefarzt Vivantes Klinikum am Urban, Berlin
„Man muss klar sagen, dass es sich dafür für die Patienten nicht lohnt, irgendetwas mehr zu bezahlen. Die Technologie ist teurer als die konventionelle, aus der Sicht des Anwenders kann man verstehen, dass er dafür mehr Geld haben möchte, aber de facto wird diagnostisch kein besseres Ergebnis erzielt.“

Zurück in der Röntgenpraxis: Hier wird genau das den Frauen suggeriert: 15 -20 Patientinnen bezahlen hier jeden Tag privat für die digitale Mammografie. Über sein modernes Gerät, spricht der Inhaber der Praxis, Dr. Beckmann gern mit uns. Als wir ihn allerdings darauf ansprechen, wie seine Helferin die digitale Mammographie anpreist, wiegelt er ab.

Dr. Ulrich Beckmann, Facharzt für Radiologie
„Mehr kann eine Helferin nicht machen. Die ist nicht dazu da, einer Frau haarklein zu erklären, was der Vorteil der digitalen Mammografie ist.“
KONTRASTE
„Nee, das macht sie nicht, sie sagt das relativ pauschal. Aber sie sagt das so, dass man schon das Gefühl hat, man geht besser zur digitalen Mammografie, so sagt sie das schon.“
Dr. Ulrich Beckmann, Facharzt für Radiologie
„Ich hab noch nie daneben gestanden, wenn sie es gemacht hat. Ich hab ehrlich gesagt, bisher auch nie von einer Frau, hier von einer Patientin gehört, dass sie sich gedrängelt gefühlt hat, hier eine Digitale Mammografie durchführen zu lassen. Das ist an mein Ohr noch nicht herangekommen.“

IGEL-Listen in Arztpraxen. Gesundheit gegen Bares. Der Patient kann kaum beurteilen, was noch sinnvoll ist und was nicht. Deshalb hat die Stiftung Warentest 30 der gängigsten IGEL-Leistungen untersucht. Meist geht es um zusätzliche Vorsorge: Krebsfrüherkennung, Ultraschall, Tumortest, EKG und vieles mehr. Leistungen, für die Gesunde zahlen, in der Hoffnung, sich vor Krankheiten besser schützen zu können. Ein Trugschluss.

Dr. med. Hans-Joachim Koubenec, Stiftung Warentest
„Wir waren schon ein bisschen erstaunt und eigentlich auch erschrocken, denn wenn man bedenkt, wie breit dieses Angebot ist und wie stark es doch zunehmend in Anspruch genommen wird - da werden Millionen umgesetzt - ist es schon erschreckend, wenn wir dann finden, dass es eigentlich überhaupt keinen Nutzen für die Gesundheit des Patienten bringt, solche Untersuchungen in Anspruch zu nehmen.“

Doch nicht alle Ärzte „IGELn“. Der Allgemeinarzt Dr. Schwinzer verkauft keine dieser IGEL-Zusatzleistungen. Er beobachtet mit Sorge, was so mancher Kollege Patienten alles andreht. Auch für Ärzte gibt es Ratgeber: Einfach verkaufen - der IGEL-Verkaufstrainer.

Dr. med. Wolfgang Schwinzer, Facharzt für Allgemeinmedizin
„Wenn man diese Papiere dann liest, dann hat man doch den Eindruck, man könnte anschließend genauso gut Staubsauger oder Autos verkaufen. Es geht nicht mehr darum, dem Patienten in seiner Gesundheit oder auch in seiner Krankheit zu helfen, es geht nur noch darum, irgendetwas, egal wie zu verkaufen.“

Besonders fatal: Auch Arzthelferinnen werden für den Verkauf geschult. Manuela Kliche ist Arzthelferin in der Praxis von Dr. Schwinzer. Für uns besucht sie eine Fortbildung der besonderen Art: Ein Verkaufsseminar für Arzthelferinnen an der Ärztekammer Hamburg. Thema: Wie verkaufe ich einem Patienten am Geschicktesten eine Igel-Leistung. Und das hat sie gelernt:

Manuela Kliche, Arzthelferin
„Die Arzthelferin geht erstmal auf ihn zu, begrüßt ihn und führt ihn erstmal in einen Raum, misst vielleicht Blutdruck, fragt nach dem Befinden oder nach der Arbeit und entwickelt daraus dann das Verkaufsgespräch, wie zum Beispiel bei dem Blutdruck kann sie ihm eine Gesundheitsuntersuchung vielleicht schmackhaft machen.“

Solche Tricks wurden in dem Seminar trainiert. Fit für den Verkauf, fit für die IGEL-Kommunikation. Und Patienten ahnen nichts davon.

Manuela Kliche, Arzthelferin
„Ich könnte explodieren, weil das wäre absolut nichts für mich, ich würde dann mich so fühlen, als ob ich die Patienten hintergehen würde, als ob ich ihnen was aufdrängen würde und das ist absolut nicht mein Fall.“

Doch solche Verkaufsseminare erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Also Vorsicht, Patient.

Es sei denn, Sie haben einen wirklich vertrauenswürdigen Arzt.