Interview | Vergiftungen durch Kreuzkräuter - "Es gibt zwar keine Panik unter Pferdebesitzern, aber durchaus Angst"

So 05.05.24 | 07:04 Uhr
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Pferd auf einer Koppel mit giftigem Kreuzkraut (Quelle: dpa/Wolfram Steinberg)
Bild: dpa/Wolfram Steinberg

Derzeit blühen am Wegesrand hübsche, aber hochgiftige gelbe Blumen. Es handelt sich um Kreuzkraut. Das hat sich auch auf Koppeln explosionsartig vermehrt und kann so von Weidetieren wie Pferden gefressen werden. Es droht Vergiftungsgefahr.

rbb|24: Hallo, Herr Köhler. Bei Brandenburgs Pferdehaltern soll die Angst vor Vergiftungen mit Kreuzkräutern - also Frühlingskreuzkraut und Jakobskreuzkraut - umgehen. Erleben Sie das auch so?

Michael Köhler: Ja. Es gibt zwar keine Panik unter Pferdebesitzern, aber durchaus Angst und Sorge.

Zur Person

Tierarzt Michael Köhler.(Quelle:privat)
privat

Pferde-Tierarzt - Michael Köhler

Dr. Michael Köhler ist Tierarzt mit einer Praxis für Pferde in Wusterhausen (Dosse).

Werden Sie derzeit regelmäßig zu Pferden gerufen, deren Besitzer befürchten, ihr Tier könnte sich an Kreuzkräutern vergiftet haben?

Es kommt jetzt öfter die Frage, ob man danach im Blut mal schauen könne. Viele haben sich im Internet schon informiert und wissen, dass es durch diese Vergiftungen Veränderungen im Lebergewebe geben kann – die man unter Umständen durch eine Blutuntersuchung nachweisen kann.

Für mich als Tierarzt gehört das zu einer gewissen Routine. Man findet auch immer mal wieder erhöhte Leberwerte. Da schicke ich aber andersherum viele Besitzer auch erst auf die Suche und frage, wie es auf den Koppeln aussieht. Beim Kreuzkraut haben wir aber immer auch die Problematik, dass es im Heu sein kann. Und da ist es genauso giftig wie auf der Weide.

Warum fressen es die Pferde denn im Heu mit? Auf der Weide lassen sie es ja im Regelfall stehen.

Die frische Pflanze schmeckt eher bitter. Dadurch rühren die Weidetiere sie auf der Koppel in der Regel tatsächlich nicht an. Aber durch den Klimawandel und die trockenen Jahre ist auf vielen Weiden der normale Grasbesatz ziemlich geschrumpft. Doch die Kreuzkräuter konnten sich ausbreiten und sind noch da. Da fressen Pferde beispielsweise auch manchmal etwas, was sie normalerweise nicht anrühren würden. Solange die Weide mit viel klassischem Gras zur Verfügung steht, wird aber normalerweise dieses gefressen und das Kreuzkraut bleibt stehen.

Aber wenn wir diesen Sommer wieder wochenlang 30 Grad haben, wissen wir ja, wie die Brandenburger Koppeln aussehen. Da bleibt dann auch vom Kreuzkraut fast nur noch das übrig, was später auch im Heu davon zu finden ist, nämlich die relativ trockene holzige Pflanze. Da ist dann scheinbar auch der bittere Geschmack nicht mehr in dem Maß vorhanden. So hält nichts das Pferd davon ab.

Welche Symptome haben Pferde, deren Leber von den Giften der Kreuzkräuter geschädigt wurde? Was macht Sie als Tierarzt hellhörig?

Bei unklarer Abmagerung eines Pferdes, wo man die Verhältnisse kennt und wo die Tiere gut versorgt werden. Auch bei einer gewissen Kolikhäufigkeit denke ich durchaus darüber nach. Im fortgeschrittenen Stadium reden wir dann von Koordinierungsschwierigkeiten – sogenannten Ataxien. Da taumeln die Tiere richtig.

Wenn ein Tier mit leicht veränderten Leberwerten und nur wenig Abmagerung vorgestellt wird, sieht die Prognose zumindest so aus, dass man das Tier vermutlich am Leben erhalten kann

Michael Köhler

 

Wirkt das Kreuzkraut sofort nach dem Fressen mit einer Vergiftung oder sammelt sich das an?

Es sammelt sich an und das ist auch das große Problem. Denn es wird auch nicht mehr wirklich abgebaut. Gift ist immer eine Frage der Dosis. Und hier muss die Dosis nicht groß sein, wenn das Pferd sie relativ häufig zu sich nimmt. Da sammeln sich die Giftstoffe im Körper an.

Bis zu welchem Zeitpunkt der Vergiftung können Sie ein Tier noch retten?

Das ist schwer zu sagen. Es kommt darauf an, wie stark die Allgemeinstörungen des Tieres sind. Glücklicherweise ist bei den Pferdebesitzern in den vergangenen zehn Jahren das Verständnis für giftige Pflanzen angewachsen. Viele kontrollieren ihre Koppeln. Gute Ställe rufen auch zu Aktionen auf, um Giftpflanzen wie die Kreuzkräuter gemeinsam auszustechen. Durch dieses Bewusstsein kommen die Tierbesitzer, wenn das Pferd Krankheitsanzeichen zeigt, auch selten sehr oder zu spät. Aber es gibt natürlich auch die Fälle, von denen man dann in den Medien liest. Wo dann also Pferde eingeschläfert werden mussten.

Wenn ein Tier mit leicht veränderten Leberwerten und nur wenig Abmagerung vorgestellt wird, sieht die Prognose zumindest so aus, dass man das Tier vermutlich am Leben erhalten kann. Wie leistungsfähig es noch sein wird, ist fraglich. Denn der angesprochene kumulative Effekt des angesammelten Giftstoffes ist ja da. Es hilft also auch nur bedingt, das Pferd von der Koppel zu nehmen und Heu zu füttern, wo mit Sicherheit kein Kreuzkraut enthalten ist. Auch das würde nicht bedeuten, dass das Tier in einem halben Jahr wieder gesund wäre.

Wie viele Ihnen vorgestellte Tiere hatten bisher mit großer Wahrscheinlichkeit eine von Kreuzkraut induzierte Vergiftung?

Da kann ich nur schätzen. Sicherlich sehe ich Tiere mit veränderten Leberwerten. Die gibt es aber auch bei anderen Vergiftungen. Da gilt es dann auch, mit dem Pferdebesitzer nach Koppel und ins Heu zu schauen. Denn gerade das Heu, das muss man sagen, ist ein erheblicher Faktor. Insbesondere da, wo Heu hinzugekauft wird. Wo Bauern mit einer Reitanlage das Heu auf eigenen Flächen machen, können sie selbst so kritisch sein und schauen, was sie mähen. Und auch die Pferdebesitzer können sich die Flächen im Zweifelsfall anschauen. Aber wenn man Heu kauft, das von weiter weg hergebracht wird, kann man das nicht machen.

Aber ich zu einem Kunden komme und sehe, dass auf dessen Koppeln die entsprechenden gelben Pflanzen wachsen, dann kläre ich natürlich auch auf und erläutere das Problem.

Es ist aber keine Massenerkrankung. Ich kann als Tierarzt nicht sagen, ich hätte jede Woche einen Fall mit einer Kreuzkrautvergiftung. Ich kann sie insgesamt glücklicherweise noch an zwei Händen abzählen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

13 Kommentare

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  1. 13.

    Jacobskreuzkraut ist eben kein Neophyt, sondern eine heimische Pflanze.
    Das Hauptproblem sind wir ja selber. Und natürlich ist auch die Flora aus gutem Grund voller toxischer Mitglieder. Fängt schon mit dem einfachen Giftpilz an und hört mit dem blauen Eisenhut auf.
    Wir und auch unsere Kinder leben damit seit wir existieren und es wird nie eine hundertprozentige Sicherheit geben. Wir sollten also das Problem nicht künstlich größer machen als es ist und der Nutztierlobby nach dem bequemen Ruf nach Herbiziden nicht gleich auf den Leim gehen.
    Wir können nicht ständig Kopfschmerzen dadurch bekämpfen, dass wir gleich den Kopf abschlagen. Der Weg ist eine Sackgasse, dass müssen wir Menschen endlich langsam mal begreifen.

  2. 12.

    Im vorherigen Interview dazu sagte der Referent des Bauernverbandes:
    "Das Problem mit diesem Kraut ist, dass sich seine Giftstoffe toxisch auf Menschen und Tiere auswirken können."
    (www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/04/kreuzbluetler-fruehlingskreuzkraut-jakobskreuzkraut-weidetiere.html)
    Der Interviewer ging darauf nicht ein, dass auch Menschen betroffen sind. Jetzt erneut: Menschen kommen nicht vor. Nichts gegen Pferde und Kühe, aber Kreuzkräuter, auch in Städten, sind giftig für Menschen. Kinder spielen gerne mit Blütenpflanzen. Schon das Anfassen ist giftig. Die Gifte reichern sich an und wirken nicht sofort, sind karzinogen. Es ist die Unversehrtheit von Menschen, speziell von Kindern in Gefahr! Es fehlt ein allgemeines Problembewusstsein, da die Pflanzen teils neophyt sind.
    Frage: Warum geht der rbb dem nicht nach und befragt Experten auch mal dazu?
    Danke für's Veröffentlichen.

  3. 11.

    Ob Löwenzahn oder Kreuzkräuter, es gibt sie. Die Gewinner des Klimawandels. Für alle Nichtstuer „die Natur macht das schon“: Stehen lassen und hoffen? Wenn nicht, wird die „Schiedsrichterfunktion“ des Menschen also doch anerkannt? Und was ist mit der „Schiedsrichterdiversität“? Denn es gibt ja unterschiedliche Gründe, das oder jenes zu tun...

  4. 10.

    Es geht hier aber nicht um die Masse an gehaltenen Pferden, sondern um das Risiko von Vergiftungen. Wenn Ihnen die Empathie fehlt, den Unterschied zu erkennen, ist Ihnen auch nicht mehr zu helfen.

  5. 9.

    Es gibt eh zu viele Pferde hier in Brandenburg.
    Alle beklagen zu intensive Landwirtschaft durch Kühe, zum Beispiel, aber keiner sieht, dass die Pferde auch in der Masse hier gar nichts in der Natur zu suchen haben.

  6. 8.

    Frisch ist es gallebitter und kein Tier rührt es an außer die natürlichen, gegen das Toxin resistenten, Fressfeinde.
    Das Problem ist, dass vertrocknete Jacobskreuzkräuter offenbar ihre Bitterstoffe verlieren und dann auch von nicht Fressfeinden gefressen werden. Summiert bedeutet nur, dass das Toxin nicht wirklich abgebaut, sondern nur in der Leber abgelagert wird und sich pro Aufnahme die Konzentration erhöht. Je nach Höhe treten nun die beschriebenen Symptome bis hin zum Tod auf.
    Vergleichbar mit Arsen oder Quecksilber beim Menschen.

  7. 7.

    Aber hier reden wir von heimischen Arten. Das heißt das Neobiota-Rückwirkungsrisiko haben wir im Gegensatz zu Neuseeland und Nordamerika nicht.
    Und der Anpassungsdruck des Klimawandels in Verbindung der Nutztier-Lobby wird früher oder später nach (billigen chemischen) Lösungen, weiter zu Lasten der Natur, drängen, die nun niemand wirklich brauchen kann.

  8. 6.

    Das stimmt schon - aufsummiert.
    Aber Herr Dr. Köhler nannte Anreicherungen in der Leber.
    Als nichts von Pferden Verstehende gehe aber erstmal davon aus, dass sich die Tiere unwohl fühlen müssen, irgendwie Bauchweh oder so etwas in dieser Art bekommen, still (leiden?) oder sich doch auffällig zeigen oder bemerkbar machen. Der Volksmund sagt den Pferden einiges an Duldungsfähigkeiten voraus, aber es fängt zumindestens mit kleinen Schmerzen an: ich würde tippen auf Bauchweh oder Magenschmerzen. Und das kluge Tier reagiert halt darauf: Das muss ich mir nicht noch einmal antun - also eine gewisse Vermeidungsstrategie wird das schon bewirken. Und dann bleiben eben die Jakobskräuter stehen - im besten Fall.

  9. 5.

    Das Problem mit Kreuzkräutern ist keinesfalls neu, sondern besteht weit über ein Jahrzehnt. Als Einsteller habe ich mal einen Stallbesitzer auf diese Pflanzen aufmerksam gemacht und vor ihrer Giftigkeit gewarnt, der Pensionsbetreiber hielt die Pflanze aber für Kamille. Tja, giftig war sie trotzdem, gefährlich vor allem durch die schleichende Anreicherung in der Leber.
    Was gern vergessen wird, auch für Menschen ist das Kraut giftig, z.B. wenn es Ackerflächen verunreinigt und auf diese Art in den Nahrungskreislauf gelangt. Die Blätter des Kreuzkrauts sind auch schon mit Rucola verwechselt worden, Rückruf im Supermarkt war die Folge.
    Anfragen bei Grünflächenämtern zwecks Entfernung an Straßen etc. wurden regelmäßig abgewiegelt.
    Absammeln hilft, dabei muss aber die ganze Pflanze incl. Wurzelwerk gerupft werden. Dazu Handschuhe tragen. Anschließend die Pflanzen verbrennen / Restmüll, nicht auf den Kompost.
    Eingeschleppt wurde die Pflanze mal, weil sie hübsch gelb blüht.

  10. 4.

    Nennt man Invasionsbiologie. Komplexes Thema. Ging auch schon oft genug nach hinten los und nicht unbedingt eine gute Idee.

  11. 3.

    Das Jakobskreuzkraut wurde in Nordamerika und Neuseeland eingeschleppt und dort erfolgreich mit den ebenfalls importierten Fressfeinden Blutbär und Flohkäfer bekämpft.
    Also müssen wir doch als Ursprungsregion nur für eine entsprechende Population der Raupe und des Käfers auf den Wiesen sorgen und so die zyklische Ausbreitung eindämmen.
    Solange man mit Augenmaß vorgeht und nicht wieder versucht mit absoluter Sicherheit wichtige Biotope für unsere menschlichen Zwecke zu entfremden, ist die Aktivierung der natürlichen Gegenspieler immer der rückwirkungsminimale und damit best verträglichste Ansatz.

    Die Bekämpfung von Jacobskreuzkraut, Gefleckter Schierling, Taumel-Kälberkropf und Schachtelhalme wird aber von Biologen im Kern zu Recht sehr kritisch und kontrovers diskutiert.

  12. 2.

    Ich kenne das so, dass die Tiere für sie giftige Pflanzen auf keinen Fall fressen.
    Wenn wirklich einmal die ganze Weide ausgetrocknet sein sollte, liegt es an den Tierbesitzern, zuzufüttern!

  13. 1.

    Sehr geehrtes rbb24-team, schön, dass ihr die andere "Seite" des Frühlings-/Jakobskreuzkrauts beleuchtet habt. Denn durch mehrere Beiträge ist ja schon bekannt geworden, das diese Art Kräutlein den Weidetieren/Pferden nicht so gut bekommt. Wie dies nun konkreter einzuschätzen ist, wurde in dem Interview dargelegt. Meine Vermutung, dass man doch die Weiden zu einem bestimmten Zeitpunkt regelrecht absammeln müsste, hat sich damit bestätigt. Den Start stelle ich mir schon recht mühsam vor, aber Pferdeliebe zeigt sich dann auch, dass jeder 'Besuch' ohne zu murren, einen Gang über ihm evtl. zugewiesene Fläche/n absolvieren muss; es hilft ja alles nichts. Die festen Freundschaften zu den edlenTieren sollten es aber wert sein. Aber die großen Verbreitungsfähigkeiten dieses Krauts sind damit noch nicht beschränkt, vermutlich muss man die Frühjahrsputz-Initiativen, die es ja schon häufig gibt, auf die Beseitigung dieser nicht in Massen erwünschten "Wildkräuter" im Ort/Dorf/Siedlung ausdehnen.

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