Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Bild: www.imago-images.de
www.imago-images.de
Bild: www.imago-images.de

Bundesregierung - Die Wut auf die Ampel

75 Prozent der Deutschen sind laut ARD DeutschlandTrend weniger oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Das Gebäudeenergiegesetz hat die sowieso schon vorhandene Wut in der Bevölkerung noch gesteigert. Die Ampel fällt auf durch handwerkliche Fehler, schlechte Kommunikation und dauernden Streit – doch wer hat daran welchen Anteil?

Anmoderation: Die Schwäche der Union ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sich ihre Hauptaufgabe, die Oppositionsarbeit, gerade fast von selbst erledigt: drei von vier Deutschen sind inzwischen unzufrieden mit diesen drei Männern und Ihrer Ampel-Regierung. Eine Fortschrittskoalition wollten sie sein, die Gesellschaft und die Wirtschaft in Deutschland voranbringen. Inzwischen werfen sie sicher eher gegenseitig über den Haufen, stolpern von einem Umfragetief zum nächsten. Der Zoff der vergangenen Monate hat allen dreien schwer geschadet. Und ihnen allen auf ganz eigene Weise.

So beschwingt hat man Robert Habeck lange nicht gesehen. Gestern überreicht er einen Förderbescheid über fast zwei Milliarden Euro an Thyssenkrupp. Geld für die Umrüstung der Stahlproduktion auf Wasserstoff.

Gewöhnlich aber ist der Minister derzeit die personifizierte Regierungs-Krise. Mitte Juli Werksbesuch bei einem Getriebehersteller im sächsischen Penig. Während Habeck herumgeführt wird, protestiert draußen vor dem Tor die rechtsextreme Partei "Freie Sachsen":

"Wir lehnen die grüne Politik ab. Sachsen leistet Widerstand, weil wir es vor dieser grünen Politik satthaben!"

Habeck und die Grünen - ihr Feindbild. Die Radikalen vor dem Tor lassen sich ignorieren.

Doch auch im Werk, bei Habecks Tour, zeigt sich unter den Mitarbeitenden, wie weit Verunsicherung und Überforderung reichen angesichts der grünen Energiewende.

Lisa Maria Söll, Mitarbeiterin Flender GmbH

"Meine Eltern wohnen auf dem Land. Für die ist zum Beispiel auch E-Auto gar nicht wirklich möglich, weil die halt auch oftmals große Gerätschaften fahren und ziehen müssen. Ganz schwierig. Und erst die Heizung dann komplett umzustellen, extra Kredite aufnehmen deswegen."

Den Grünen sei es nicht gelungen, solche Sorgen überzeugend auszuräumen, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach.

Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin, Freie Universität Berlin

"Das halte ich tatsächlich für den größten Fehler, dass man womöglich nicht hinreichend genug mit Blick auf die grüne Regierungsbeteiligung erklärt hat, wie auch Menschen mit wenig Einkommen, Menschen aus sozial schwachen Strukturen, Gelegenheit haben sollen, dieses große Projekt der Transformation zu unterstützen und nicht innerhalb dieses Projekts im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder zu kommen. Da hat man es sich mal zu einfach gemacht oder einfach nicht hinreichend genug erklärt und kommuniziert."

Nach ihrem Höhenflug vergangenen Sommer ging es bei den Grünen stetig bergab – auf aktuell nur noch 13 Prozent. Vertrauen gekostet hat vor allem das Gezerre um das Gebäude-Energie-Gesetz, das den Austausch alter Öl- und Gasheizungen regelt. Die mehrfach veränderte und immer noch nicht beschlossene Vorlage – ein Debakel. Aber nicht nur für die Grünen, sondern für die gesamte Ampel.

Albrecht von Lucke, Publizist, Blätter für deutsche und internationale Politik

"Man kann nicht ein Gesetz über fünf Monate in einem Schwebezustand lassen. Ein Gesetz, das von der FDP durchgestochen wird, anschließend von ihr gegen die Grünen als Fundamentalopposition in der Regierung regelrecht bekämpft wird und nicht von einem Kanzler irgendwie moderiert wird, geschweige denn geführt wird. Das ist desaströs."

Umfragen bestätigen dieses Bild: Zuletzt waren drei Viertel der Befragten unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung.

Das trifft zuvorderst ihn, den Regierungschef. Kurz vor der Sommerpause ist Olaf Scholz nach Füssen gekommen. Vor bayerischer Alpen-Kulisse trifft er interessierte Bürgerinnen und Bürger zum Dialog. Die vermissen beim Kanzler vor allem eines: dass er der Ampel eine klare Richtung weist.

"Ich glaube, dass der Kanzler keine Führung zeigt. Also das ist mein, mein Eindruck. Ich glaube, dass es, dass er sehr führungsschwach ist."

"Er sagt nie, was er will, was er machen will. Man erfährt nichts."

"Er könnte mal auf den Tisch hauen, auch hinter den Kulissen, glaube ich."

"Das ist ein richtiger Kindergarten, was da ablauft."

In der Gesprächsrunde wird Scholz dann gefragt, warum er nicht mehr für den Klimaschutz tue.

Sarah Verweyen, Ärztin

"Damit meine ich, die Emissionen schnellstmöglich und kompromisslos prioritär zu senken."

Olaf Scholz

"Die Antwort, die wir als Land gegeben haben, sogar in ein Gesetz geschrieben, ist, dass wir 2045 CO2-neutral wirtschaften wollen..."

Mehr als vier Minuten lang antwortet der Kanzler. Viele Worte, um dann Scholz-typisch zu schließen:

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

"…ich glaube, genau das ist der Weg, den wir machen müssen, und wenn wir schnell vorankommen, wird es auch besser."

Sarah Verweyen, Ärztin

"Ich hab schon gemerkt, da war so ein Moment der Verunsicherung bei ihm. Aber er hat sich einfach an der Frage vorbeigeredet, und er hat sie einfach nicht beantwortet."

Ein Kanzler, der viele Menschen nicht mehr erreicht und überzeugt. Abzulesen auch an den Umfragewerten seiner SPD, die weit unter dem Ergebnis bei der Bundestagswahl liegen. Scholz hatte Führung versprochen, sich im Wahlkampf sogar als "Kanzler für Klimaschutz" angepriesen.

Nun regiert er eine zerstrittene Koalition, in der die FDP in zahlreichen Klima-Fragen blockiert. Egal ob Windkraftausbau, Tempolimit oder Verbrennerverbot – die Liberalen bremsen.

Albrecht von Lucke, Publizist, Blätter für deutsche und internationale Politik

"Der Streit ist auch viel tiefer gehend und fundamentaler, weil hier eine Partei, die FDP, dezidiert sagt, dass sie sich im falschen Lager befindet, dass sie eigentlich etwas gegen die Politik von Grünen und SPD hat, dass sie sich also in der Anlage her als Opposition begreift. Das Wort von Wolfgang Kubicki im Ohr: Die Zeit des Appeasements ist vorbei."

Die Liberalen aber sehen sich auf gutem Kurs. Auftritt des Parteichefs beim Wahlkampf-Auftakt der Bayern-FDP in München. Es dauert nicht lange, da muss sich Christian Lindner der ersten Zwischenrufe erwehren. Klima-Aktivisten versuchen, zu stören.

Christian Lindner (Rede):

"Wer laut brüllt, verbraucht mehr CO2, klebt euch lieber fest!" (Applaus)

Trotz Ampel-Krise: Der Finanzminister macht klar, dass er am konfrontativen Kurs festhalten will.

Christian Lindner, Parteivorsitzender FDP

"Bei Vorschlägen, die die arbeitende Mitte in unserem Land belasten oder die auch den Fortschritt in unserem Land zurückwerfen würden, da werden wir unsere Rolle als Kraft der Vernunft weiter ganz mit fröhlicher Penetranz spielen."

Kontraste

"Aber was haben Sie, wenn Sie diese fröhliche Penetranz, die Sie jetzt gezeigt haben, was haben Sie dann für eine Erklärung, dass die FDP so miserabel in den Umfragen dasteht? Sieben Prozent?"

Christian Lindner, Parteivorsitzender FDP

"Die FDP steht im Vergleich der vergangenen Legislaturperioden stabil da."

So lässt sich die Lage auch schönreden. In dieser Legislatur standen die Liberalen kurz nach der Wahl sogar bei 13 Prozent. Danach aber ging es schnell bergab.

Der Unmut trifft alle in der Ampel, vor allem aber Grüne wie Katrin Göring-Eckardt. Im Juli tourte sie mit dem Rad durch Ostdeutschland. Beleidigungen wie hier in Dessau inklusive.

"Achtet darauf, dass dieser grüne Abfall auch nicht zu uns herrüber kommt. Schönen Dank."

Heute bleibt es ruhig. Die Bundestagsvizepräsidentin macht Halt in der sächsischen Provinz. In den Räumen einer alten LPG soll hier bald ein Kultur- und Begegnungszentrum entstehen. Mit solchen Gesprächen vor Ort will Göring-Eckardt Vertrauen zurückgewinnen.

Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsvizepräsidentin

"Ich bin ja deswegen auch hier und unterwegs, weil ich sehe, wir müssen miteinander reden. Und wir haben nicht alles gut gemacht. Und wir haben auch nicht alles richtig gemacht."

Vor der Tür wartet eine Gruppe Windkraft-Gegner.

Kontraste

"Wie glauben Sie denn, wie es mit der Bundesregierung weitergeht? Also hält die durch die Legislatur?"

"Nee, die wird gestürzt. Wenn es nach mir ging, morgen!"

Kontraste

"Von wem gestürzt?"

"Vom Volk. Wie 89 hatte man ja schon mal. Das ist bloß, momentan ist der Bürger müde."

Vor allem aber ist er wütend. Meinungsforscher Gerrit Richter beobachtet, dass sich ein bislang ungekannter Zorn durch die Gesellschaft frisst.

Dass Wut ihr vorherrschendes Gefühl sei, geben mittlerweile 40 Prozent der Befragten an – noch mehr als während der Corona-Lockdowns.

Gerrit Richter, Civey

"Der Hauptgrund wird wahrscheinlich das sein, was wir als Stapel-Krisen bezeichnen. Also es kommt Corona, es kommt der Krieg, es kommt Inflation. Das stapelt sich auf und führt nach unserer Beobachtung in so eine Situation, wo die Menschen sich am Ende überfordert fühlen. Und Wut ist der Kanal dafür."

Eine Wut, die derzeit die Ampel zu spüren bekommt. Und die oft unabhängig vom konkreten Anlass ist, wie die Soziologin Sabrina Mayer feststellt.

Prof. Sabrina Mayer, Soziologin, Universität Bamberg

"Wenn die Wut erstmal da ist, bleibt die Wut auch. Zum Beispiel können wir oft sehen, Wut, das sich auf ein Objekt bezieht, wie jetzt die Corona-Maßnahmen, kann sich auch auf ein nächstes Objekt wie jetzt ein Heizungsgesetz übertragen, einfach, wenn Bürgerinnen und Bürger die gleichen Verantwortlichkeiten den Wuterzeugern zuschreiben, gibt es so einen Spill-Over-Effekt."

Senken ließe sich die Wut, wenn Maßnahmen gut und transparent kommuniziert würden. Doch die Realität unter der Ampel ist eine andere: Zerstrittene Koalitionäre, die ganz unterschiedliche Botschaften in die Welt schicken.

Beitrag von Kaveh Kooroshy und Markus Pohl