Lesungskritik - Sonneborn und Berg im Berliner Ensemble: Satire oder Wahlkampf?
Die Satirepartei "Die Partei" geht mit Martin Sonneborn und Sibylle Berg an der Spitze in den Europawahlkampf. Das Berliner Ensemble hat ihnen die große Bühne zur Verfügung gestellt. Eine Wahlkampfveranstaltung? Mitnichten! Von Barbara Behrendt
"Die Veranstaltung ist kein Teil der Wahlkampftour", sagt das Berliner Ensemble auf Nachfrage. Und auf der Webseite der Satirepartei "Die Partei" fügen die Verantwortlichen am Nachmittag rasch noch einen Satz hinter die Ankündigung der Show mit dem Titel "Hoffnung": Dass diese Satire-Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Europawahlkampf von "Die Partei" stehe, wird darin aufs Schärfste zurückgewiesen.
Na, dann ist ja gut. Sonst hätte man glatt meinen können, ein subventioniertes Theater böte seine große Bühne zwei Spitzenkandidat:innen (Sibylle Berg und Martin Sonneborn) einer Partei für Wahlkampfzwecke an – nur weil eine der beiden dem Haus künstlerisch verbunden ist: Sibylle Bergs neues Buch kam hier vor wenigen Tagen zur Uraufführung.
"Hier erhalten Sie Informationen zum Europawahlkampf!"
Aber jetzt, da wir Bescheid wissen, dass dies Veranstaltung in keinem, aber auch gar keinem Zusammenhang mit dem EU-Wahlkampf steht, kann uns natürlich auch der Parteistand vor dem Berliner Ensemble mit Sonneborn-Bierdeckeln, Wahl-Flyern, Partei-Programmen und dem Partei-Kader nicht ins Boxhorn jagen: "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger", ruft der Mann auf dem Bertolt-Brecht-Platz ins Mikrofon, "hier erhalten Sie Informationen zum Europawahlkampf. Das können Sie mitnehmen ins Berliner Ensemble. Nehmen Sie jetzt Ihre Plätze ein."
Und auch im Theatersaal ist selbstredend sofort klar, dass es sich keinesfalls um einen Parteipolitiker handelt, der hier aus seinem Buch "Herr Sonneborn geht nach Brüssel – Abenteuer im Europaparlament" liest und erklärt, warum er nicht für Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission gestimmt hat: "Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat erklärt, sie wolle ihre Kommission mit Männern und Frauen besetzen. Wichtiger wäre, paritätisch dahingehend zu besetzen, dass zumindest die Hälfte der Kommissare über ausreichend moralische Integrität verfügt, nicht vorbestraft ist, sich nicht gerade vor einem Untersuchungsausschuss verantworten muss und kein Millionenvermögen besitzt, dass zu Interessenskonflikten führen könnte."
Es muss sich um Satire handeln
Es muss sich also, da hat das Berliner Ensemble ganz Recht, um Satire handeln. Denn falls es, wie man versucht war zu vermuten, eine Lesung wäre, dann hätte Sibylle Berg doch nicht jene Passagen aus ihrer endlosen Hacker-Dystopie "RCE" vorgelesen, die sie selbst schon wieder völlig vergessen hat: "Und nun steht also der Präsidentenpalast in Frankreich an. Und den nimmt man einfach nicht ein. Da ist die RAID, die Recherche Aid Intervention…" Sie reicht Sonneborn das Skript, damit er die Abkürzung mit D liest. Was ist das nur für ein seltsames Wort da im eigenen Text? Sonneborn: "Das? Das hast du dir ausgedacht. Da steht... ist das französisch?"
Es lässt sich auch nur mit Satire erklären, dass Martin Sonneborn zehn, zwölf und, Tatsache, 14 Jahre alte Videos aus der ZDF-heute-show abspielt, in denen er, der clevere Martin, die ach so dumme Bevölkerung veräppelt. Zum Beispiel, als ihn 2010 ein paar doofe Dörfler jedes Zimmer ihres Hauses fotografieren lassen, für, haha, Google-Home nach Google-Streetview.
"Bitte nicht klatschen!"
Klatschen ist übrigens - kein Witz - verboten. "Bitte nicht zwischendurch klatschen. Wir müssen uns hier konzentrieren."
Und weil Sibylle Berg das Plaudern nicht so beherrscht wie ihr munterer Nachbar, klickt sich Martin Sonneborn halt durch seine Archiv-Videos und Sybille Berg liest, so gut sie kann. In die Stille hinein. Ohne Applaus. Zuletzt regnet es Null-Euro-Scheine mit Sonneborns Konterfei vom Bühnenhimmel. Aber: Ist ja kein Wahlkampf. Ein Glück für die beiden Spitzenkandidat:innen. Es wäre ein mieser Auftakt gewesen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.04.2024, 7:15 Uhr