Palästinenser mit Hamas-Flagge. Bild: JOHN MACDOUGALL/AFP
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Der Krieg auf Tiktok und Co. - Hat die Hamas den Propagandakrieg schon gewonnen?

Grauenvolle Bilder aus dem Krieg, unerträgliche Szenen, unendliches Leid: Im Sekundentakt informieren Tiktok, Instagram und X über das, was in Israel und in Gaza passiert. Doch was davon ist wahr, was vielleicht aus dem Kontext gerissen und was ist schlicht falsch? Wer ist Opfer, wer Täter? Längst führt die Terrororganisation Hamas ihren Krieg gegen Israel auch über die Sozialen Medien. So versuchen sie, das Bild in den Köpfen der Welt zu prägen. Unterstützung kommt von Hamas-Freunden und Influencern weltweit. Dabei drohen die israelischen Opfer immer mehr unterzugehen.
 
Beitrag von Daniel Donath, Chris Humbs und Daniel Laufer
 
In einer früheren Version hieß es: „In einem Kibbuz wurden 40 Kinder grausam ermordet.“ Das war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Stand der Berichterstattung. Kurz danach gab es Berichte, die die konkrete Zahl 40 in Frage stellten. Daher wurde die Zahl 40 aus dem Beitrag entfernt.

Anmoderation: Die Botschaft, die die Terrororganisation damit setzte, ist brutal eindeutig: Sie ist immer noch in der Lage, zuzuschlagen. Dieser Krieg wird auch mit Botschaften, Bildern und Symbolen geführt - und auf dem Schlachtfeld der sozialen Netzwerke. Auf dem bewegt sich die Hamas sehr erfolgreich. Für viele - vorallem jüngere - sind Tiktok und Instagram die einzige Informationsquelle. Umso gravierender also, wenn die Clips und Bilder dann gar nicht echt sind. Wie dieses hier – erst auf den zweiten Blick sind da sechs Finger zu sehen – unter anderem an diesem kleinen Fehler erkennt man: Dass dieses Bild von einer künstlichen Intelligenz herausgerechnet wurde Das Kind auf diesem Foto existiert überhaupt nicht…aber trotzdem ist es ... ein starkes Bild.

Eine Demo in Berlin. Neben Israel richtet sich die Wut der Demonstranten hier gegen die Medien.

Demonstrant mit Lautsprecher

"Deutsche Medien lügen, lasst euch nicht betrügen."

Kontraste

"Kann ich Sie was fragen?"

Demonstrant mit Lautsprecher

"Nein! Deutsche Medien lügen! Lauter, Lauter! Er will mit uns sprechen aber wir wollen nicht sprechen."

Auf solchen Demos hören wir immer wieder den Vorwurf: deutsche Medien seien parteiisch und würden bewusst nicht über das Leid der Zivilisten in Gaza berichten.

Demonstrant mit Handy

"So geht es der palästinensischen Bevölkerung. So geht es den Kindern da. Der Regierung ist das natürlich egal. Solche Bilder werden von den Medien nicht gezeigt."

Eine falsche Behauptung. Seit Kriegsbeginn berichten Medien auch intensiv über zivile Opfer in Gaza. Der Kampf darüber, welche Bilder sich in die Köpfe einbrennen sollen, wird vor allem im Netz geführt. Der Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler sieht in den sozialen Medien ein zentrales Schachtfeld der Hamas.

Hans-Jakob Schindler, Senior Director Counter Extremism Project

"Natürlich muss der Hamas klar gewesen sein, am 6. Oktober, bevor sie den Angriff machen, dass wenn sie so einen pogromartigen Terroristenangriff auf Israel machen, dass Israel mit aller Härte militärisch zurückschlagen wird. Also war von Anfang an klar: Es wird hier ein Krieg auf zwei Ebenen geben. Einmal die militärische Frage – und das andere die Propagandafrage, und zwar von der ersten Sekunde des Angriffes ist die Propaganda Teil der Strategie der Hamas gewesen."

Wie wirkmächtig die Propaganda-Botschaften der Hamas sind, zeigt ein Blick in die sozialen Medien.

Influencer, die vor allem über Lifestyle und Mode posten, melden sich seit Wochen zum Gaza-krieg zu Wort – und werden hunderttausendfach geklickt.

So wie die Influencerin Nora Achmaoui:

Nora Achmaoui

"Hallo Deutschland – kurze Politikstunde, weil Deine Berichterstattung so einseitig ist."

In einem Post auf Instagram verdreht sie die Rolle der Terrororganisation Hamas:

"Hamas ist nicht dafür verantwortlich was heute passiert. Hamas existiert, weil Palästinenser einen aktiven Widerstand benötigen."

Und die Influencerin Sara Nagato ruft ihre Anhänger auf, große Firmen zu boykottieren, die Israel unterstützen sollen.

Vor allem über TikTok und Instagram verbreiten sie ihre Botschaften. Dieser Influencer wirft Israel eine gezielte Ermordung der Palästinenser vor.

Serhat Sisik

"Dieses Land Israel ist Terrorstaat Nummer eins. […] Ihr verteidigt den Genozid der Israelis an der palästinensischen Bevölkerung und redet mit keiner einzigen Silbe darüber, was für ein Völkermord dort überhaupt stattfindet."

Und der Berliner Clan-Chef Arafat Abou-Chaker geht in einem TikTok-Livestream mit Salafisten-Prediger Pierre Vogel sogar noch weiter.

Arafat Abou-Chaker, Clan-Chef

"Ich sag dir ganz ehrlich: Für mich ist so ein Adolf Hitler besser als Netanjahu."

Der Pädagoge Burak Yilmaz berät die Bundesregierung zu Antisemitismus und arbeitet mit Jugendlichen. Die Nutzen Apps wie TikTok inzwischen wie Google.

Burak Yilmaz, Antisemitismusberater der Bundesregierung

"Viele sagen: Ich mache meine TikTok-App auf und dann gebe ich Israel ein. Ich gebe Gaza ein. Und dann gucke ich, was da halt kommt. […] Und genau da ist eigentlich das Problem, weil TikTok erstens die Affekte der Jugendlichen anspricht und nicht zum Nachdenken anregt, sondern sie eigentlich mit einer sehr einseitigen Berichterstattung ja schon fast vollballert die ganze Zeit. Und auf der anderen Seite führt das halt eben dazu, dass in ihrer Meinungsbildung, dass da die Emotionen sehr stark im Vordergrund stehen."

Erstellt werden solche Inhalte von unterschiedlichen Akteuren, sagt Terrorismusexperte Schindler – darunter auch welche, die nur auf Klickzahlen schielen.

Hans-Jakob Schindler, Senior Director Counter Extremism Project

"Für Hamas ist es grundsätzlich nicht wichtig, ob das jetzt ein kommerzieller Trittbrettfahrer ist, ein ideologischer Trittbrettfahrer, ein Unterstützer oder Sympathisanten, solange ihre Grundnarrative 'Wir sind die Opfer, die Israelis sind die Täter' bedient werden."

Hamas selbst produziert eigene Bilder, wie sie aussehen war am vergangenen Freitag zu sehen: bei der Freilassung der israelischen Geiseln. Die Terroristen inszenieren sich als freundliche Helfer. Ein Gesicht, mit dem sich die Hamas heute in der Öffentlichkeit präsentiert.

Ein starker Kontrast zu den Bildern vom 7. Oktober – Der Überfall auf Israel, aufgenommen von den Bodycams der Terroristen.

In einem Kibbuz wurden Kinder grausam ermordet. Ein totes Baby soll nach Aussagen eines israelischen Ersthelfers danach in einem Backofen gefunden worden sein.

Manche Influencer gehen auf diese Morde ein – mit purer Menschenverachtung, so wie die Beauty Influencerin Warda Anwar.

Warda Anwar

"Jedes Mal, wenn ich an die Geschichte mit dem Baby im Ofen denke, stelle ich mir die Frage, ob sie es mit Salz oder Pfeffer gewürzt haben?"

Seit dem Israel in Gaza Krieg gegen die Hamas führt, dominieren solche Bilder die sozialen Medien. Aufgenommen von Bloggern und Influencern, wie Saleh Aljafarawi. Er zeigt ohne weiteren Kontext vor allem Kinder, die wohl Opfer israelischer Militärschläge wurden.

Sie werden weltweit millionenfach verbreitet. Ein Grund dafür ist die Funktionsweise sozialer Medien.

Burak Yilmaz, Antisemitismusberater der Bundesregierung

"Wenn ich zum Beispiel bei TikTok ein totes Kind sehe und das emotionalisiert mich, das macht mich wütend, das macht mich traurig und dann like ich das oder ich kommentiere das. Spätestens das übernächste Video zeigt nochmal das nächste tote Kind. Und dann kann man eben – indem der Algorithmus merkt: 'Ah, das spricht diese Person an!' – kommen diese Videos immer häufiger."

Die israelische Regierung hat entschieden besonders grausame Bilder israelischer Terroropfer nicht zu veröffentlichen, um die Würde der Opfer zu achten. Dadurch entsteht im hoch emotionalisierten Raum von TikTok und Co ein Propagandavorteil für die Hamas.

Die wiederum kalkuliert bewusst mit dem Tod palästinensischer Zivilisten, wie der Hamas-Chef sogar offen einräumt.

Ismail Hanija, Hamas-Oberhaupt

"Wir brauchen dieses Blut, um den Geist der Revolution in uns zu wecken."

Ob Aljafarawi im Auftrag der Hamas arbeitet, lässt sich nicht sagen. Er selbst bezeichnet sich auf Instagram als unabhängiger Journalist. Am Tag des Terroranschlags bejubelt der vermeintliche Journalist die Raketenangriffe auf Israel.

Saleh Aljafarawi

"Es ist der schönste Morgen in Gaza seit Jahren. Gott ist groß."

Im Sommer inszeniert er sich als Kämpfer.

Aljafarawis Reichweite auf Instagram war enorm, mehr als drei Millionen Nutzer folgten ihm. Kurz nachdem Kontraste beim Instagram Konzern Meta nach Aljafarawi fragt, verschwindet sein Account.

Wir sind bei den Faktencheckern der Tagesschau. Hier werden Bilder und Videos auf ihre Echtheit geprüft.

Pascal Siggelkow, ARD-Faktenfinder

"Hier ist ein Bild zu sehen, wo ein junges Kind auf den Boden liegt, vermutlich tot. Hier steht dazu, dass es angeblich zwei palästinensische Geschwister sein sollen, die eigentlich nur Wasser holen wollten und dabei getötet wurden von einem israelischen Soldaten."

Israelische Scharfschützen ermorden palästinensische Kinder. So die Botschaft. Das Bild ging einmal um die Welt und sorgte für viel Empörung. Tatsächlich ist das Foto mit dieser Story ein Fake. Es ist im Jemen entstanden.

Pascal Siggelkow, ARD-Faktenfinder

"Wenn man dann auf die Quelle geht von diesem Bild, dann kommen wir auf einen arabischen Artikel. Und hier sehen wir, dass dieses Bild zum Beispiel bereits im Juli 2021, also vor mehr als zwei Jahren, hochgeladen wurde."

Dieses Bild ist generiert von der Künstlichen Intelligenz, unter anderem erkennbar an den sechs Fingern. Noch übersieht die KI solche Feinheiten.

Dennoch verbreiten sich in den sozialen Medien solche Bilder – meist mit dramatischen Texten. Links ein weiteres Fake Bild.

Pascal Siggelkow, ARD-Faktenfinder

"Dann sieht man hier bei dem Fuß von dem Mann: Da hat er, würde ich sagen, ungefähr acht Zehen. Das Kind in der Mitte hat nur drei Zehen. Wenn wir dann hier oben auf das Kind gehen, was auf den Schultern sitzt, das Mädchen, da fragt man sich ein bisschen: Wo sollen die Beine von ihr eigentlich sein? Weil die sind nicht zu sehen. Eigentlich müssten die ja hier irgendwo um den Hals des Vaters sein, aber da sind nur die Arme der Kinder. Das ist auch noch mal ein Beispiel dafür oder ein Hinweis darauf, dass das einfach falsch ist.

Die Flut an Falschmeldungen wird auch dadurch begünstigt, dass anfangs kaum unabhängige Journalisten aus Gaza berichten konnten. Einer der wenigen, der es durch Unterstützung der israelischen Armee in den Gazastreifen schaffte, ist Paul Ronzheimer, Chefreporter von Bild. Kurz konnte er von den Kämpfen berichten.

Paul Ronzheimer, Chef-Reporter "Bild"

"Wir hören im Hintergrund immer noch hier Gewehrfeuer und immer wieder Explosionen."

In den sozialen Medien wird aber an der Echtheit von Ronzheimers Reportage gezweifelt. Ein YouTuber behauptete, dass der "Bild"- Reporter gar nicht in Gaza war. Seine Reportage sei vor einem Greenscreen aufgezeichnet.

Das Video wurde auf allein auf X fast 160.000-mal gesehen. Geteilt, auch von der Sängerin und Moderatorin Nina Maleika.

Nina Maleika

"Diese Ratte von Paul Ronzheimer von der 'Bild'-Zeitung stellt sich in einer zum kotzenden, ekeligen Attitude angeblich in die Trümmer von Gaza und berichtet und du hast das Gefühl, der Typ ist ein Schauspieler. Mhua, mhua. Es ist unfassbar."

Längst ist geklärt, dass die Reportage nicht vor einem Greenscreen aufgenommen wurde. Ronzheimer war in Gaza. In einer Schalte mit uns aus Tel Aviv zeigt er sich besorgt darüber, wie schwer es ist eine solche Falschbehauptung aus der Welt zu bekommen.

Paul Ronzheimer, Chefreporter "Bild"

"Ich habe persönlich so einen Greenscreen-Vorwurf noch nie erlebt und war erschüttert davon, was daraus entstanden ist. Und das bedeutet für mich, dass wir echten Gefahren ausgesetzt sind in der Gesellschaft. Gleichzeitig hat es mir gezeigt, dass leider sehr viele, die das glauben wollen, auch davon nicht abgehalten werden können – egal was ich dann als Reporter an Videos und Belegen präsentiere."

Wir treffen Nina Maleika, wollen von ihr wissen, ob sie bei Paul Ronzheimers Reportage immer noch von einer Täuschung ausgeht.

Nina Maleika

"Wenn mir irgendjemand beweist, dass er da war, nehme ich das sofort runter. Und dann gibt es von meiner Seite aus eine ganz öffentliche Entschuldigung. Ich glaube nicht, dass mir jemand beweisen kann, dass der Typ da war."

Kontraste

"Ich habe Ihnen ja gesagt, dass die Faktenchecker der AFP beispielsweise …"

Nina Maleika

"Faktencheckern glaube ich grundsätzlich nicht. Und schon gar nicht, wenn sie von der ARD, Bild Zeitung oder sonst wo kommen.

Kontraste

"AFP war das"

Nina Maleika

"Dieser Verein auch nicht. Nein grundsätzlich nicht. Nein."

Nur Wenige Tage nach unserem Interview teilt Nina Maleika dann auf X dieses Bild – es ist genau das Bild, dass von Faktencheckern längst als Fake identifiziert wurde – generiert von einer künstlichen Intelligenz.

weitere Themen der Sendung

Hamas-Demo. Bild: HAZEM BADER/AFP
AFP

Der Aufstieg der Hamas - Es begann mit Nazi-Propaganda

Wer den Terror der Hamas verstehen will, muss ihre Ideologie kennen – und dafür fast 100 Jahre zurückblicken. Denn sie ist quasi der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft, die einst mit Hitlers Judenhass und Vernichtungsfantasien per Radio aus Deutschland gefüttert wurde. Die Hamas-Gründungscharta von 1988 ist eindeutig: "Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt."

Beitrag von Georg Heil, Henrike Reintjes und Lisa Wandt

Demonstration in Dresden. Bild: dpa
dpa

Auf Schulflucht - Reichsbürger und ihre Kinder

Ein Vater sucht seine Tochter Miley - vor 15 Monaten ist seine Ex-Frau mit der 10-Jährigen untergetaucht. Der Fluchtgrund: Das Kind soll beim Vater aufwachsen und wieder zur Schule gehen. Doch seine Ex-Frau ist offenbar Reichsbürgerin, lehnt Schulsystem, Gesetze und Institutionen der Bundesrepublik ab. Kontraste-Recherchen zeigen: Immer mehr Reichsbürger, Selbstverwalter und völkische Siedler versuchen ihre Kinder mit aller Macht von der Schule fernzuhalten.

Beitrag von Silvio Duwe und Susett Kleine

Kontraste-Logo + DGS (Quelle: rbb)

Kontraste vom 30.11.2023 (mit Gebärdensprache)

+++ Der Krieg auf Tiktok und Co: Hat die Hamas den Propagandakrieg schon gewonnen? +++ Der Aufstieg der Hamas: Es begann mit Nazi-Propaganda +++ Reichsbürger und ihre Kinder: Auf Schulflucht +++ Moderation: Eva-Maria Lemke