Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales, nimmt am Aktionstag Fahrrad am 02.05.2023 im Bundesverkehrsministerium (Bild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)
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- Volker Wissing und die Autobahnen

Für die einen bedeuten sie Freiheit – für die anderen ein Klimaverbrechen. Doch die Autobahnen werden in Deutschland massiv ausgebaut, das hat die Bundesregierung entschieden. Offenbar hat sich hier vor allem die FDP durchgesetzt, die so genannte Autofahrerpartei. Allen voran versucht Verkehrsminister Wissing die Straßenverkehrsplanung zu beschleunigen und das sogar jenseits vereinbarter Klimaziele. Die Partei beruft sich auf Ideologiefreiheit und die Wissenschaft. Doch genau bei der Frage nach den wissenschaftlichen Grundlagen von Straßen- und Spurenausbau mauert das FDP-Ministerium, verweigert sogar Bundestagsabgeordneten wichtige Informationen. Wie gut also sind Wissings Argumente für mehr Autobahnen?

Anmoderation: Von der Wurst zu einem anderen deutschen Lieblingsthema: Dem Auto nämlich. Da hat die Ampel in den Turbo geschaltet: Autobahnen werden verbreitert, ausgebessert und sogar neu geplant - so schnell wie möglich. Tausend neue Autobahnkilometer sollen gebaut werden. Aber: Woher wissen die eigentlich so genau, was wir wirklich brauchen, jetzt und morgen? Da gibt es doch sicher unabhängige Berater, wissenschaftliche Studien, Experten... wer das, wie wir, gern genauer wüsste, vom zuständigen Bundesverkehrsministerium, der fährt dort schnell gegen eine Wand.

Der größte Autobahnneubau Deutschlands. Die Verlängerung der A14 zwischen Magdeburg und Schwerin ist seit 16 Jahren beschlossene Sache – und immer noch bringt sie einige Menschen auf – wie hier in Wittenberge im März dieses Jahres.

"Wir sind hier, wir sind laut, weil die Klimakrise unsere Zukunft klaut."

Frank Heinke ist Mitglied der Grünen und hat die Demonstration organisiert.

Frank Heinke Bündnis 90 / Grüne Wittenberge

"Wir leben in Zeiten der Klimakrise. Jetzt ist es eigentlich viel zu spät für diese Autobahn und es ist Zeit umzudenken. Es ist wichtig, alle Verkehrsmaßnahmen zu prüfen und keine neuen Autobahnen mehr zu bauen."

Ganz anders sieht es der Spediteur Detlev Benecke. Die neue Autobahn schenkt ihm Zeit. Und Zeit bedeutet Geld. Auf die Klimaproteste ist er nicht gut zu sprechen.

Detlev Benecke, CDU-Stadtverordneter und Spediteur

"Verständnis für die Wirtschaft liegt gar nicht vor. Und ich bezweifle natürlich auch, dass die Hirnmasse dieser Menschen teilweise überhaupt in ausreichendem Maße gewachsen ist. Alles soll schneller gehen. Alle bestellen über Amazon, wollen heute bestellen, morgen geliefert haben. Wie soll das gehen? Wir müssen schnell sein. Und das geht natürlich nur mit der Autobahn."

155 Kilometer neue Strecke werden hier gebaut – in der bisher autobahnfreisten Region Deutschlands.

Colbitz in Sachsen-Anhalt: Auch hier - in der einzigen Gaststätte im Ort - ist die Vorfreude auf die neue Autobahn groß.

Frau

"Natürlich freuen wir uns auf die A14. Wir fahren gerne zur Ostsee. Wunderbare Luft. Super."

Der Klimawandel scheint für einige hier eher Nebensache zu sein.

Frau

"Wir wollen alle gutes Klima. Wir wollen ja alle leben. Ich habe nichts dagegen. Aber man soll es nicht übertreiben. Ja, Unwetter und so hat es schon immer gegeben."

Der Autoverkehr ist im Zentrum eines politischen Kulturkampfes angekommen. Das weiß vor allem die FDP. Im Autoland Deutschland lässt es sich punkten mit einer autofreundlichen Politik.

Volker Wissing (FDP) Bundesverkehrsminister, im Januar 2023

"Wir müssen uns beim Aufbau und Ausbau unserer Infrastruktur an den Bedürfnissen unserer Bevölkerung orientieren und dürfen uns nicht ideologischen und politischen Debatten verlieren."

Tatsächlich gibt es für einige Projekte gewichtige Gründe. Doch wie sieht es mit Straßenbauprojekten aus, für die die Ampel den Turbo angekündigt hat?

Es soll schneller gehen: Bei gut 140 Ausbau-Projekten auf fast 1000 Kilometern Autobahn. Wie gut sind die Argumente für Ausbaumaßnahmen wirklich? Wir haben sie uns genauer angeschaut.

Beispiel 1: Mehr Spuren sollen für weniger Stau sorgen.

Wie hier am Frankfurter Kreuz. Das Bundesverkehrsministerium wollte die A5 in einem Teilabschnitt von acht auf zehn Spuren erweitern. Das Land Hessen stoppte das Projekt kürzlich.

Aber helfen mehr Spuren überhaupt gegen Stau? Am Ende nicht, so die Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung, Meike Jipp:

Prof. Meike Jipp, Institut für Verkehrsforschung

"Anfangs sind zusätzliche Spuren durchaus sinnvoll, weil ein flüssiger Verkehr auch weniger CO2 produziert, also Klimaschutzbetrachtung. Wenn ich dann aber praktisch wieder dieses Wachstum von Verkehr auf die Straße projiziere, bekomme ich ja langfristig wieder einen Stau."

Mehr Spuren locken mehr Autos und produzieren damit wieder Stau. Trotzdem setzt die Bundesregierung auf Ausbau – angeblich auf wissenschaftlicher Grundlage.

Bernd Reuther (FDP MdB)

"Es geht natürlich bei der Sanierung von Straßen auch darum, dass man vorher sich genau anschaut. Brauche ich hier eine Spur auf in jede Richtung, mehr oder nicht? Es wird ja jetzt hier nicht einfach so alles ausgebaut, ohne dass es da vorher eine wissenschaftliche Grundlage gegeben hat."

Auf welche wissenschaftliche Grundlage stützt sich das FDP-Ministerium hier? Das wollte der Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori vom Koalitionspartner SPD wissen und die Machbarkeitsstudie zur A5 einsehen.

Kaweh Mansoori (SPD MdB)

"Ich habe sie nicht bekommen, unter anderem mit dem Argument, dass einzelne Aspekte aus dieser Studie herauszugreifen, zu diesem Zeitpunkt nicht zielführend sei. Was zielführend ist, kann ich, glaube ich, als Parlamentarier, dessen Aufgabe es ist, die Regierung zu kontrollieren, ganz gut selbst entscheiden."

Auch wir fragen beim Bundesverkehrsministerium an. Die Antwort fast wortgleich. Die Studie wird verweigert, weil das "nicht zielführend" sei.

Erstaunlich ist: Selbst vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages heißt es:
Es "...konnten jedoch keine Studien gefunden werden, die den zusätzlichen Straßenbau als grundsätzliche Stauvermeidung vorbehaltlos untermauern."

Zweites Beispiel: Bei der Planung neuer Autobahnstrecken verweist Verkehrsminister Wissing immer wieder auf die von ihm beauftragte Verkehrsprognose.

Sie scheint eindeutig: 54 % mehr LKW-Verkehr bis 2051. Ein regelrechter Boom. Ohne neue Autobahnen drohe ein fast apokalyptisches Szenario, behauptet er.

Volker Wissing (FDP), Bundesverkehrsminister, am 3. März 2023

"Wenn diese Leute einkaufen, weil sie essen. Wenn sie zur Arbeit fahren, zur Freizeit fahren, in den Urlaub fahren. Und wenn sie auch im Internet bestellen, dann wird das nicht funktionieren."

Unter Kritikern gilt diese Prognose als nicht mehr zeitgemäß. Statt den Verkehr der Zukunft klimagerecht zu gestalten und das auch mitzuberechnen, halte sich das Ministerium an der Vergangenheit fest, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie.

Prof. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin f. Sozialforschung

"Man rechnet so ein paar demographische Formeln noch ein, behält aber das Verkehrsverhalten der 50er Jahre bei und extrapoliert dieses einfach in die Zukunft. Und schwuppdiwupp ist die Prognose fertig."

Außerdem seien die Grundannahmen der Prognose äußerst fragwürdig. So sei der CO2-Preis für die LKW viel zu niedrig angesetzt und damit zu straßenfreundlich gerechnet, sagen Kritiker. Aber woher kommen diese Annahmen?

Volker Wissing (FDP), Bundesverkehrsminister

"Es gibt da einen begleitenden Ausschuss, in dem diese Prämissen diskutiert werden. Und auf der Grundlage dieser Prämissen kommt man eben zu diesem Ergebnis. Und ich finde, mit diesen Fakten müssen wir uns auseinandersetzen. Das sind wir der Gesellschaft schuldig. Wir können Infrastrukturausbau nicht faktenfrei organisieren, sondern wir müssen ihn faktenbasiert machen."

Wir möchten wissen, von welchen Experten die Fakten in der Prognose geprüft wurden.

Auf Kontraste-Anfrage weigert sich Wissings Ministerium, uns das mitzuteilen. Und sagt lediglich, dass unter den 22 externen Personen neun aus Lobbyverbänden, fünf aus der Wirtschaft und gerade einmal vier Vertreter aus der Verkehrsforschung kommen.

Außerdem gäbe es noch ausländische Ressortvertreter. Wer hier den Einfluss von Wirtschaft und Lobby ausübt, bleibt geheim. Die Begründung ist auch hier erstaunlich:

"Da der Expertenkreis nicht öffentlich tagt, bitten wir um Verständnis, dass wir aus Datenschutzgründen keine personenbezogenen Angaben machen können."

Ideologiefreie Politik hatte Volker Wissing versprochen. Doch wenn diese hinter verschlossenen Türen gemacht wird, bleiben daran erhebliche Zweifel.

Beitrag von Sascha Adamek, Pune Djalilevand und Daniel Donath

weitere Themen der Sendung

Kontraste-Moderatorin Eva-Maria Lemke. Logo Kontraste. Bild: rbb
rbb

Kontraste vom 15.06.2023

+++ Kulturkampf um ein angebliches "Currywurst-Verbot" +++ Volker Wissing und die Autobahnen +++ Nord-Stream-Sabotage: Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung +++ Das "Russische Haus": Kulturzentrum oder Propagandastützpunkt? +++ Moderation: Eva-Maria Lemke +++

Currywurst mit Pommes Frites und Ketchup, Foto: colourbox.de
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Kulturkampf um ein angebliches "Currywurst-Verbot"

Nur zehn Gramm Fleisch pro Tag, gerade mal eine Currywurst im Monat – mehr soll schon bald verboten sein. Dieses Schreckgespenst malen Fleisch- und Milchlobby und so manch ein Politiker seit kurzem an die Wand. Der Übeltäter: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese erarbeitet derzeit neue Empfehlungen zur gesunden und umweltbewussten Ernährung – mehr auch nicht. Doch weil sie vom grün geführten Landwirtschaftsministerium gefördert wird, ist die angebliche "grüne Öko-Diktatur" nicht weit. "Warum muss immer alles verboten werden?" wettert Markus Söder in Bayern. Egal offenbar, dass keinerlei Verbot angedacht ist. Es gibt noch nicht einmal eine neue Empfehlung. Eine drohende "Mangelernährung" erkennt der bayerische Wirtschaftsminister Aiwanger. "Esst mehr Fleisch fürs Klima" fordert der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes und stützt seine Empfehlung auf eine "alternative" Wissenschaft, die die Fleischindustrie nicht als Problem fürs Klima erkennen mag. Nach der Debatte um das "Heizungsverbot" hat der Kulturkampf nun neues Futter.

Gasleck nach der Explosion an der Pipeline Nord Stream II, Foto: IMAGO / ZUMA Press
IMAGO / ZUMA Press

Nord-Stream-Sabotage - Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung

Schon Monate vor dem Anschlag hat der US-Geheimdienst CIA die Ukraine davor gewarnt, die Nord-Stream-Pipelines anzugreifen. Don’t do it, "tut das nicht", soll die Botschaft an die Ukraine gelautet haben. Auch die Bundesregierung soll von Warnungen vor einem Anschlag aus der Ukraine gewusst haben. Das ergeben gemeinsame Recherchen von Kontraste, dem ARD-Hauptstadtstudio, dem SWR und der Wochenzeitung "Die Zeit" zusammen mit Kollegen des niederländischen Fernsehens NOS/Nieuwsuur. Auf die Recherchen angesprochen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, man habe "eine sehr frühe Entscheidung getroffen", die Dinge aufzuklären. Alles andere bleibe geheim.

Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin-Mitte (Bild: IMAGO / Nikito)
IMAGO / Nikito

Das "Russische Haus" - Kulturzentrum oder Propagandastützpunkt?

Seit DDR-Zeiten ist das "Russische Haus" als Kulturinstitution in Berlins Mitte etabliert. Bis zu Beginn des russischen Angriffskrieges pflegte man in der deutschen Politik engen Kontakt zu diesem Haus – von der AfD bis zur Linkspartei. Doch dient das Kulturzentrum womöglich als verdecktes Instrument zur Verbreitung der politischen Botschaften des Kreml? Und warum darf es dann schalten und walten, wie es möchte? Denn während die Bundesregierung sogar Generalkonsulate geschlossen hat, bleibt das "Russische Haus" geöffnet. Dabei steht die staatliche Organisation, die das "Russische Haus" betreibt, auf einer Sanktionsliste der EU.

Kontraste-Logo + DGS (Quelle: rbb)

Kontraste vom 15.06.2023 (mit Gebärdensprache)

+++ Kulturkampf um ein angebliches "Currywurst-Verbot" +++ Volker Wissing und die Autobahnen +++ Nord-Stream-Sabotage Spur in die Ukraine wird zum Problem für die Bundesregierung +++ Das "Russische Haus": Kulturzentrum oder Propagandastützpunkt? +++ Moderation: Eva-Maria Lemke +++