Gasleck nach der Explosion an der Pipeline Nord Stream II, Foto: IMAGO / ZUMA Press
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Nord-Stream-Sabotage - Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung

Schon Monate vor dem Anschlag hat der US-Geheimdienst CIA die Ukraine davor gewarnt, die Nord-Stream-Pipelines anzugreifen. Don’t do it, "tut das nicht", soll die Botschaft an die Ukraine gelautet haben. Auch die Bundesregierung soll von Warnungen vor einem Anschlag aus der Ukraine gewusst haben. Das ergeben gemeinsame Recherchen von Kontraste, dem ARD-Hauptstadtstudio, dem SWR und der Wochenzeitung "Die Zeit" zusammen mit Kollegen des niederländischen Fernsehens NOS/Nieuwsuur. Auf die Recherchen angesprochen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, man habe "eine sehr frühe Entscheidung getroffen", die Dinge aufzuklären. Alles andere bleibe geheim.

Anmoderation: Der Nebel um den Anschlag auf die Nordstream-Pipelines lichtet sich immer weiter - und vor allem um die Frage, wer dafür verantwortlich ist. Seit Monaten recherchieren wir dazu, im März berichteten wir von ersten Spuren, die in die Ukraine führen. Jetzt haben wir in einer gemeinsamen Recherche mit ARD-Kollegen, der Wochenzeitung "Die Zeit" und dem niederländischen Fernsehen NOS herausgefunden: Der US Geheimdienst CIA wusste nicht nur lange vorher, dass ein Anschlag auf die Pipelines aus der Ukraine drohen könnte. Er versuchte sogar aktiv, diesen Anschlag zu verhindern. Die Ermittlungsverfahren zu der Tat könnten schon im Herbst abgeschlossen sein, und dann könnte es unangenehm werden - auch für die Bundesregierung.

Das CIA-Hauptquartier in Langley. Hier fasst man im Juni 2022 einen Entschluss – schon drei Monate vor den Sprengungen in der Ostsee. Der US-Geheimdienst sendet eine Warnung aus – an die Ukraine.

Holger Stark, stellv. Chefredakteur "Die Zeit"

"Die CIA hat sich an die ukrainische Regierung, an das ukrainische Militär, an den ukrainischen Nachrichtendienst gewandt und dort sinngemäß die Botschaft transportiert: Tut es nicht, sprengt diese Pipeline nicht, nehmt Abstand von euren Plänen!"

Das ergeben Recherchen von Kontraste, gemeinsam mit dem ARD-Hauptstadtstudio, dem SWR, der Wochenzeitung "Die Zeit" und dem niederländischen Fernsehen "NOS". Zuvor hatte der niederländische Militärgeheimdienst MIVD westliche Partner gewarnt, darunter auch Deutschland.

Eine Quelle aus der Ukraine soll ihm ein Anschlagsszenario beschrieben haben - mit Details über den angeblich geplanten Einsatz eines sechsköpfigen Kommandos.

Holger Stark, stellv. Chefredakteur "Die Zeit"

"Es sollte ein Boot gemietet werden in einem Anrainerstaat der Ostsee, und mittels Tauchgeräten sollten Sprengsätze an der Nord-Stream-Pipeline angebracht werden. Und das hat die Holländer so alarmiert, dass sie sich daraufhin an die Amerikaner, an die CIA gewandt haben."

Kurz nach dem MIVD-Bericht verschickte die CIA selbst einen Hinweis an Partner, der brisante Details eines möglichen Anschlagsplans enthielt. Direkt unterstellt sei das Kommando ihm gewesen: Walerij Saluschnyj, Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee. Das berichtet die "Washington Post".

Der Anschlag auf Nord-Stream sollte demnach im Juni 2022 im Anschluss an das NATO-Manöver BALTOPS in der Ostsee erfolgen, doch als die Übung endete, geschah: nichts.

Am 6. September stach dann aber die "Andromeda" in See – eine unter falschen Identitäten gecharterte Segelyacht. Ermittlungen zufolge soll sie für den Anschlag genutzt worden sein. Auffällig ist: Was die Polizei herausgefunden hat, deckt sich weitgehend mit den Warnungen der Geheimdienste vor der Tat.

Immer mehr Spuren führen in die Ukraine. Präsident Selenskyj sagt, er habe keinen Befehl gegeben, einen Anschlag auf Nord-Stream zu planen und wisse nichts darüber.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident Ukraine

"Ich glaube, dass unsere Armee und unsere Nachrichtendienste nichts dergleichen gemacht haben. Andernfalls würde ich gern die Beweise sehen."

Im Licht der neuen Erkenntnisse scheint eine Äußerung der niederländischen Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren aus dem März interessant. Laut der Nachrichtenagentur ANP sagte sie schon damals: Die Unterstützung für die Ukraine sei unabhängig davon, ob das Land an der Sprengung der Pipelines beteiligt ist.

Für die Bundesregierung könnte es nun unangenehm werden. Deutschland unterstützt die Ukraine mit schweren Waffen, kennt die Berichte von Polizei und Geheimdiensten aber schon lange.

Kein Thema, über das Kanzler Scholz, gestern auf unsere Recherchen angesprochen, reden möchte.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

"Zunächst mal: Geheimdienstliche Erkenntnisse sind ja geheim. Und wenn es gut läuft, bleiben sie es auch. […] Sie sollten nicht so viel spekulieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Unser Aufklärungsinteresse ist sehr groß."

Bald wird die Bundesregierung Position beziehen müssen: Gestern verkündete der schwedische Staatsanwalt, die Ermittlungen seien in der finalen Phase angekommen. Schon nach dem Sommer könnte die Wahrheit ans Licht kommen. Er sagt: Die These, dass ein staatlicher Akteur hinter dem Anschlag auf die Pipelines steckt, erhärte sich.

Beitrag von Georg Heil und Daniel Laufer

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