Currywurst mit Pommes Frites und Ketchup, Foto: colourbox.de
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- Kulturkampf um ein angebliches "Currywurst-Verbot"

Nur zehn Gramm Fleisch pro Tag, gerade mal eine Currywurst im Monat – mehr soll schon bald verboten sein. Dieses Schreckgespenst malen Fleisch- und Milchlobby und so manch ein Politiker seit kurzem an die Wand. Der Übeltäter: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese erarbeitet derzeit neue Empfehlungen zur gesunden und umweltbewussten Ernährung – mehr auch nicht. Doch weil sie vom grün geführten Landwirtschaftsministerium gefördert wird, ist die angebliche "grüne Öko-Diktatur" nicht weit. "Warum muss immer alles verboten werden?" wettert Markus Söder in Bayern. Egal offenbar, dass keinerlei Verbot angedacht ist. Es gibt noch nicht einmal eine neue Empfehlung. Eine drohende "Mangelernährung" erkennt der bayerische Wirtschaftsminister Aiwanger. "Esst mehr Fleisch fürs Klima" fordert der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes und stützt seine Empfehlung auf eine "alternative" Wissenschaft, die die Fleischindustrie nicht als Problem fürs Klima erkennen mag. Nach der Debatte um das "Heizungsverbot" hat der Kulturkampf nun neues Futter.

Anmoderation: Die "Demokratie zurückholen" - drunter macht es der stellvertretende bayrische Ministerpräsident Hubert Aiwanger nicht. Und der Punkt, den er hier erreicht sieht, ist das geplante Heizungsgesetz. Und jetzt wo es da eine Einigung gibt, muss eine neue Bedrohung her: Das Wurstverbot bietet sich an, der verordnete Fleischverzicht, die Vegetarisierung des Abendlandes. Wir haben diese hitzige Debatte mal für sie runtergekocht...

Samstag in Erding. Bei der Großkundgebung gegen "Heizungsideologie" tritt auch der bayerische Ministerpräsident auf. Wie üblich wettert Söder gegen grüne "Umerziehungs-Politik" und seit Neuestem: das Fleisch-Verbot.

Markus Söder, CSU, Ministerpräsident Bayern

"Eine zwangshafte Veganisierung Deutschlands und Bayerns macht keinen Sinn. Ein Leben ohne Schweinebraten mag möglich sein, aber nicht sinnvoll. Wir wollen auch in der Zukunft essen können, was wir wollen, meine Damen und Herren, und uns das nicht vorschreiben lassen."

Vorausgegangen: eine Kampagne vor allem im Boulevard. Nur noch zehn Gramm Fleisch am Tag, umgerechnet eine Currywurst im Monat – mehr soll bald schon nicht mehr erlaubt sein! So sagt es auch Bild-TV:

Bela Anda, ehem. Regierungssprecher (Quelle: Bild, 31.05.2023)

"Wir sollen alle unseren Fleischverbrauch massiv reduzieren auf zehn Gramm pro Tag."

Symbol des Widerstands im Bild-Studio gegen die vermeintliche Öko-Diktatur: die Currywurst. Das Motto: "Ich lass mir das Fleisch nicht verbieten".

Ein Aufreger-Thema, natürlich auch an Berliner Currywurst-Buden:

VoxPops

"Viel weniger Fleisch, viel weniger Wurst soll man essen – ist das was für sie?"

"Nein, gar nicht. Ich hab mein Leben gelebt und Currywurst gehört dazu."

"Da sollen die erstmal da oben anfangen, eine Wurst pro Monat und den Rest den grünen Salat oder so!"

Was aber ist passiert? Die unabhängige "Deutsche Gesellschaft für Ernährung" arbeitet an keinem Verbot, sondern an Empfehlungen: Wie können sich die Deutschen gesund und umweltbewusst ernähren? Das soll künftig mit einem Modell berechnet werden.

Kürzlich stellten die Wissenschaftler ihr Rechenmodell Experten und Verbänden vor, um deren Meinung zu hören. In einer Tabelle konnte man dort auch die zehn Gramm Fleisch am Tag herauslesen.

Das sei aber nur eine vorläufige Beispielrechnung gewesen, versichert der DGE-Präsident.

Prof. Bernhard Watzl, Präsident DGE

"Das sind Zahlen aus einer Betaversion, da werden noch 750 Kommentare, die wir bekommen haben, berücksichtigt. Und insofern macht es keinen Sinn, jetzt wirklich auf zehn Gramm am Tag die Diskussion weiterzuführen, weil wir definitiv so eine Empfehlung nicht machen werden."

Die neue DGE-Empfehlung existiert also noch gar nicht – und wird es so wie behauptet auch nicht geben. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Oliver Vogt aber verbreitete bis gestern das Gegenteil auf seiner Instagram-Seite:

"Was die deutsche Gesellschaft für Ernährung kürzlich für neue Empfehlungen (…) herausgegeben hat, ist an Absurdität kaum noch zu überbieten."

Auf Nachfrage von Kontraste hat Vogt den Satz jetzt ändern lassen. Ein Mitarbeiter habe einen Übertragungsfehler begangen.

"So, das sollte dann ja jetzt für 14 Wochen reichen."

Im angehängten Video aber wettert Vogt weiter über angebliche "Vorschriften, was wir zu essen haben". Nicht unbedingt korrekt, aber erfolgreich: Das Video wurde mehr als eine Million Mal geklickt.

"In diesem Sinne: Guten Appetit!"

Der Kommunikations-Wissenschaftler Christian Stöcker spricht von einem völlig verzerrten Diskurs:

Prof. Christian Stöcker, Kommunikations-Experte, HAW Hamburg

"Da kommt sozusagen auf die erste Desinformation noch die zweite drauf, nämlich dass etwas verboten werden soll. Und das wird dann auch noch sozusagen als Menetekel für die Demokratie an die Wand gemalt. In Wirklichkeit würde ich sagen, die Demokratie leidet primär unter dieser Art von politischen Diskurs, die halt einfach mit drastischen Verzerrungen und Unwahrheiten und Desinformation arbeitet."

Vor allem im bayerischen Landtagswahlkampf lässt sich das derzeit besichtigen. Das Schwarzacher Volksfest in Niederbayern. Auf der Karte: Schweinebraten, Haxe, Schnitzel und Würstl. Auftritt von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger.

Hubert Aiwanger, Freie Wähler, Wirtschaftsminister Bayern

"Zehn Gramm am Tag! Ich habe gesagt, es wird nicht mehr lang dauern, dann streichen sie die nächste Null weg, dann heißt es, noch ein Gramm am Tag, das ist dann noch ein Mehlwurm."

Dass die DGE die zehn Gramm längst dementiert hat, stört den Minister nicht, erklärt er auf Nachfrage von Kontraste.

Hubert Aiwanger, Freie Wähler, Wirtschaftsminister Bayern

"Ich lasse mich hier nicht abwimmeln nach dem Motto: Naja, Aiwanger hat wieder mal überreagiert, sondern das ist Salamitaktik, da steht Ideologie mit dahinter und da steckt eben dahinter auch, den Menschen ständig ein schlechtes Gewissen zu machen, die Ernährung auch ständig mit der Klimapolitik zu verknüpfen."

Tatsächlich ist die Haltung und Verarbeitung von Nutztieren nach UN-Schätzungen für 14,5 Prozent der menschenverursachten Treibhausgase verantwortlich. Auch solche Aspekte will die DGE neben der Gesundheit künftig berücksichtigen.

Dass es jetzt schon so große Aufregung gibt, ist auch sein Verdienst: Eckhard Heuser vom Verband der Milchindustrie. Zum Gespräch hat er ein Glas Milch mitgebracht. Heuser ist Lobbyist für Rinderhaltung. Er war der erste, der die Rechnung: nur eine Currywurst im Monat aufgemacht hat.

Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer Milchindustrie-Verband

"Die neuen Empfehlungen, glaube ich, sind nicht nährstoffausgeglichen, sondern es sind fremde Interessen da drin vorgenommen worden oder eingesetzt worden, und haben die tierischen Erzeugnisse diskriminiert."

Gegen die "Diskriminierung" tierischer Produkte aus Klimagründen wehrt sich Heusers Verband schon seit Längerem. Unter anderem mit diesem PR-Video weidender Kühe - alles angeblich ganz klimaneutral.

"Das CO2, das von den Pflanzen aus der Luft genommen wurde, hat die Kuh gefressen, die daraus Milch macht, die wir Menschen trinken und wieder zurück in die Luft ausatmen. Dieser Kreislauf kann also unmöglich das Klima beeinflussen oder gar erwärmen, denn es ist kein zusätzliches CO2 entstanden."

Kopfschütteln beim Agrarökonomen Matin Qaim. Denn das Video sei grob irreführend.

Prof. Matin Qaim, Agrarökonom, Universität Bonn

"In der Darstellung wird ja unterstellt, dass die Kuh nur das Gras frisst auf der Weide, auf der sie steht. Und was völlig außen vor bleibt, ist, dass die Kuh aber eben nicht nur Gras frisst, sondern dass Kühe und Rinder auch mit einer ganzen Menge Getreide und Soja gefüttert werden. Und das wächst auf Ackerland."

Ganze 60 Prozent des in Deutschland angebauten Getreides wird an Nutztiere verfüttert. Dafür werden riesige Mengen an Düngemitteln verbraucht. Das Düngen selbst, aber auch die Herstellung des Düngers, setzen große Mengen Treibhausgase frei.

Für das Soja, das auch deutsche Rinder fressen, wird in Südamerika großflächig Regenwald gerodet. All das trägt zur Erderwärmung bei.

Hinzu kommt: Wiederkäuer sind alles andere als klimaneutral. Sie stoßen große Mengen Methan aus. Ein Treibhausgas, laut Wissenschaft 28mal so klimaschädlich wie CO2.

Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer Milchindustrie-Verband

"Drei Wissenschaftler, fünf Meinungen, ich habe das auch mal studiert, ich sehe das nicht, dass unsere Kühe das Klima schädigen."

Heusler beruft sich auf diesen Ökonomen, der auch sein Video produziert hat: Honorar-Professor Peer Ederer.

Wir treffen ihn in der Schweiz. Ederers Standpunkt zum Fleischverzehr ist eindeutig:

Prof. Peer Ederer, Ökonom

"Einen Vorteil darin, Fleischprodukte zu reduzieren, können wir nicht erkennen."

Ederer ist rund um den Globus im Sinne der Fleischindustrie im Einsatz: Er verfasst eine positive Stellungnahme zur CO2-Bilanz des weltgrößten Fleisch-Produzenten JBS. Dem kommt das gelegen.

Im April spricht Ederer in Brüssel auf einer Konferenz zur Förderung der Viehhaltung. Und im Mai tanzt er in Südafrika am Rande eines Gipfels der World Farmers' Organisation, in dessen Beirat er sitzt.

Frage Reporter

"Sind sie quasi von der Industrie bezahlt für das, was sie tun?"

Prof. Peer Ederer, Ökonom

"…. Also, ich möchte Ihnen diese Frage nicht beantworten, weil das in einer Einfachheit nicht möglich ist."

Später betont Ederer noch, als Wissenschaftler sei er natürlich unabhängig. Seine Thesen werden verbreitet, auch in Erding, vom Chef des Bayerischen Bauernverbands, einem Milchproduzenten:

Günther Felßner, Präsident Bayerischer Bauernverband

"Tierische Lebensmittel werden über die Photosynthese der Pflanzen in einem biogenen Kohlenstoff-Kreislauf produziert. Und, meine Damen und Herren, esst Fleisch fürs Klima und trinkt Milch für euere Gesundheit. Lasst euch den Quatsch nicht erzählen, dass das schlecht fürs Klima wäre."

Esst Fleisch fürs Klima - die nächste Runde im faktenfreien Kulturkampf ist eröffnet.

Beitrag von Andrea Becker, Silvio Duwe, Chris Humbs und Markus Pohl

weitere Themen der Sendung

Kontraste-Moderatorin Eva-Maria Lemke. Logo Kontraste. Bild: rbb
rbb

Kontraste vom 15.06.2023

+++ Kulturkampf um ein angebliches "Currywurst-Verbot" +++ Volker Wissing und die Autobahnen +++ Nord-Stream-Sabotage: Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung +++ Das "Russische Haus": Kulturzentrum oder Propagandastützpunkt? +++ Moderation: Eva-Maria Lemke +++

Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales, nimmt am Aktionstag Fahrrad am 02.05.2023 im Bundesverkehrsministerium (Bild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)
picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Volker Wissing und die Autobahnen

Für die einen bedeuten sie Freiheit – für die anderen ein Klimaverbrechen. Doch die Autobahnen werden in Deutschland massiv ausgebaut, das hat die Bundesregierung entschieden. Offenbar hat sich hier vor allem die FDP durchgesetzt, die so genannte Autofahrerpartei. Allen voran versucht Verkehrsminister Wissing die Straßenverkehrsplanung zu beschleunigen und das sogar jenseits vereinbarter Klimaziele. Die Partei beruft sich auf Ideologiefreiheit und die Wissenschaft. Doch genau bei der Frage nach den wissenschaftlichen Grundlagen von Straßen- und Spurenausbau mauert das FDP-Ministerium, verweigert sogar Bundestagsabgeordneten wichtige Informationen. Wie gut also sind Wissings Argumente für mehr Autobahnen?

Gasleck nach der Explosion an der Pipeline Nord Stream II, Foto: IMAGO / ZUMA Press
IMAGO / ZUMA Press

Nord-Stream-Sabotage - Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung

Schon Monate vor dem Anschlag hat der US-Geheimdienst CIA die Ukraine davor gewarnt, die Nord-Stream-Pipelines anzugreifen. Don’t do it, "tut das nicht", soll die Botschaft an die Ukraine gelautet haben. Auch die Bundesregierung soll von Warnungen vor einem Anschlag aus der Ukraine gewusst haben. Das ergeben gemeinsame Recherchen von Kontraste, dem ARD-Hauptstadtstudio, dem SWR und der Wochenzeitung "Die Zeit" zusammen mit Kollegen des niederländischen Fernsehens NOS/Nieuwsuur. Auf die Recherchen angesprochen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, man habe "eine sehr frühe Entscheidung getroffen", die Dinge aufzuklären. Alles andere bleibe geheim.

Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin-Mitte (Bild: IMAGO / Nikito)
IMAGO / Nikito

Das "Russische Haus" - Kulturzentrum oder Propagandastützpunkt?

Seit DDR-Zeiten ist das "Russische Haus" als Kulturinstitution in Berlins Mitte etabliert. Bis zu Beginn des russischen Angriffskrieges pflegte man in der deutschen Politik engen Kontakt zu diesem Haus – von der AfD bis zur Linkspartei. Doch dient das Kulturzentrum womöglich als verdecktes Instrument zur Verbreitung der politischen Botschaften des Kreml? Und warum darf es dann schalten und walten, wie es möchte? Denn während die Bundesregierung sogar Generalkonsulate geschlossen hat, bleibt das "Russische Haus" geöffnet. Dabei steht die staatliche Organisation, die das "Russische Haus" betreibt, auf einer Sanktionsliste der EU.

Kontraste-Logo + DGS (Quelle: rbb)

Kontraste vom 15.06.2023 (mit Gebärdensprache)

+++ Kulturkampf um ein angebliches "Currywurst-Verbot" +++ Volker Wissing und die Autobahnen +++ Nord-Stream-Sabotage Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung +++ Das "Russische Haus": Kulturzentrum oder Propagandastützpunkt? +++ Moderation: Eva-Maria Lemke +++