Friedrich Merz. Bild: IMAGO/Christoph Hardt
www.imago-images.de
Bild: www.imago-images.de

Trotz guter Umfragewerte - Der Richtungsstreit in der CDU

Die CDU führt klar in allen Umfragen zur Bundestagswahl, und doch rumort es in der Partei. Mit seinen Äußerungen zur Union als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ und einer – zumindest missverständlichen – Aussage zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene erntet der Parteivorsitzende Friedrich Merz auch innerparteilich deutlichen Widerspruch. Hinter allem steht die Frage, wie sich die CDU künftig positionieren soll. NRW-Ministerpräsident Wüst plädiert für einen pragmatischen Kurs der Mitte, Merz hingegen will das „konservative Profil“ der Union schärfen. Kontraste über den Richtungsstreit in der CDU, aus dem längst auch ein Machtkampf geworden ist.

Anmoderation: Kontraste hier - wie gut, dass wir uns gefunden haben. Und wir beginnen mit einem Bild aus sonnigeren Tagen: Friedrich Merz noch als zupackender Hoffnungsträger der Union, als einer, der sagt, was ist. Ein Vorsitzender, der auch mal einen raushaut. Inzwischen aber hat er eher den Ruf, andauernd danebenzuhauen. Auch in der eigenen Partei mehren sich die kritischen Stimmen. Und so wird inzwischen unüberhörbar laut darüber diskutiert, ob dieser Mann wirklich Kanzler kann. Anne Grandjean, Chris Humbs und Daniel Laufer.

Für Friedrich Merz geht es in diesen Tagen ums Ganze. Er ist dem Kanzleramt so nah wie nie – nach vielen herben Rückschlägen. Im dritten Versuch hatte er es endlich an die CDU-Spitze geschafft. Und nun führt sie deutlich in allen Umfragen. Es läuft ganz gut für Friedrich Merz und seine CDU. Eigentlich. Denn einer steht Merz im Weg: er selbst.

Mariam Lau, Politische Korrespondentin DIE ZEIT

"Ich glaube, was ihm fehlt, ist Kälte. Das, was Angela Merkel hat, das, was Ursula von der Leyen hatte, diese Nerven aus Draht, die einfach nicht zu erschüttern sind. Das fehlt ihm."

Merz lasse sich leicht provozieren, sagt die ZEIT-Journalistin Mariam Lau, die tiefe Einblicke in das Innenleben der Union hat.

Ein Beispiel. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst veröffentlicht im Juni in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Gastbeitrag, in dem er seine Partei vor Populismus warnt. "Das Herz der CDU schlägt in der Mitte", schreibt Wüst und bezieht sich dabei auf die Erfolge von Kohl und Merkel. Um Friedrich Merz geht es in dem Artikel an keiner Stelle – und doch fühlt er sich offenbar angegriffen.

Mariam Lau, Politische Korrespondentin DIE ZEIT

"Leute, die dabei waren, berichten, dass Merz blass vor Empörung gerufen hat: Das ist die Kampfansage, das ist der Fehdehandschuh!"

Wüst ist eine Gefahr für Merz auf dem Weg ins Kanzleramt, denn Wüst hat selbst Ambitionen darauf, das lässt er im Interview mit der Rheinischen Post durchblicken: Aktuell läge seine Aufgabe in Nordrhein-Westfalen. Das heißt auch: Künftig könne sie durchaus in Berlin liegen. Ein Affront für Merz. Kurz darauf schlägt er öffentlich zurück: Kaum verhohlen teilt er im ZDF gegen Wüst aus. Nach dem Motto: Der sei ja auch nicht beliebter als die ungeliebte Ampel.

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender

"Die Unzufriedenheit auch in den Ländern, auch leider in Nordrhein-Westfalen, woher ich ja komme, mit der Landesregierung ist fast genauso groß wie die mit der Bundesregierung."

Wüst und Merz – beide stammen aus Westfalen. Doch die Unterschiede sind deutlich: Wüst ist gerade mal 48 Jahre alt, Merz hingegen ist mit 67 schon im Rentenalter – und auch inhaltlich sind sie verschieden, weiß der CDU-nahe Politikwissenschaftler Andreas Püttmann.

Andreas Püttmann, Politologe

"Wüst steht für die jüngere, weltoffene und auch sozialliberal und nicht nur konservativ ausgeprägte christliche Demokratie. Und hinter Merz stehen ganz klar die Interessenvertreter der Wirtschaft."

Vielen in der Volkspartei CDU mit ihren unterschiedlichen Flügeln gilt Merz als zu konservativ und zu marktliberal. Der ostdeutsche Mario Czaja sollte als Generalsekretär ausgleichend und integrierend wirken. Er gehört dem Sozialflügel der Union an. Doch nach gut eineinhalb Jahren tauscht Merz ihn aus – gegen Carsten Linnemann, der Merz nicht nur vom Auftreten her ähnlich ist.

Andreas Püttmann, Politologe

"Herr Linnemann ist ideell ein Vertreter des wirtschaftsliberalen und konservativen Flügels und dupliziert in gewisser Weise Friedrich Merz. Er bedeutet einen Stilwechsel und auch eine Machtverschiebung zwischen den Strömungen der Union."

Merz befeuert damit auch den Richtungsstreit in der Union, der schon länger brodelt. Neben Hendrik Wüst zählen etwa auch Daniel Günther, Armin Laschet, die Bundestagsabgeordnete Serap Güler und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner zu den Merz-Kritikern.

Immer wieder sehen sich CDU-Größen genötigt, nach verbalen Ausrutschern von Merz einzuschreiten. So etwa nach seinem Auftritt bei Markus Lanz im Januar. Merz spricht nach den Silvester-Krawallen in Berlin über auffällige Schüler mit Migrationshintergrund.

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender

"die kleinen Paschas"

Eine Woche später sitzt Daniel Günther bei Lanz – und distanziert sich deutlich von seinem Parteichef.

Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident Schleswig-Holstein

"Ob man so einen Begriff wie Pascha dabei verwenden sollte, um eine ernsthafte Debatte zu führen, da habe ich meine Zweifel."

Ein weiteres Beispiel: Merz spricht in Bezug auf ukrainische Geflüchtete bei Bild TV von "Sozialtourismus". Kurz darauf entschuldigt er sich auf Twitter.

Dazu Christian Bäumler, der Vize-Chef des Arbeitnehmerflügels CDA:

"Damit steht er sich selbst beim Weg ins Kanzleramt im Weg."

Doch Merz kann offenbar nicht anders. Jetzt geht es um die AfD. Einst wollte er die Partei halbieren, doch inzwischen wirkt es fast wie Anbiederung. Bei einer CSU-Klausur bezeichnet er seine traditionsreiche und stolze CDU plötzlich als:

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender

"Eine Alternative für Deutschland mit Substanz."

Eine "Alternative für Deutschland mit Substanz"? Kurz AfD mit Substanz?

Die Politologin Julia Reuschenbach hält das für fatal.

Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin FU Berlin

"Alternative für Deutschland mit Substanz - das halte ich für eine Katastrophe. Also ..."

Kontraste

"Warum eine Katastrophe?"

Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin FU Berlin

"Na ja, weil man im Grunde … man bewegt sich auch sprachlich so weit nach rechts, man macht Begriffe so einfach und ohne Not. Meines Erachtens zieht man sie in die Mitte des demokratischen Spektrums, so dass andere, die nur darauf warten, als Original am Ende die Stimmen zu gewinnen, sich entspannt zurücklehnen können."

AfD-Chefin Alice Weidel nutzt die Steilvorlage und twittert: Die AfD sei das Original.

Endgültig eskaliert der Streit in der Union mit einem ZDF-Interview am Sonntag. Es geht um die Frage der Zusammenarbeit mit der AfD in den Kommunen. Merz löst hier ein kleines politisches Beben aus.

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender

"Es ist jetzt in Thüringen ein Landrat gewählt worden und natürlich ist das auch eine demokratische Wahl. Es ist in Sachsen-Anhalt in einer kleinen Gemeinde ein Bürgermeister gewählt worden, der der AfD angehört und natürlich ist das eine demokratische Wahl. Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet."

Gemeinsam mit der AfD Kommunen gestalten? Egal, wie genau Merz das gemeint hat: Die Reaktionen auf seine Äußerung sind verheerend. Es darf keine Zusammenarbeit mit der AfD geben, so der Tenor der Kritik von immer mehr CDU-Größen.

Mariam Lau, Politische Korrespondentin DIE ZEIT

"Jeder weiß, dass auch SPD und Grüne und Linke machen vor Ort Dinge irgendwie gemeinsam mit der AfD. Es passiert einfach, weil es oft gar nicht sich vermeiden lässt. Aber man darf natürlich keinen Programmpunkt draus machen. Das ist das, was eben viele vorgeworfen haben."

Am Morgen nach dem Sommerinterview macht Merz den Rückzieher. Auch auf kommunaler Ebene soll es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Das will er "nie anders gesagt" haben.

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer springt Merz jedoch zur Seite. In der FAZ sagt er: Man könne auf kommunaler Ebene nicht dagegen sein, "weil die AfD dafür ist". Eine "lupenreine Trennung" halte da niemand durch.

Inzwischen wird der Richtungskampf in der Union offen ausgetragen und mit harten Bandagen. Der ehemalige Ministerpräsident aus dem Saarland, Tobias Hans zweifelt offen an Merz Eignung als Kanzler:

"Mittlerweile muss man vor jedem Sommerinterview zittern, weil man nicht weiß, was am Ende dabei herauskommt. Ich möchte mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass ein von der CDU gestellter Bundeskanzler solche Sorgen hervorruft."

Die ehemalige Chefin der CDU-Brandenburg Saskia Ludwig bezeichnet Hans daraufhin als

"abgewählte Hans-Wurst"

Auch die CSU geht klar auf Distanz – ausgerechnet mit einem Franz-Josef-Strauß-Zitat überholt sie Merz von links.

Es wird eng für Friedrich Merz. Eine aktuelle repräsentative Civey-Umfrage für Kontraste zeigt: Die größte Zustimmung bekommt Hendrik Wüst als Kanzlerkandidat der Union. Es folgen Markus Söder und Daniel Günther. Merz landet auf dem letzten Platz der vier abgefragten Kandidaten. Auch unter Unionsanhängern kommt Merz nur auf Platz drei.

Eine schwierige Situation für den Parteivorsitzenden. Nach den Wahlen in Hessen und Bayern im Oktober könnte es zum Showdown in der Union kommen.

Mariam Lau, Politische Korrespondentin DIE ZEIT

"Und ich glaube, man kann den Strich drunter machen. Es ist aus. Es wird keinen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz geben. Das wissen alle."

Doch eine Konstante gibt es im politischen Leben des Friedrich Merz: Er wurde schon öfter abgeschrieben – und kam doch immer wieder.

Beitrag von Anne Grandjean, Chris Humbs und Daniel Laufer

weitere Themen der Sendung

Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Bild: www.imago-images.de
www.imago-images.de

Bundesregierung - Die Wut auf die Ampel

75 Prozent der Deutschen sind laut ARD DeutschlandTrend weniger oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Das Gebäudeenergiegesetz hat die sowieso schon vorhandene Wut in der Bevölkerung noch gesteigert. Die Ampel fällt auf durch handwerkliche Fehler, schlechte Kommunikation und dauernden Streit – doch wer hat daran welchen Anteil?

Lehrer Laura N. und Max T. Bild: Markus Schreiber/AP
AP

Rechtsextremismus in Südbrandenburg - Hat die Politik kapituliert?

Nachdem Lehrer die Hakenkreuz-Schmierereien und Hitlergrüße an ihrer Schule öffentlich gemacht haben, war die Empörung bundesweit groß. Doch einige Wochen später verlassen die Lehrer nun die Region. Zuvor gab es eine Hetzkampagne gegen die beiden Lehrkräfte, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Allein gelassen fühlt sich auch eine Kirchengemeinde, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus stark mach. Nach einem Brandanschlag auf ihre Kirche, an der eine Regenbogenflagge angebracht war, gab es kaum öffentliche Solidarität. Wie wehrhaft ist unsere Demokratie, die es nicht schafft, sich schützend vor jene zu stellen, die sich Rechtsextremismus in den Weg stellen?