Lehrer Laura N. und Max T. Bild: Markus Schreiber/AP
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Rechtsextremismus in Südbrandenburg - Hat die Politik kapituliert?

Nachdem Lehrer die Hakenkreuz-Schmierereien und Hitlergrüße an ihrer Schule öffentlich gemacht haben, war die Empörung bundesweit groß. Doch einige Wochen später verlassen die Lehrer nun die Region. Zuvor gab es eine Hetzkampagne gegen die beiden Lehrkräfte, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Allein gelassen fühlt sich auch eine Kirchengemeinde, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus stark mach. Nach einem Brandanschlag auf ihre Kirche, an der eine Regenbogenflagge angebracht war, gab es kaum öffentliche Solidarität. Wie wehrhaft ist unsere Demokratie, die es nicht schafft, sich schützend vor jene zu stellen, die sich Rechtsextremismus in den Weg stellen?

Anmoderation: Gut möglich, dass sie die beiden hier kennen: dabei haben die Lehrkräfte Max Teske und Laura Nickel eigentlich nur ihren Job gemacht. Sie haben an ihrer Schule im brandenburgischen Burg für Ordnung gesorgt. Genauer: Sich gewehrt gegen die dortige Demokratiefeindlichkeit. Hitlergrüße und Hakenkreuz-Schmierereien im Klassenzimmer wollten sie nicht länger einfach hinnehmen, gingen erst zur Schulleitung – und als sich da nichts regte auch an die Öffentlichkeit. Wir haben vor einigen Wochen darüber berichtet. Und zeigen jetzt – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von rbb24-Recherche – das wahnwitzige Ende der Geschichte: Nicht die Rechtsextremen an der Schule wurden da als Problem gesehen sondern die beiden, die nicht länger schweigen wollten.

Drewitz, Südbrandenburg. Eine Art Volksfest für Militärfreunde. Durchs Dorf rollen Wehrmachtspanzer - originalgetreu nachgebaut.

So mancher nimmt hier die ganze Familie mit.

An den Verkaufsständen: Nazi-Devotionalien. Die verbotenen Symbole verdeckt durch Aufkleber: Hakenkreuze, SS-Runen. Auch Hitler-Portraits für zwanzig Euro das Stück sind im Angebot. Daran nimmt hier offensichtlich niemand Anstoß.

Es ist eine Region, rund um Cottbus, in der die Verherrlichung des Dritten Reiches ein Stückweit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Bundesweit in die Schlagzeilen geriet der Ort Burg vor wenigen Wochen, als Schüler Hitlergrüße zeigten und Tische mit Hakenkreuzen beschmierten.

Auch wir haben darüber berichtet – was vielen hier nicht gefiel.

Mann Eisdiele

"Außerdem sag ich mal ist es die Presse, die hier nämlich immer wieder für Unruhe sorgt in dem Ort. Seien Sie sehr vorsichtig, was Sie hier in diesem Ort sagen und tun."

Kontraste

"Was soll das jetzt sein, eine Drohung, oder?"

Mann Eisdiele

"Das war keine Drohung, das war ein Hinweis."

Ein Klima, das auch die Lehrer Laura Nickel und Max Teske sofort zu spüren bekamen. Sie haben die rechtsextremen Umtriebe an ihrer Schule öffentlich gemacht: Unter anderem Hakenkreuzschmierereien und rechtsextreme Bilder in Klassenchats.

Laura Nickel, Lehrerin

"Unsere Arbeit beinhaltet eben auch das Vermitteln demokratischer Werte. Und nichts anderes haben wir getan. Und wenn etwas dagegengesprochen hat, nämlich Demokratiefeinde das Wort ergriffen haben, haben wir eben das gemeldet."

Sie sahen sich gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil die Schulleitung die rechtsextremen Vorfälle nicht ernst genommen hatte. Ein Hilferuf, der kurz für große Empörung sorgte. Doch schon wenig später wurden Nickel und Teske zur Zielscheibe einer anonymen Hetzkampagne. Ihre Gesichter gedruckt auf Sticker, verteilt überall in Burg. Die Botschaft: "Verpisst euch nach Berlin!" In sozialen Medien wird sogar zur Jagd auf sie aufgerufen.

In Burg gelten sie als diejenigen, die den Ort in den Schmutz gezogen haben.

Vor einigen Wochen bitten sie enttäuscht um ihre Versetzung.

Laura Nickel, Lehrerin

"Weil wir jetzt an der Stelle sagen müssen: Wir können das nicht mehr. Wir müssen uns selbst schützen und unsere Familien schützen."

Max Teske, Lehrer

"Man möchte versuchen, uns einzuschüchtern."

Der Cottbuser Kreisvorsitzende der AfD, Jean-Pascal Hohm, befürwortet den Weggang der Lehrer – in einem Tweet nennt er die Hetzjagd "bürgerliches Engagement". Und er bezeichnet Max Teske als "linksradikalen Denunzianten".

Jean-Pascal Hohm, Kreisvorsitzender AfD Cottbus

In meinen Augen sind die Lehrer Denunzianten, weil sie eben anonym an die Presse gegangen sind und dort ihre Schüler denunziert haben. Statt das Problem innerhalb der Schule zu klären.

Kontraste

"Intern haben die das natürlich versucht. Aber trotzdem noch mal die Frage: Wenn Sie diese Fotos zum Beispiel sehen, wie von 25 Schülern 12 oder 13 den Arm zum Hitlergruß heben. Was sagt Ihnen so ein Foto?"

Jean-Pascal Hohm

"Also ich glaub ich habe nachgezählt, das waren zehn Leute von knapp 25, die da den rechten Arm oben hatten. Wenn das als Hitlergruß gemeint war, dann ist das falsch. Aber ich glaube, davon jetzt ein Rechtsextremismus Problem abzuleiten, ein strukturelles an einer Schule, das halte ich für falsch. Es gibt in Brandenburg kein Rechtsextremismus-Problem an den Schulen."

Nur zehn Leute mit dem rechten Arm nach oben – deutlicher kann man ein Rechtsextremismus-Problem nicht kleinreden. Nächstes Jahr will Hohm für die AfD in den Landtag einziehen.

Und so heizte er vor knapp zwei Jahren Corona-Proteste in Cottbus an:

"Deutsch und frei wollen wir sein! Deutsch und frei wollen wir sein!"

Mit den Hetz-Aufklebern gegen die beiden Lehrer und den Aufruf, sie zu "jagen", will der AfD-Politiker nichts zu tun haben.

Jean-Pascal Hohm

"Ich glaube, die beiden Lehrer müssen auch nicht um ihr Leben fürchten, wir sind hier in unserer Lausitz, sind wir wahrlich tolerant."

Eine Toleranz, die wohl nicht jedem gegenüber gilt. "Deutschland den Deutschen"-Sticker tauchen hier immer wieder auf. Und kaum einer traut sich mehr, offen mit uns zu sprechen.

Auch angebliche Eltern von Schülern der Burger Schule üben auf die Lehrer Druck aus. Schon vor Wochen forderten sie deren Entlassung in einem anonymen Brief an die Schulleitung. Die Verfasser beschuldigten Nickel und Teske, "einfach eine Schule bzw. ein ganzes Dorf in den Schmutz" zu ziehen.

Und weiter:

"Es gibt dazu keine Beweise, keine bestätigten Fakten und vor allem, es ist nichts passiert. Es stehen nur Behauptungen im Raum."

Auch die ehemalige CDU-Ortsbürgermeisterin von Burg greift die Lehrer in einem Facebook-Post an. Sie hätten durch ihre Verhaltensweise eine Gemeinde und eine Schule, ja sogar eine ganze Region in Misskredit gebracht – "und wegen welcher Vorfälle bitte?"

Findet sie Hitlergrüße und Hakenkreuze in der Schule normal?

Ira Frackmann, Ex-Bürgermeisterin Burg

"Ist das jetzt so was, was so ungewöhnlich ist? Oder ist es eher was, was eigentlich an vielen Schulen vorkommt und was hier dann, sagen wir, ins Extreme gezogen wird?"

Frackmann behauptet, andere, viel gefährlichere Verhaltensweisen würden "schön unter den Teppich gekehrt".

Ira Frackmann

"Was in den Freibädern passiert, dass Leute mit einem Messer rumlaufen, Leute bedroht werden. Also da gibt es viel von."

Kontraste

"Wen meinen Sie? Wer legt diese gefährlichen Verhaltensweisen an den Tag?"

Ira Frackmann

"Das ist viel unsere Neubürger, die man ja sag ich mal ab und an in den Medien dann sieht."

Kein Wort des Bedauerns, dass jene beiden Lehrer, die sich für demokratische Werte eingesetzt haben, Burg den Rücken kehren. Wo ist hier die Zivilgesellschaft?

Auch im Cottbuser Schulamt, vor dem im Mai noch für die Lehrer demonstriert wurde, sieht man es offenbar kritisch, dass Laura Nickel und Max Teske an die Öffentlichkeit gegangen sind. Zuletzt, so sagen sie, hätte die Behörde ihnen einen Maulkorb verpasst.

Max Teske

"Jegliche Anfragen, die in Bezug auf Schule sind, müssen über den Tisch der Schulleiterin gehen bzw. des Schulamtes. Halte ich mich nicht daran, wäre der nächste Schritt, dass ich eine Abmahnung bekomme."

Sollen Teske und Nickel also zum Schweigen gebracht werden? Diejenigen, die den Stein ins Rollen gebracht haben – gegen alle Widerstände.

Die politische Verantwortung für den Umgang mit rechtsextremen Vorfällen wie in Burg trägt Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg von der SPD. Hat sein Schulamt den Lehrern tatsächlich den Mund verboten?

Steffen Freiberg (SPD), Bildungsminister Brandenburg

"Es hat keine Abmahnung gegeben. Das ist erst mal … will ich …"

Kontraste

"Die Androhung."

Steffen Freiberg

" … will ich klar sagen. Es hat aber in verschiedenen Gesprächen die Hinweise gegeben, dass Hinweise auf Abläufe, die in der Schule stattfinden, an die zuständigen Kollegen, die ja vor Ort sind und die vor Ort auch arbeiten und die auch helfen zu geben sind."

Den behördlich verpassten Maulkorb verneint er nicht.

Als die rechtsextremistischen Vorfälle Ende April bekannt werden, zeigt sich Freiberg schockiert und fordert, man müsse als erstes denjenigen den Rücken stärken und konkrete Hilfe leisten, die für Demokratie einstehen.

Doch erst zwei Monate später fährt er nach Burg, um mit Lehrern und Schülern zu sprechen.

Als dann vor zwei Wochen bekannt wird, dass die Lehrer die Schule verlassen, erklärt Freiberg, das Ministerium stelle sich hinter die Lehrkräfte. Weiter heißt es:

"Die Versetzungsanträge der beiden Lehrkräfte in Burg habe ich zur Kenntnis genommen."

Nüchternes Behördendeutsch - kein Bedauern über den Weggang. Freiberg rechtfertigt seine Wortwahl:

Steffen Freiberg

"Ich sage meinen Kollegen hier im Haus auch ganz oft: Schauen Sie mal auf eine Brandschutz Tafel. Auf jeder Brandschutztafel steht, wenn das Haus brennt, in dem Sie stehen, dann heißt es als allererstes Ruhe bewahren. Und das muss man auch für alle anderen Kolleginnen und Kollegen, für alle Schülerinnen und Schüler und für die Zukunft dieser Schule im Blick behalten."

Das Zeichen, das nun von Burg ausgeht, fatal: Wer sich aktiv für die Demokratie einsetzt, ist nicht willkommen.

Beitrag von Simone Brannahl, Silvio Duwe, Jo Goll und Sebastian Schiller

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