Patient beim Blutdruck messen (Quelle: rbb)

- Medikamente auf Empfehlung - wie die Pharmaindustrie Ärzte beeinflusst

Schöne Reisen, wertvolle Geschenke, üppige Provisionen - als Arzt in Deutschland kann das Leben sehr angenehm sein. Vorausgesetzt man macht gemeinsame Sache mit der Pharma-Industrie. Um teure neue Produkte in den Markt zu drücken, bedienen sich die Hersteller immer noch in erster Linie willfähriger Ärzte, die gegen ein kleineres oder größeres "Dankeschön" für hohe Umsätze sorgen. Das Geschäft mit der Gesundheit blüht. Aber zahlen muss nur einer: Der Patient.

Schöne Reisen, wertvolle Geschenke, üppige Provisionen - alles im Dienste des Fortschritts und der Gesundheit: die Pharmaindustrie verwöhnt deutsche Fachärzte - um neue, teure Produkte auf den Markt zu drücken.

Für die gute Zusammenarbeit mit dem Doktor hat sie immer ein oft recht großes Dankeschön übrig. Zahlen muss es am Ende natürlich einer - und das ist der Patient.

Ursel Sieber und Caroline Walter über pfiffige Pharmamanager und willige Ärzte.


Dr. Schwinzer ist Hausarzt in einer Kleinstadt. Die Patienten kommen gern zu ihm, seine Praxis geht gut. Deshalb bekommt Dr. Schwinzer täglich Besuch von Vertretern der Pharmaindustrie. Sie wollen, dass er seinen Patienten ihre neuen Medikamente verschreibt.

Dr. Wolfgang Schwinzer, Facharzt für Allgemeinmedizin:
"Es wird häufig versucht, ganz massiv Druck auszuüben. Das geschieht natürlich dadurch, dass der Pharmareferent erst einmal kommt, dann zwei-, drei-, viermal und beim nächsten Mal nachfragt: "Haben Sie denn jetzt Patienten auf dieses Medikament eingestellt?". Wenn er dann nochmal kommt und wieder fragt, dann ist es einem natürlich peinlich, unangenehm zu sagen, ich habe keinen Patienten darauf eingestellt, weil ich das aus diesen oder jenen Gründen nicht will."

Immer heftiger wird Dr. Schwinzer umworben. Er wird zu Fortbildungen eingeladen nach Malta oder Nizza. Und er bekommt auch unlautere Angebote. Eine Pharmafirma hat ihm eine Umsatzprovision geboten, wenn er ihre Medikamente verschreibt.

Dr. Wolfgang Schwinzer, Facharzt für Allgemeinmedizin:
"Das ist so direkt natürlich verboten, also hat die Firma aus kosmetischen Gründen, aus juristischen Gründen eine Marketingfirma, dazwischen geschaltet, mit der ich dann den eigentlichen Vertrag schließe und von der ich dann auch diese Umsatzprovision bekomme. Das heißt also, wenn ich sehr viel Rezepte mit einem Medikament dieser Firma aufschreibe, bekomme ich viel Honorar. Und wenn ich meine Kollegen in der Gegend hier berede, das gleich zu tun, weil ich sage, das Medikament war besonders gut, dann bekomme ich halt noch mehr Geld."

Dr. Schwinzer ist besonders interessant für die Pharmafirmen: Er behandelt viele Patienten mit Bluthochdruck - der Volkskrankheit Nummer eins. Ein riesiges Geschäft. Jedes Jahr wirft die Pharmaindustrie neue Blutdrucksenker auf den Markt: Diese stehen 10 Jahre unter Patentschutz, werden teuer verkauft. Dabei gibt es altbewährte Blutdrucksenker: billig und wirksam. Sie werden verdrängt von den neuen. Doch viele neue sind nicht besser, können sogar gefährlicher sein: Das belegt erstmals eine große Studie aus den USA - die Allhat-Studie: finanziert ohne Gelder der Pharmaindustrie. Ergebnis: Altbewährte Blutdrucksenker sind genauso gut wie die Neuen. Und: bei diesen Neuen trat sogar vermehrt Herzschwäche auf.

Prof. Sawicki ist Chefarzt einer Kölner Klinik. Seit Jahren weist er auf Risiken neuer Blutdrucksenker hin - Risiken, die die Pharmaindustrie herunterspielt.

Prof. Peter Sawicki, Chefarzt:
"Leider kann der Patient mit Bluthochdruck in Deutschland nicht sicher sein, dass er die allerbeste Therapie, die verfügbar ist, bekommt. Die Ursachen dafür sind die Einflüsse der pharmazeutischen Industrie auf die Forschung, auf die Fortbildung der Ärzte und auf die Publikationen und auch auf die Medien, so dass sehr häufig zu sehr teuren Präparaten geraten wird, die aber weniger wirksam und weniger sicher sind als die altbewährten Medikamente."

Einfluß nimmt die Pharmaindustrie zum Beispiel über die Deutsche Hochdruckliga - eine Vereinigung hochkarätiger Professoren, oft Chefärzte von Kliniken. Sie empfehlen dem Arzt, wie er Hochdruck behandeln soll.

Dr. Wolfgang Schwinzer, Facharzt für Allgemeinmedizin:
"Diese erstellen ja für unsere Behandlung sogenannte Leitlinien. Und in diesem Rahmen müssen wir uns bewegen und da schreiben die nicht nur Untersuchungen vor, sondern auch Behandlungen, also zum Beispiel, welche Art von Medikamenten bei welcher Erkrankung besonders geeignet sein sollen. Und wenn ich mich nicht danach richte, und es geht etwas schief, dann kriege ich vor einem Gericht eventuell Probleme. Also werde ich mich bemühen, im Wesentlichen mich danach zu richten. Wenn diese Leitlinien aber natürlich pharmagesteuert sind, ja dann schreibe ich eben Medikamente auf, die eigentlich gar nicht gut sind."

In der Hochdruckliga sitzen alle großen Pharmafirmen, finanzieren großteils die Liga. Wir sind auf einer Tagung der Hochdruckliga in Bonn. Eigentlich können sich hier Ärzte fortbilden. Doch wir stellen fest: Die meisten Veranstaltungen sind von Pharmafirmen gesponsert. Wie diese hier: von der Firma Pfizer. Es geht um die angeblichen Vorteile neuer Blutdrucksenker. Am Rednerpult: Prof. Düsing vom Vorstand der Hochdruckliga. Auf den Stühlen: Werbung für den Blutdrucksenker der Firma Pfizer. Genau dieser Wirkstoff kommt im Vortrag von Prof. Düsing gut weg. Nachteile erwähnt er nicht.

Frage:
"Glauben Sie, dass Sie unabhängig sind?"
Prof. Rainer Düsing, Deutsche Hochdruckliga:
"Ich bin absolut unabhängig."
Frage:
"Wie viele Beraterverträge haben Sie?"
Prof. Rainer Düsing, Deutsche Hochdruckliga:
"Ich habe keine Beraterverträge, aber ich halte Vorträge für verschiedene Industrieunternehmen, versuche dabei auch immer sehr sorgfältig die Auftraggeber breit zu streuen."

Für diesen Auftraggeber, die Firma Pfizer, hat er jedenfalls gut Werbung gemacht:

Frage:
"Waren Sie zufrieden?"
Mitarbeiterin Firma Pfizer:
"Sehr zufrieden."
Frage:
"Warum?"
Mitarbeiterin Firma Pfizer:
"Es hat die wichtigen Aspekte der Hochdrucktherapie wiedergespiegelt, unter anderem unter Berücksichtigung unserer Substanz."

Noch ein wichtiger Experte der Liga. Prof. Unger von der Klinik Charité in Berlin. Er macht Studien im Auftrag der Industrie. Auch er empfiehlt gerne neueste Blutdrucksenker. Prof. Unger hat Beraterverträge gleich mit mehreren Pharmafirmen.

Frage:
"Wie viel Geld haben Sie eigentlich gestern bekommen für Ihren Vortrag?"
Prof. Thomas Unger, Deutsche Hochdruckliga:
"Keine Ahnung."
Frage:
"Sie gucken nie auf Ihr Konto und auf Verträge, oder?"
Prof. Thomas Unger, Deutsche Hochdruckliga:
"Ich weiß es wirklich nicht."
Frage:
"Was ist denn üblich, bei solchen Satelliten-Symposien?"
Prof. Thomas Unger, Deutsche Hochdruckliga:
"Das hängt davon ab, ob sie jünger oder älter sind, und welche Position Sie haben, was die Firmen meinen, ihnen geben zu wollen.."
Frage:
"Sie haben ja eine herausgehobene Position."
Prof. Thomas Unger, Deutsche Hochdruckliga:
"Davon mache ich mich nicht abhängig."

Solche Experten braucht die Pharmaindustrie, weiß Dr. Schäffler aus eigener Erfahrung. Er ist ein Insider, hat im Marketing eines großen Pharmakonzerns gearbeitet.

Dr. Arne Schäffler, Ex-Pharmamitarbeiter:
"Die Pharmaindustrie ist deswegen so erfolgreich in der Zusammenarbeit mit den medizinischen Meinungsführern, weil eine tiefe gegenseitige Abhängigkeit besteht. Die Ärzte brauchen, um Karriere zu machen, interessante Publikationen. Da der Staat sich praktisch vollständig zurückgezogen hat aus der Finanzierung von Arzneimittelforschungsprojekten, muss dieses Geld aus der Industrie angeworben werden."

Abhängigkeiten schaffen: Das versucht die Pharmaindustrie auch beim einfachen Arzt. Wir sind auf einem Kongress in Berlin. Ärzte sollen sich hier eigentlich fortbilden. Wir finden sie aber an Pharmaständen: Im Flugsimulator - beim Pokerspiel - oder an der Carrerabahn. Viele Ärzte sind hier auf Kosten der Pharmaindustrie. Die Firma Lilly zum Beispiel bezahlt Übernachtungen in einem teuren Hotel.

Frage:
"Wie viele haben Sie eingeladen?"
Martin Molthagen, Lilly Deutschland GmbH:
"Für den heutigen Tag kann ich Ihnen das nicht sagen. Ich kann nur für den gesamten Kongress sagen, dass wir von Lilly annähernd 400 Kunden eingeladen haben, wobei die nicht nur zu dem Produkt Zyprexa eingeladen worden sind, sondern wir sind mit neuen Produkten auch hier. Also, Gesamt-Lilly hat ungefähr 400 Teilnehmer hier eingeladen."

Und abends bietet die Firma Lilly ihren eingeladenen Ärzten einen ganz besonderen Event: Ein schickes Abendessen a la carte im nobelsten Restaurant Berlins. Eine Party für ein Medikament. Der Name prangt selbst auf der Menükarte.

Alles kein Problem? Am nächsten Morgen befragen wir die Ärzte.

Frage:
"Sie haben keine Angst, dass sich da irgendwelche Abhängigkeiten herausbilden könnten?"
Arzt:
"Nee, ich achte schon sehr darauf, dass sich das nicht etwa mit Produktinteressen mischt, oder - soweit man das kann, und dass es vor allem nicht in irgendwelche Abhängigkeiten zu bestimmten Firmen gerät"

Ärztin:
"Ich finde es völlig legitim, wenn die dann sagen, wir laden Sie zum Abendessen dafür ein oder was auch immer. Deswegen fühle ich mich nicht abhängig, gerade dieses Medikament oder jenes zu übernehmen."

Dass sich die Ärzte damit selbst belügen, erzählt uns ein Arzt, der nicht erkannt werden will. Er nimmt auch solche Einladungen an.

Arzt:
"Ich bin durchaus überzeugt, dass viele Kollegen sich etwas vormachen, wenn sie glauben, durch diese Einladungen von Pharmafirmen nicht beeinflussbar zu sein. Ich denke, dass man aufgrund dieser Einflüsse ein Medikament schon häufiger verschreibt als sonst."
Frage:
"Das haben Sie bei sich selbst auch schon festgestellt?"
Arzt:
"Ja sicher. Also das mache ich auch ganz bewusst. Wer etwas für mich tut, für den tue ich auch was."

Der Patient kann sich also nicht sicher sein, dass er das für ihn beste Medikament bekommt. Oft ist es nur gut für die Pharmaindustrie.