Der Aufstieg der Hamas -
Wer den Terror der Hamas verstehen will, muss ihre Ideologie kennen – und dafür fast 100 Jahre zurückblicken. Denn sie ist quasi der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft, die einst mit Hitlers Judenhass und Vernichtungsfantasien per Radio aus Deutschland gefüttert wurde. Die Hamas-Gründungscharta von 1988 ist eindeutig: "Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt."
Beitrag von Georg Heil, Henrike Reintjes und Lisa Wandt
Anmoderation: Die Debatten, die über diesen Krieg geführt werden, sind selten sachlich und fast immer sehr emotional. Da hilft es, mal ganz kurz zurückzutreten, den Blick zu weiten: Denn auch wenn die Lage gerade hoffnungslos wirkt, es gab ja mal diesen Moment, in dem ein dauerhafter Frieden möglich schien. Warum ist er gescheitert? Wer ist diese Hamas eigentlich - und woher rührt ihr abgrundtiefer Hass auf die Juden? Das hat dann viel mehr mit unserer eigenen Geschichte zu tun, als vielen bewusst ist.
Der Terroranschlag vom 7. Oktober war nur der Anfang, wenn es nach der Hamas geht. Kurz nach den brutalen Morden kündigt der ranghohe Hamas-Funktionär Ghazi Hamad an:
Ghazi Hamad, Hamas-Funktionär
"Das war nur das erste Mal, es wird ein zweites, ein drittes und viertes Mal geben."
Wer diesen Terror verstehen will, muss die Ideologie der Hamas verstehen – und dafür fast 100 Jahre zurückblicken.
Kaum einer kennt Israel und die Geschichte des Nahost-Konflikts besser als Richard C. Schneider. Seit fast 20 Jahren lebt er in Tel Aviv, berichtete für die ARD und andere Medien, nun als Autor für den Spiegel.
1928 gründet sich in Ägypten die Muslimbruderschaft, als Reaktion auf die westliche Vorherrschaft.
Richard C. Schneider, ehem. Studioleiter ARD Tel Aviv
"Die Muslimbruderschaft hatte sich schon sehr früh in den dreißiger Jahren mit dem Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, zusammengetan im Kampf gegen die Zionisten. Amin al-Husseini ist nach Berlin gereist zu Adolf Hitler, in der Hoffnung, dass die Nazis ihnen dabei helfen, die Juden, die Zionisten aus Palästina wieder zu vertreiben. Also es gab von Anfang an dieses antijüdisch antizionistische Element."
Ausgerechnet die Nazis waren es, die von 1939 bis 1945 den arabischen Raum mit ihrer Ideologie beeinflussten. Über einen Radiosender in Berlin. Radio Zeesen.
"Achtung, Achtung, hier ist Berlin Königs-Wusterhausen und der deutsche Kurzwellensender."
Richard C. Schneider, ehem. Studioleiter ARD Tel Aviv
"Der hat vor allem auch nach Palästina auf Arabisch die Ideologie der Nazis verbreitet. Das wurde zum Teil von der Muslimbruderschaft mit übernommen. Und der große Vordenker der Muslimbruderschaft, Sayyid Qutb, hat 1950 einen Text geschrieben, der hieß "Unser Kampf gegen die Juden", indem er antijüdische Elemente aus dem Islam, dschihadistische Elemente und diesen eliminatorischen, Antisemitismus der Nazis da zu einer neuen Mixtur zusammengefügt hat. Und das wirkt bis heute nach."
Die Hamas gründete sich als palästinensischer Ableger der Muslimbruderschaft erst Ende 1987, fast zeitgleich zur ersten Intifada. In ihrer Gründungscharta beruft sich die Hamas auf ein weit verbreitetes, dem Propheten Mohammed zugeschriebenes Zitat, demzufolge der jüngste Tag nicht kommen werde…
Zitat
"(…) bevor die Muslime die Juden bekämpfen und töten und bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken, und die Steine und Bäume dann sagen: Muslim, oh Diener Gottes! Da versteckt sich ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn (…)."
Hamas-Gründungscharta 1988
Judenhass bis zur Vernichtung – das ist die Ideologie der Hamas. Doch zunächst sieht es so aus, dass es dazu nicht kommen wird.
Denn 1993 keimt die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden auf. Eine Zweistaatenlösung scheint in greifbarer Nähe.
Es kommt zum historischen Handschlag zwischen Israels Premier Yizhak Rabin und Palästinenser-Führer Jassir Arafat.
Unter Israels Hardlinern regt sich dagegen Widerstand. Auf einer Demonstration im Jahr 1995 spricht der Oppositionspolitiker und heutige Premier Benjamin Netanyahu, Gewalt liegt in der Luft. Rabin wird von Radikalen als Nazi portraitiert:
"Rabin Nazi, Rabin Nazi, Rabin Nazi"
Wenig später erschießt ein jüdischer Rechtsextremist Yizhak Rabin. Dessen Witwe beschuldigt die Radikalen um Netanyahu später, eine moralische Mitverantwortung an dem Mord zu tragen.
Leah Rabin
"I do blame them. They showed him in the uniform of a Nazi. So Mr. Bibi Netanyahu now he can say from here to eternity that he didn’t support it and didn’t agree with it. But he was there, he saw it and he didn’t stop it."
"Ich gebe ihnen die Schuld. Sie haben ihn in einer Nazi-Uniform gezeigt. Netanyahu kann bis in alle Ewigkeit sagen, dass er sie nicht unterstützt hat und damit nicht einverstanden war. Aber er war da und er hat es nicht unterbunden."
Nach dem Mord sinkt Netanyahus Ansehen in Israel zunächst. Doch dann sprengen sich Selbstmordattentäter der Hamas in Jerusalem und in Tel Aviv in die Luft – die Stimmung in Israel kippt. Rechte Hardliner gewinnen an Einfluss.
Richard C. Schneider, Ehemaliger Studioleiter ARD Tel Aviv
"Diese Terroranschläge wurden der Linken zur Last gelegt und damit wählte man dann rechts, weil man meinte, wenn man rechts wählt, hat man dann die richtige Antwort gegen diesen unglaublichen Terror in den eigenen Städten und so kam Netanyahu an die Macht."
Netanyahus Aufstieg also auch eine Folge des Hamas-Terrors.
2000 dann kommt es in Camp David in den USA erneut zu Friedensgesprächen. Diesmal zwischen Arafat und Israels Premier Barak. Doch ein geplantes Abkommen platzt.
Bill Clinton, ehemaliger US-Präsident, 2016
"I killed myself to give the Palestinians a state. I had a deal they turned down. That would have given them all of Gaza and between 96-97% of the West Bank."
Übersetzung: "Ich habe echt alles gegeben, um den Palästinensern einen Staat zu geben. Ich hatte einen Deal, den sie abgelehnt haben. Der hätte ihnen den ganzen Gazastreifen sowie 96-97% des Westjordanlands gegeben."
2005 wird unter Premier Ariel Sharon einseitig der Rückzug aus dem Gazastreifen beschlossen. Netanyahu, der nun Finanzminister ist, stimmt erst dafür, tritt dann jedoch aus Protest dagegen zurück.
In Gaza selbst beginnt nun der Machtkampf. Auf der einen Seite die Fatah von Arafats Nachfolger Abbas, auf der anderen die Hamas.
2006 wird gewählt:
Hamas-Sprecher Hamad, der kürzlich erst weitere Anschläge wie den vom 7. Oktober ankündigte, gibt sich damals im Wahlkampf lammfromm.
Ghazi Hamad (2006)
"We are a moderate organisation. Really, we are not a radical organisation. And we are not extremist or fundamentalist. No. We are an open-minded organisation. We believe in democracy and freedom and political pluralisation"
"Wir sind eine gemäßigte Organisation, wirklich, wir sind keine Radikalen, Extremisten oder Fundamentalisten. Wir sind eine weltoffene Organisation. Wir glauben an Demokratie, Freiheit und Pluralismus."
Die Hamas wird im Gazastreifen stärkste Kraft – und geht eine Koalition mit der Fatah ein. Doch diese hält nur kurz.
Richard C. Schneider, ehem. Studioleiter ARD Tel Aviv
"Und dann kam es 2007 zum sogenannten Putsch, wo die Hamas die Fatah aus Gaza gewaltsam in einem Bürgerkrieg rausgedrängt hat. Ich war damals in diesem Bürgerkrieg als Korrespondent. Die berühmten Bilder, wo die Hamas Fatah Leute auf die Dächer der Häuser geholt hat und sie von dort einfach runter geworfen hat, das sind Bilder, die man wirklich nicht mehr vergisst. Und das war's. Und in dem Augenblick, wo die Hamas das Sagen hatte, wurde natürlich der Kampf gegen Israel verstärkt intensiviert."
Die Hamas kam manchen israelischen Hardlinern gerade Recht, weil sie mit ihrem Terror gute Argumente gegen einen Palästinenserstaat lieferte.
Bezalel Smotrich, Knesset-Abgeordneter
"Die Palästinensische Autonomiebehörde ist für uns ein Hindernis und die Hamas ist für uns von Wert. Es ist eine Terrororganisation, niemand wird sie anerkennen."
Der Mann, der das 2015 offen einräumte, ist heute unter Netanyahu Finanzminister. Ein Radikaler, dem die Extremisten auf der anderen Seite offenbar gut zu Pass kamen.
Ein eigener Staat – der Terror der Hamas hat die Palästinenser diesem Ziel kein Stück nähergebracht.
Richard C. Schneider, ehem. Studioleiter ARD Tel Aviv
"Wenn die damals keine einzige Rakete abgefeuert hätten auf Israel. Und die enorme Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft auch die finanzielle Unterstützung genutzt hätten und hätten Gaza, ich sag jetzt mal ein bisschen salopp, zu einem palästinensischen Singapur aufgebaut, dann hätten die wahrscheinlich längst ihren Staat. Weil die internationale Staatengemeinschaft dann wahrscheinlich ganz anders hätte Druck machen können auf egal welche israelische Regierung und hätte sagen können: Guck mal, geht doch!"